Das Erfolgsgeheimnis des Wallfahrtsortes Kevelaer

Zwischen Trend und Tradition

Veröffentlicht am 26.01.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Brauchtum

Bonn/Kevelaer ‐ Kevelaer: Aus ganz Deutschland – und auch aus dem Ausland – kommen Pilger in das 30.000-Einwohner-Städtchen an der niederländischen Grenze. Hier ist das Erfolgsgeheimnis des Wallfahrtsortes.

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Braucht die Kirche mehr "Event"? Mehr Spiritualität? Oder doch die Besinnung auf ihre Tradition? In Kevelaer verbindet man all diese Faktoren miteinander – und hat damit Erfolg. Aus ganz Deutschland – und auch aus dem Ausland – kommen die Pilger in das 30.000-Einwohner-Städtchen an der niederländischen Grenze. Dabei profitiert es natürlich auch von einem Trend der vergangenen Jahre: dem Pilgern.

Seit rund 370 Jahren ist Kevelaer ein Wallfahrtsort und "der Zuspruch ist ungebrochen groß", lobte auch der Vorsitzende der Liturgiekommission, Bischof Friedhelm Hofmann, in einem Interview mit katholisch.de. Jährlich kommen bis zu eine Million Pilger an den Niederrhein. Der Rektor der Wallfahrt, Domkapitular Rolf Lohmann, führt den Erfolg auf "das kleine Gnadenbild mit seiner großen Anziehungskraft" zurück, das mitten auf dem Kapellenplatz steht: Maria, die "Trösterin der Betrübten". Es sei ganz wesentlich für die Menschen unserer Tage, Trost zu empfangen, sagt er. "Denn die Menschen sind extrem in ihrem Alltag eingespannt, was häufig private oder berufliche Sorgen zur Folge hat." In Kevelaer könnten sie aus diesem Alltag ausbrechen, "spirituell auftanken und Stille erleben".

Bild: ©Bistum Münster

Seit 2007 ist Pfarrer Rolf Lohmann nicht-residierender Domkapitular in Münster und seit 2011 Rektor der Wallfahrt in St. Marien Kevelaer.

Die Anfänge des Wallfahrtsortes

Angefangen hat alles im Jahr 1641. Dreimal hörte Hendrick Busman eine geheimnisvolle Stimme sagen: "An dieser Stelle sollst du mir ein Kapellchen bauen!" Jedes Mal war der einfache Handelsmann von Weeze nach Geldern unterwegs und betete vor einem Hagelkreuz am Wegesrand. Schließlich folgte er der Stimme und baute die Kapelle. Nachdem seine Frau in einer Erscheinung das Bild der Gottesmutter gesehen hatte, kaufte das Ehepaar ein entsprechendes Gnadenbild: die "Trösterin der Betrübten". Bis 1647 hat die Kirche acht Wunderheilungen bestätigt, die sich rund um Kevelaer ereignet haben sollen. Erste Prozessionen zur Kapelle sind bereits für das Jahr 1643 bezeugt.

Und die Pilger kommen bis heute. Man könnte vermuten, dass diejenigen, die sich auf den Weg nach Kevelaer machen, um die Mutter Gottes zu verehren, ausschließlich zutiefst gläubige Menschen sind. Dem widerspricht Lohmann aber. "Es kommen auch die, die auf der Suche nach Orientierung sind", so der Pfarrer. Das sei heute vielleicht mehr denn je der Fall. In Kevelaer gehe es daher auch um eine "geistliche Konzentration" auf das, was wichtig ist. Die Menschen, die der Kirche nicht mehr so nahe stünden, versuche man mit dem Glauben zumindest wieder in Kontakt zu bringen. "Und vielleicht können wir den ein oder anderen auch überzeugen, das im Alltag weiterzuleben", so der Wallfahrtsrektor.

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Video: © Erbistum Köln

Ein Beitrag der Stabsabteilung Medien Erzbistum Köln

Rund 60 Prozent der Pilger melden ihre Wallfahrt im Vorfeld offiziell an. Bis zu 1.500 Gruppen sind das jährlich, die eine Größe von 20 bis zu 12.000 Personen erreichen. Die Teilnehmer stammen meist aus Vereinen, Bruderschaften, Pfarreien. Besonders auffällig sei jedoch der Trend zum "Individualpilgern", sagt Lohmann. Etwa 40 Prozent der Besucher mache das inzwischen aus. "Und die Zahl nimmt zu." Das passe in das Bild einer individuellen Gesellschaft, meint er.

