Thomas Jansen zum "Tag der Arbeit"

Die Kirche macht den gleichen Fehler wie Karl Marx

Veröffentlicht am 01.05.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Thomas Jansen zum "Tag der Arbeit"

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Der 1. Mai sollte für Katholiken auch ein Tag der Schmach sein. Denn dieses Datum ist, wie Berlins Erzbischof Heiner Koch sagte, "verbunden mit dem Eingeständnis, dass wir als Kirche allzu oft nicht auf der Seite der 'Proletarier', sondern der 'herrschenden Klassen' standen". Und allzu spät, so muss man hinzufügen, hat die Kirche die soziale Frage überhaupt erst als solche erkannt: Vor 170 Jahren veröffentlichte Karl Marx "Das kommunistische Manifest". Erst 43 Jahre später, im Jahr 1891, ergriff Leo XIII. in seiner Enzyklika "Rerum Novarum" Partei für die Arbeiter.

Und heute? Stehen wir als katholische Kirche in Deutschland konsequent an der Seite der Armen, Ausgebeuteten und Abgehängten? Die Kirche tut enorm viel zur Überwindung sozialer Ungerechtigkeit, Linderung materieller Not und sozialer Integration, keine Frage. Aber: Was ist mit dem Bildungsangebot für die unteren soziale Schichten? Warum gibt es so wenige katholische Hauptschulen und warum muss man kirchliche Schulen in sozialen Brennpunkten mit der Lupe suchen?

Doch das eigentliche Problem liegt tiefer: Wir Katholiken in Deutschland neigen dazu, genau den Fehler zu begehen, den wir Karl Marx oft vorwerfen: Wir konzentrieren uns zu sehr aufs Materielle. Soziale Fürsorge durch die Caritas gibt es in beeindruckendem Umfang. Darüber hinaus tauchen die Proletarier des 21. Jahrhunderts im alltäglichen kirchlichen Leben, in Seelsorge-Konzepten und Theologie von heute jedoch kaum auf. Gedankenwelt, religiöse Vorstellungen und Alltagserfahrungen von Hartz-IV-Empfängern haben keinen Einfluss auf unsere Akademiker-Klub-Kirche. Wir interessieren uns kaum dafür, was Leute ohne Schulabschluss über Gott, Jesus und die Kirche denken, geschweige denn, dass wir unsere Gottesdienste oder sonstige Veranstaltungen darauf abstimmen würden. Als Gesprächspartner auf Augenhöhe sind sie nicht gefragt. So bleiben die Bedürftigen und Ausgebeuteten bei uns letztlich doch oft nur Objekte kirchlichen Handelns.

Karl Marx ist tot, aber Franziskus lebt. Und dieser Papst hat eine klare Ansage gemacht: "Für die Kirche ist die Option für die Armen in erster Linie eine theologische Kategorie und erst an zweiter Stelle eine kulturelle, soziologische, politische oder philosophische Frage". Franziskus will, dass wir "die heilbringende Kraft ihrer Leben" erkennen und sie "in den Mittelpunkt des Weges der Kirche" stellen. Gemessen an diesen päpstlichen Worten, stehen wir in Deutschland auch heute noch auf der Seite der "herrschenden Klassen".

Von Thomas Jansen

Der Autor

Thomas Jansen ist Chef vom Dienst bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.