katholisch.de analysiert die Wahlprogramme

Das sagen die Parteien zur Migrationspolitik

Veröffentlicht am 30.08.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Bundestagswahl 2017

Bonn ‐ Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Relevante Themen sind unter anderem Flucht und Migration. Wie stehen die Parteien dazu? Und was sagt die Kirche? Katholisch.de analysiert die Wahlprogramme.

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Am 24. September sind über 60 Millionen Deutsche aufgerufen, einen neuen Bundestag zu wählen. Jeder Wähler hat dabei ganz eigene Fragen, die für seine Entscheidung maßgeblich sind. Für manchen steht die Arbeitsmarktpolitik im Vordergrund, für andere Familienpolitik oder der Umweltschutz.

Katholisch.de hat die Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, Linken, Grünen, FDP und AfD analysiert. Dabei ging es um sieben Themenbereiche, die für die Kirche eine besondere Rolle spielen. Welche Ziele und Forderungen haben die Parteien hier? Und welche die Kirche selbst? Um das zu erfahren, hat katholisch.de zusätzlich je ein Hilfswerk oder einen Verband um die "katholische Stimme" zum jeweiligen Politikbereich gebeten. Den Anfang der Serie macht das Thema Migrationspolitik.

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CDU/CSU - Christlich Demokratische Union/Christlich Soziale Union

In der Flüchtlingspolitik wollen CDU und CSU dafür sorgen, dass eine Situation wie 2015, als fast eine Million Menschen nach Deutschland kamen, sich nicht wiederholt. "Wir wollen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dauerhaft niedrig bleibt", heißt es im gemeinsamen Regierungsprogramm. Dafür sehen die Parteien ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor: Sie wollen das EU-Türkei-Abkommen auf andere afrikanische Länder ausdehnen, abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben und auch Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Menschen "ohne Schutzanspruch" sollen davon abgehalten werden, die Flucht über das Mittelmeer überhaupt anzutreten. Außerdem sollen Schleuser bekämpft und die Lebensbedingungen der Menschen in ihren Herkunftsländern verbessert werden.

Eine verbindliche Obergrenze, wie sie CSU-Chef Seehofer lange gefordert hatte, steht nicht in dem gemeinsamen Regierungsprogramm der Parteien, wohl aber im separaten "Bayernplan" der CSU. Migranten, die dauerhaft in Deutschland leben wollen, müssen nach dem Willen der Unionsparteien Deutsch lernen, sich geschichtlich bilden und bereit zu einer beruflichen Fortbildung sein. Verbindliche Integrationsvereinbarungen sollen zu einer gelingenden Integration beitragen. Wer sich verweigert, muss mit dem Verlust seiner Aufenthaltsgenehmigung rechnen. Die doppelte Staatsbürgerschaft wollen CDU und CSU stark einschränken. Ein kommunales Wahlrecht für Ausländer wollen die Unionsparteien nicht einführen.

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SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Die SPD will das Asylrecht für Flüchtlinge unangetastet lassen. Sie fordert, Flüchtlinge innerhalb der EU solidarisch zu verteilen. Mitgliedsstaaten, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sollen mit Strafen belegt werden. Darüber hinaus will die SPD die Fluchtursachen bekämpfen und ein Seenotrettungsprogramm für Flüchtlinge auf dem Mittelmeer aufsetzen. Asylverfahren sollen effizienter sein, abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben werden. Nach Afghanistan sollen nach dem Willen der Partei künftig aber keine Abschiebungen mehr stattfinden. Frauen und Kinder sollen auf der Flucht besser geschützt werden, der Familiennachzug, den die große Koalition ausgesetzt hatte, wieder eingeführt werden.

Die Angebote für Sprachkurse will die SPD ausbauen. Außerdem strebt sie ein Einwanderungsgesetz an, um den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland nach festen Kriterien zu regeln. "Dauerhaft ansässige Drittstaatsangehörige" sollen das Wahlrecht auf kommunaler Ebene bekommen. Die SPD spricht sich für die doppelte Staatsbürgerschaft aus.

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Die Linke

Auch die Linke setzt sich ihrem Wahlprogramm  umfassend für Flüchtlinge und Zuwanderer ein. Die Partei ist gegen eine Obergrenze für Flüchtlinge und gegen jegliche Aushöhlung des Asylrechts. Der "schmutzige Deal" mit der Türkei und anderen Ländern müsse aufgekündigt werden. Abschiebungen solle es nicht mehr geben. Flüchtlinge sollen ihre Familienmitglieder nach Deutschland nachholen können und "schnell, aber fair" in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ausnahmen vom Mindestlohn lehnt die Linke dabei ab. Migranten sollen zudem einen schnellen Zugang zu Integrations- und Sprachkursen bekommen – und zwar unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Auch Bildungsangebote wie der Erwerb eines Berufsabschluss sollen sich nicht danach richten.