An 365 Tagen im Jahr ein Ansprechpartner

Doch auch darauf ist man in Kevelaer vorbereitet. Es gibt acht Kirchen und Kapellen, in denen zu jeder Tageszeit Gottesdienste angeboten werden. Und 365 Tage im Jahr die Möglichkeit, mit einem Geistlichen zu sprechen. "Dass einer Pfarrei dafür das hauptamtliche Personal fehlt, muss man natürlich berücksichtigen", gibt Lohmann zu. Dennoch ist er stolz auf diese Flexibilität. "Jeder kann seine Wallfahrt in absoluter Freiheit gestalten", sagt er. Einfach eine Kerze entzünden, am Gnadenbild beten, den Kreuzweg gehen oder einen der zahlreichen Gottesdienste mitfeiern.

Es sei natürlich schön, wenn sich der Pilger zu Hause innerlich darauf einstelle, bevor er sich auf den Weg nach Kevelaer macht, sagt der Wallfahrtsrektor. "Zum Beispiel mit einem kleinen Gebet." Doch wenn er dann erst einmal da sei, solle er sich "einfach mitziehen lassen, durch das, was sich hier ereignet". Lohmann weiß, dass so eine Wallfahrt auch einen gewissen "Eventcharakter" hat, mit dem normale Gemeinden nicht aufwarten können. Das führe daher auch zu einem den Pfarreien entgegengesetzten Trend: Die Zahl der jungen Teilnehmer, ob Familien mit Kindern oder Jugendgruppen, wachse. Auf die nehme man daher auch verstärkt Rücksicht, in dem man spezielle Gebete oder alternative Gottesdienstformen ausprobiere.

Bild: ©Wallfahrtsleitung Kevelaer

Der Wallfahrtsor Kevelaer genießt eine hohe Anerkennung. Zum silbernen Priesterjubliäum von Rektor Rolf Lohmann im Mai 2014 kam auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx.

Christian Toussaint weiß das zu schätzen. Der 23-jährige Essener pilgert alle zwei bis drei Jahre nach Kevelaer. Auch für ihn bedeutet das Pilgern einen Ausbruch aus dem Alltag, der in der Gemeinde eher schwer möglich ist. Auf dem Weg nach Kevelaer habe man einen Tag Zeit, um sich Gedanken zu machen und über den Glauben ins Gespräch zu kommen, sagt er. Gemeinsam mit anderen jungen Leuten aus seiner Gemeinde verbände er die Pilgerreise mit einer zweitägigen Radtour und einem gemeinsamen Grillen am Abend, verrät er. Entscheidend sei aber auch die besondere Atmosphäre, die den Ort ausmache. "Wenn man in der Kerzenkapelle steht, dann ist das schon eindrucksvoll", so Toussaint. In Kevelaer merke man, dass der Glaube einen trägt. "Hier wird er 'im Großen' erfahrbar."

Wie Papst Franziskus zur Diskussion einladen

Mit den jungen Menschen ins Gespräch zu kommen, ist Wallfahrtsrektor Lohmann ein großes Anliegen. "Wir können nicht einfach alles so weitermachen wie vor 50 Jahren", gibt er zu bedenken. Man müsse die jungen Leute mit einbeziehen und fragen: "Was findet ihr gut und was nicht? Was fehlt euch hier?" Dabei gehe es nicht nur um die Gottesdienste, sondern das gesamte christliche Leben. "Wir müssen zuhören", sagt der Wallfahrtsrektor. Der Papst mache es vor, wenn er in Rom zu Diskussionen einlade. Das müsse auch in der deutschen Kirche noch intensiver geschehen. "Und dann müssen wir natürlich die Konsequenzen daraus ziehen."

Davon, dass die Marienfrömmigkeit nicht gerade zum Dialog mit der Jugend beitrage, will Lohmann nichts wissen. Nicht alt und verstaubt sei sie, sondern "etwas Hochaktuelles". Wenn er dann aus dem Magnificat, dem Lobgesang Mariens, zitiert, fühlt man sich stark an Papst Franziskus und dessen Predigten erinnert: Die Hungrigen werden hervorgehoben, die Niedrigen erhöht und die Reichen müssen leer ausgehen. "Gerade heute", sagt der Wallfahrts-Rektor, "in einer Zeit der Ellbogengesellschaft und des Turbokapitalismus", hätten diese Worte eine große Bedeutung. Denn es herrsche eine große Sehnsucht danach, dass es in dieser Welt gerechter und friedlicher zugehe.

Von Björn Odendahl