Gudrun Lux über Flüchtlinge früher und heute

Gestern Schlesien, heute Syrien

Veröffentlicht am 16.03.2016 um 00:01 Uhr – Von Gudrun Lux – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Gudrun Lux über Flüchtlinge früher und heute

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Als mein Vater ein kleines Kind war, war er ein Flüchtling - mit seiner Mutter und seinen vier älteren Geschwistern musste er raus aus Schlesien. Der Vater, mein Großvater, blieb dort. Zunächst zwangen ihn die Nazis dazu, dann geriet er in Gefangenschaft. Erst Jahre später kam er nach - da war er seinen eigenen Kindern fremd geworden.

Als meine Geschwister und ich Kinder waren, drängten wir unseren Vater oft, uns Geschichten zu erzählen "als er klein war". Viele davon berichteten von der Zeit als ungeliebte Flüchtlinge auf einem fränkischen Bauernhof. Wie so oft, wenn Menschen sich an schreckliche Zeiten erinnern, so gewinnt auch mein Vater bis heute den schlimmen Dingen Gutes ab. "Einmal", erzählt er, "hat uns der Bauer einen ganzen Sack Mehl geschenkt!" - Der war voller Mehlwürmer und so siebten und siebten die Kinder, bis das Mehl ohne Ungeziefer war.

Wenn mein Vater schimpft, dann auf Schlesisch. Manchmal schleichen sich auch bei meinen Geschwistern und mir noch schlesische Wörter ein, oft weiß ich gar nicht, dass es solche sind. Das Riesengebirgslied singe ich meinem eigenen Kind zum Einschlafen vor: "Blaue Berge, grüne Täler, mittendrin ein Häuschen klein. Herrlich ist dies Fleckchen Erde, denn da bin ich ja daheim." Ich war noch nie im Riesengebirge, aber manchmal singe ich mit Wehmut. Ich bin das Kind eines Flüchtlingskindes. Wie viele von uns.

Heute kommen wieder Menschen in großer Not und Verzweiflung zu uns oder versuchen, sich zu uns zu retten - zum Beispiel aus Syrien. Manche hierzulande behaupten, das sei etwas ganz anderes. Sie sagen, damals seien schließlich Deutsche gekommen. Heute seien es Fremde, Menschen aus anderen Kulturen, die andere Sprachen sprechen und andere Riten pflegen. Dabei müssten wir uns nur erinnern, die Alten fragen, wie es damals war, zum Beispiel in so manchem fränkischen Dorf. Da waren vielleicht unsere Eltern und Großeltern die Fremden, die Schlesier, die Flüchtlinge - und die Katholiken, die andere Riten pflegten.

Es sind Menschen, die da auf der Flucht sind. Ihre Religion, ihre Nationalität, ihre Hautfarbe zählen nicht. Was zählt ist der einzelne Mensch, jeder für sich ein Ebenbild Gottes. Lasst uns alles dafür tun, dass die Kinder, die heute zu uns kommen und ihre Kinder, wenn sie wollen, so selbstverständlich hier eine Heimat haben wie mein Vater und ich.

Die Autorin

Gudrun Lux ist freie Journalistin, Autorin und Kommunikationsberaterin in München.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.
Von Gudrun Lux