Prüfsteine, die zu Mühlsteinen werden
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Von der Barmherzigkeit als Lebensform handelt das Lukas-Evangelium im Kapitel 15. Ihr Rollenmodell dort ist der Vater des "verlorenen Sohnes", und die Wiederaufnahme des Taugenichts ohne jedes Wenn und Aber ist die Pointe des biblischen Gleichnisses. Doch im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ist der Kirche diese Sinnspitze verloren gegangen. Die Haltung des bedingungslosen Verzeihens, verbunden mit einem rauschenden Versöhnungsfest, ist irgendwo auf der Strecke geblieben. Dogmatik und Kirchenrecht halten stattdessen dafür, das – ebenfalls biblische – Scheidungsverbot zum Maß der Dinge zu machen. Buchstäblich auf Biegen und Brechen, wenn man an die Not vieler Betroffener denkt, die über die bittere Erfahrung des Scheiterns einer Ehe hinaus auch noch erleben müssen, wie ihnen die Gemeinschaft der Glaubenden den Stuhl vor die Tür setzt.
Papst Franziskus versucht, um im Bild zu bleiben, die Tür mit dem Schlüssel-Begriff der Barmherzigkeit so weit zu öffnen, dass der Stuhl wieder hindurchpasst. Derweil wird die Debatte, ob das überhaupt statthaft sei und ob Geschiedene nach einer erneuten zivilen Eheschließung auch wieder zur Kommunion gehen dürfen, zunehmend bizarr. Wo der Papst auf individuelle Weite setzt, schärfen seine Gegner Strenge aus Prinzip ein. Diese Unnachgiebigkeit bleibt nicht folgenlos. Sie führt dazu, dass die Befürworter einer Öffnung vorauseilend alles tun, um nur ja dem Vorwurf eines Laisser faire in der Ehepastoral zu entgehen. Das lässt sich aktuell sehr gut am Vorgehen der Diözese Rom ablesen, deren Bischof ja nominell der Papst ist.
Was sein Kardinalvikar an Vorgaben und Hürden für die mögliche Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten aufstellt, erinnert fatal an eine in der Moraltheologie längst überwunden geglaubte Kasuistik: In der Art der Beichtspiegel mit ihren obsessiven Sündenregistern von früher sollen heute die Eheleute und ihr Beziehungsleben durchgescannt werden. Prüfsteine, die zu Stolper- und Mühlsteinen werden. Hätte sich der Vater im biblischen Gleichnis daran orientiert, wäre sein Sohn ein verlorener geblieben – und seine Barmherzigkeit ein lebloses Etwas.