Um die Belange der Migranten soll sich nach dem Willen der Partei künftig ein neu geschaffenes Bundesministerium für Migration und Integration kümmern. Die Fluchtursachen sollen unter anderem mit stärkerer Entwicklungshilfe und durch das Verbot von Waffenexporten bekämpft werden.  Für die Linke ist Deutschland ein Einwanderungsland. Sie will Migranten schon drei Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland die Möglichkeit geben, sich einbürgern zu lassen. Sie sollen das aktive und passive Wahlrecht auf allen Ebenen bekommen. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft befürworten die Linken.

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Grüne - Bündnis 90/Die Grünen

Die Grünen widmen der Integrationspolitik in ihrem Wahlprogramm rund 12 Seiten. Das Kapitel steht unter der Überschrift: "Wir schützen Geflüchtete und bekämpfen Fluchtursachen". Konkret wollen die Grünen legale Fluchtwege schaffen. Große Flüchtlingslager, sogenannte Hotspots, lehnen die Grünen ab. Das Grundrecht auf Asyl dürfe nicht ausgehöhlt werden. Die Grünen sind gegen eine strengere Abschiebungspraxis und gegen Abschiebungen ohne vorherige Ankündigung. Abschiebungen in Krisenstaaten wie Afghanistan dürfe es nicht geben.

Den Türkei-Deal will die Partei aufkündigen. Eine Ausweitung von sicheren Herkunftsstaaten oder eine Obergrenze für Flüchtlinge lehnt sie ab. Die Aussetzung des Familiennachzugs wollen die Grünen aufheben, Asylverfahren sollen schneller entschieden werden. Die Grünen sind für die doppelte Staatsangehörigkeit und wollen nach der Wahl ein Einwanderungsgesetz vorlegen. Auch Menschen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, sollen sich bei Kommunalwahlen beteiligen können.

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FDP - Freie Demokratische Partei

Auch die FPD will das Grundrecht auf Asyl in seiner jetzigen Form beibehalten. Eine Obergrenze für Flüchtlinge ist nach Ansicht der Partei verfassungswidrig. Asylanträge sollen auch schon aus dem Ausland heraus in den sogenannten "Hotspots" gestellt werden können. Zudem setzt sich die Partei für die Bekämpfung von Fluchtursachen ein. Staaten wie etwa der Libanon oder Jordanien, die sehr viele Flüchtlinge aufnehmen, sollen finanziell unterstützt werden. Gleichzeitig fordert die Partei eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa. Länder, die sich dem verweigern, sollen in einen Fonds Geld einzahlen. Flüchtlinge mit abgelehntem Asylantrag sollen konsequent abgeschoben werden. Integrationskurse will die FDP auch Asylbewerbern anbieten. Um die EU-Außengrenzen zu sichern, soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex weiter ausgebaut werden.

Jenseits der Asylpolitik will die FDP ein Einwanderungsgesetz mit Punktesystem schaffen, " bei dem sich Menschen aus aller Welt aufgrund ihres Bildungsgrades, Alters, ihrer Sprachkenntnisse und beruflichen Qualifikation um eine Einwanderung nach Deutschland bewerben können". Die FDP spricht sich für die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Migranten sollen schon nach vier Jahren eingebürgert werden können. Wer in Deutschland lebt, soll sich nach fünf Jahren unabhängig von der Staatsbürgerschaft an Kommunalwahlen beteiligen können.

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AfD - Alternative für Deutschland

Die AfD steht Flüchtlingen und Zuwanderern, die nach Deutschland kommen, kritisch gegenüber. Bisher bestehende individuelle Schutz- und Asylgarantien für Einzelpersonen seien heute nicht mehr realistisch, so die Partei. Auch die "veraltete" Genfer Flüchtlingskonvention müsse neu verhandelt werden. Die Partei spricht in ihrem Programm von einem "massenhaften Missbrauch des Asylgrundrechts", dementsprechend ist die aktuelle Quote der Anerkennung von Asylbewerben nach ihrer Einschätzung viel zu hoch.

