Wirken im Verborgenen
Ich sitze im Chorgestühl neben der 54-jährigen Äbtissin und singe Psalmverse im Wechsel mit den Nonnen auf der anderen Seite des Raums. Zu den beiden Vigilien (Nachtwachen) gehören zudem Lesungen aus der Bibel und aus Schriften der Kirchenväter. In dieser einen Stunde wechseln sich meine Gefühle so wie die Texte der Psalmen ab. Denn an dem kalten Freitagmorgen singen wir keinen sommerlichen Sonnengesang sondern auch Sätze wie "Deine Hand wird all deine Feinde finden; wer dich hasst, den trifft deine Rechte" (Ps 21,9) und "Erhalte mein Leben und rette mich, lass mich nicht scheitern! Denn ich nehme zu dir meine Zuflucht" (Ps 25,20). Existentielles gleich in der ersten wachen Stunde des Tages!
In den ersten Morgenstunden wird geschwiegen
Während ich mich im Anschluss im Gästezimmer etwas zur Ruhe legen kann, ziehen die anderen Schwestern nach der Liturgie die weißen Obergewänder aus. Darunter tragen sie ihren weiß-schwarzen Habit, der nicht zufällig an die Bekleidung der Zisterzienser erinnert. Denn die Trappisten sind eine Reformbewegung des Ordens.
Reform heißt: Die Regel des heiligen Benedikt von Nursia noch strenger beachten, in Klausur leben, sich vegetarisch ernähren und auf jeglichen Eigenbesitz verzichten. Gegessen oder Gesprochen wird in den ersten Morgenstunden noch nicht.
Jede Schwester hat nach den Vigilien bis 7 Uhr Zeit für ihre persönliche Meditation bei der "lectio divina" ("göttliche Lesung"). Im Scriptorium stehen meterweise geistliche Bücher in den Regalen sowie je ein Schreibtisch für jede Nonne zur Verfügung. Wer sich zur Meditation lieber zurückziehen möchte, kann in eine kleine schlichte Kapelle gehen. Das dient der Vorbereitung auf die Heilige Messe, die im Anschluss an das Morgenlob "Laudes" stattfindet und auch hier im Kloster die Mitte des Glaubenslebens darstellt. Dann folgt eine stille Prozession der Nonnen von der Kirche in den Speiseraum, das Refektorium.
Ihre Arbeit: Küche und Garten, Wäsche und Handwerk
Auch das Frühstück wird noch schweigend eingenommen. Wie alle anderen isst die Äbtissin ihre Mahlzeiten mit einem groben Holzlöffel aus einfachem Blechgeschirr. Keramiktassen gibt es nur für die Besucher im Gästeflügel, aber auf den Luxus verzichte ich heute bei meinem Tag im Kloster. Nach einer kürzeren Gebetszeit um 9 Uhr beginnen die Schwestern mit ihrer Arbeit: Küche und Garten, Wäsche und Handwerk. Auch das große Stillschweigen, das am Abend zuvor begonnen hatte, ist nun beendet. Man begrüßt sich und mich, die junge Journalistin, die von einer älteren Nonne den Spitznamen "Bleistift des heiligen Petrus" bekommt. Auffällig ist, dass alle Schwestern sich Siezen.
Normalerweise bekommen die Menschen, die sich in Maria Frieden besinnen möchten, nur wenig vom Alltag der Schwestern mit: All ihre Arbeiten finden in der Klausur statt. Verborgen bleibt dem Besucher, dass die Frauen zum Schutz ihrer Ordensgewänder blaue Obergewänder tragen, die sich in der ärmellosen Variante nicht groß vom klassischen Blaumann unterscheiden. Gottesdienstbesucher bekommen die Schwestern nur zu hören, nicht jedoch zu sehen, denn die Gästekapelle ist im rechten Winkel zur Kirche gebaut und erlaubt den Blick nur auf Altar und Tabernakel. Und für diejenigen, die eine der Nonnen besuchen wollen, gibt es spezielle Räume mit Holzwand und einem glaslosen Fenster in der Mitte, die der Gast von einer Seite betritt und die Schwester durch eine Tür von der anderen Seite. Ein sichtbares Zeichen der Trennung von weltlichem und sakralen Bereich.
Sr. Gratia stellt die Arbeiten der anderen vor: "Eine Nonne webt Priestergewänder und ihre Erzeugnisse verzieren dann weitere Mitschwestern in der Paramentenstickerei." In einem Raum wird gebügelt, im Garten etwas Gemüse angebaut, in einem gesonderten Gebäude Kastanien-Tinkturen für müde Beine und Kräuterliköre hergestellt. So gesehen überwacht die Äbtissin die Produktion von Kosmetik, Kleidung und Spirituosen und trägt Verantwortung für 20 Frauen verschiedener Nationen sowie 39 Hektar Land.