Um das zu ändern, erhebt die AfD eine Reihe von Forderungen: Die Grenzen müssten umgehend geschlossen und strengere Grenzkontrollen eingeführt werden. Dafür fordert die AfD "integrierte Sicherungssysteme", zu denen ausdrücklich auch Zäune gehören können. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex und die Bundeswehr müssten ihre "Schlepper-Hilfsdienste" auf dem Mittelmeer beenden und Flüchtlingsboote an die Ausgangsorte oder in außereuropäische Aufnahmezentren zurückbringen. Einen Familiennachzug für Flüchtlinge lehnt die AfD ab. Das gilt auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Bei minderjährigen Flüchtlingen müsse zum in Zweifelsfällen eine "obligatorische Altersuntersuchung" stattfinden. Einen Asylantrag soll nur stellen dürfen, wer seine Identität nachweisen kann. Sozial- und Gesundheitsleistungen für Asylbewerber sollen auf das "unbedingt notwendige Maß" beschränkt werden.

Auch Zuwanderer aus der EU sollen nach dem Willen der AfD erst dann Sozialleistungen bekommen, wenn sie vorher in Deutschland vier Jahre versicherungspflichtig beschäftigt waren. Für die deutsche Staatsbürgerschaft fordert die AfD das sogenannte Abstammungsprinzip – damit bekämen in Deutschland geborene Kinder von Migranten nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Die doppelte Staatsbürgerschaft soll auf "wohlbegründete Sonderfälle" beschränkt werden.

Von Gabriele Höfling
Der Deutsche Caritasverband ist einer der wichtigsten Akteure im Bereich der Flüchtlings- und Migrationshilfe in Deutschland.
Bild: ©katholisch.de/Harald Oppitz/KNA/Caritas

Der Deutsche Caritasverband ist einer der wichtigsten Akteure im Bereich der Flüchtlings- und Migrationshilfe in Deutschland. Präsident Peter Neher legt die Haltung seines Verbands zu den politischen Fragen von Flucht und Migration dar.

Die katholische Stimme: Der Deutsche Caritasverband

Flüchtlinge zu schützen entspringt sowohl einer humanitären Verantwortung als auch einer rechtlich bindenden Pflicht. Beidem muss Deutschland auch künftig gerecht werden. Dazu gehört ein zügiges, faires und gründliches Asylverfahren, das durch ein flächendeckendes Angebot unabhängiger Beratung begleitet wird. Deutschland trägt nicht nur Verantwortung für das eigene Asylsystem, sondern muss auch auf einen Flüchtlingsschutz hinwirken, der vom Prinzip der Solidarität zwischen den EU-Staaten geprägt ist und die berechtigten Interessen der Schutzsuchenden berücksichtigt. Die Unterstützung der Erstaufnahmeländer muss den Menschen dort Perspektiven eröffnen. Es darf keine Deals mit Transitstaaten in Afrika geben, welche die Menschenrechte nicht achten. Es sind vielmehr legale Zugangsmöglichkeiten zu schaffen, um Schutzbedürftigen gefährliche Fluchtwege zu ersparen.

Trotz der aktuellen politischen Debatten gilt auch für ausreisepflichtige Ausländer(inne)n der Vorrang der freiwilligen Rückkehr. Das entspricht geltendem Recht und muss umgesetzt werden. Abschiebung und Abschiebehaft können stets nur die ultima ratio sein. Um den betroffenen Menschen in ihrem Herkunftsland Perspektiven zu eröffnen, sollte die freiwillige Rückkehr durch unabhängige und faire Beratung und finanzielle Hilfen gefördert werden.

Unabhängig von der Aufnahme von Flüchtlingen liegt die Zuwanderung von Arbeitskräften im Interesse der deutschen Gesellschaft und muss entsprechend gestaltet werden. Deutschland ist ein attraktives Land  für Arbeitskräfte. Um Zuwanderung sinnvoll zu gestalten, müssen die Regeln transparent sein. Neue Möglichkeiten für temporäre Migration können auch den Druck zur illegalen Migration mindern. Das muss im Zusammenhang mit einem Einwanderungsgesetz rechtlich geregelt werden.

Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Menschen betrifft. Das heißt auch, dass alle – Einheimische und Zugewanderte - die Chance haben, am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben und Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Ausgrenzung bis hin zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gefährden hingegen den gesellschaftlichen Frieden. Daher  müssen verstärkt Maßnahmen unterstützt werden, die Ausgrenzung und Rassismus überwinden und zum gegenseitigen Verständnis und  zu einem gelingenden Zusammenleben beitragen. So sollten die bestehenden Gesetze mit Blick auf die Unterstützung gesellschaftlicher Integrationsprozesse geprüft und bei Bedarf weiterentwickelt werden.

Integration braucht Zeit. Und die Bereitschaft und Offenheit aller, daran mitzuwirken.

Von Peter Neher