Einen immer größeren Teil der Arbeit nimmt die Pflege von alten und kranken Schwestern in Anspruch. In der Abtei leben noch drei der niederländischen Nonnen, die vor 61 Jahren bei der Gründung von Maria Frieden in die Nordeifel gezogen sind. Die älteste Schwester ist 92. "Das seelische Wohl der Mitschwestern liegt in meiner Verantwortung", erzählt die Äbtissin. Sie besucht jede einzelne und versucht "immer gegenwärtig und ansprechbar" zu sein.
Die Türen der Abtei stehen offen
Zu ihren größten Sorgen zählt Sr. Gratia das Nachwuchsproblem: Die jüngste Schwester ist 45 Jahre alt und die einzige Novizin, Sr. Erika, bereits 50. "Ich kann nicht begreifen, warum sich so wenige junge Frauen für das Ordensleben interessieren; ich habe meine Entscheidung nie bereut." Ihre Berufung zum kontemplativen Leben fand die Freiburgerin bei einem Besuch in dem ökumenischen Orden Taize. Die Sonderpädagogin trat 1986 in Maria Frieden ein – und würde sich freuen, wenn es manch eine Frau zumindest ausprobieren würde. Die Türen der Abtei stehen offen.
Um 12.15 Uhr unterbrechen die Schwestern ihre Arbeit und treffen sich erneut zum Psalmengesang in der Kirche. Auch beim anschließenden Mittagessen sollten sich ihre Gedanken eher den geistlichen als den weltlichen Dingen widmen: Eine Nonne sitzt etwas abseits und hält die Tischlesung; sie trägt eine aktuelle Ansprache von Papst Franziskus vor. Beim Essen zuhören - mir will das nicht gelingen.
Schon nach kurzer Zeit schweifen meine Gedanken ab und wenn ich versuche, mich zu konzentrieren, dann nur auf das Essen. Es ist ein einfacher Salat, Suppe mit Kartoffel-Gemüsebrei und Malzbier. Trotzdem: Es schmeckt.
"Es braucht eine Zeit der Gewöhnung an die Tischlesung", beruhigt mich Sr. Gratia lachend. Mit der Zeit lerne man, in der Gegenwart zu leben und für das Wort Gottes offen zu sein. "Hier bekomme ich einen Zugang zu meiner Gefühlswelt und lasse mich auf einen Weg ein, für den ich sonst keine Zeit hätte." Obwohl es wenig Kontakt zur Außenwelt gibt – es wird zum Beispiel nicht ferngesehen –, glaube sie, die Menschen und deren Sorgen zu verstehen – tief mit dem Herzen. "Es wirkt weltumspannend, dass wir uns auf das Mysterium Christi einlassen", sagt sie und fügt hinzu: "Jesus Christus wirkt nicht nur in der Eucharistie und den Werken der Nächstenliebe, sondern überall".
Stellvertretend für alle beten
Nach dem Mittagessen haben die Schwestern die einzige freie Zeit des Tages, bevor es nach dem Stundengebet, der "Non", um 14.30 Uhr wieder an die Arbeit geht. Die Äbtissin hat nun ihre Termine: Die Ratssitzung steht an, bei der einige Schwestern wirtschaftliche und liturgische Dinge diskutieren, danach folgt die Ausbildungszeit mit der Novizin. Ich schreite nachdenklich das Klausur-Gelände ab, das rund 50 Fußballfelder misst. Wenn man bedenkt, wie groß jedoch die Welt hinter dem Klausurzaun ist, wirkt es gleich viel kleiner. Hinter den Klostergebäuden gibt es eine große Wiese und einige Bäume. Der Abtei gegenüber steht am anderen Ende eine Klause, eine winzige Hütte, in die sich eine Schwester tagsüber zum Gebet zurückziehen kann.
Nach zwölf Sunden auf den Beinen bin ich bereits am Nachmittag müde. Es folgen noch das feierliche Vespergebet und ein karges Abendessen in der Stille. Dann erst hat Äbtissin Gratia Zeit für Briefpost, Telefonate und E-Mail-Kontakte – ganz ohne Kontakt zur Außenwelt geht es nicht. Mit einem Lächeln führt sie mich ein letztes Mal in die Kirche zum Nachtgebet "Komplet". Als die Schwestern am Ende das "Salve Regina" anstimmen, geht das Licht aus und nur noch die schöne Mariendarstellung im Altarfenster ist zu sehen. Ein erhebender Moment, der mir einen Satz von Sr. Gratia veranschaulicht: "Jede Schwester hier gibt ihre ganze Kraft dafür, stellvertretend für alle anderen Menschen zu beten."