Standpunkt

Wie ernst nehmen Katholiken Inkulturation noch?

Veröffentlicht am 05.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ein Priester entfernt eine Ikone aus einer Kirche, die Christus als Apachen zeigt. Ähnliche Fälle gibt es immer wieder. Matthias Altmann fragt: Haben manche Katholiken aus Angst vor dem angeblichen Verlust der Einheit ein zentrales Prinzip vergessen?

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Einige selbsternannte Retter des wahren christlichen Glaubens üben gerne Selbstjustiz und zerstören ihnen nicht genehme Kunstwerke in Kirchen – wie diese Woche eine Figur der gebärenden Muttergottes in Linz. Auch wenn solche Aktionen keinesfalls hinnehmbar sind: Bei manchen Darstellungen lässt sich gewinnbringend darüber streiten, inwiefern sie angemessen und sinnvoll sind. Anders ist es im Fall einer Kirchengemeinde der Mescalero-Apachen im US-Bundesstaat New Mexico, der ebenfalls diese Woche bekannt wurde: Hier entfernte der Pfarrer bei Nacht und Nebel eine den Indigenen liebe und teure Ikone, die Christus als Apachen zeigt. Sie hing seit Jahrzehnten über dem Altar der Kirche. Der Vorfall wirft – gemeinsam mit zig anderen ähnlichen, die es in der Vergangenheit gab – eine Frage auf: Haben manche Katholiken aus lauter Angst vor dem angeblichen Verlust der Einheit im Glauben vergessen, dass Inkulturation die Erfolgsgeschichte unseres Glaubens erst möglich gemacht hat?

Inkulturation bedeutet, dass der Glaube in unterschiedlichen Kulturen Wurzeln schlägt und diese Kulturen im Gegenzug selbst zum Aufbau der Kirche etwas beitragen. Sie prägt die Kirche von Beginn an. Schon Paulus predigte den Athenern in seiner Areopag-Rede über den "unbekannten Gott", dem sie einen Altar widmeten. Und mithilfe der griechischen Philosophie wurde der christliche Glaube in die antike Gedankenwelt übersetzt. Die Liste ließe sich ewig lange mit Beispielen aus allen Jahrhunderten und allen Erdteilen weiterführen. Erst vor zwei Monaten etwa haben die australischen Bischöfe einen Ritus für eine Messfeier mit Elementen der Kultur australischer Ureinwohner beschlossen.

Auch Kunst ist selbstverständlich ein wichtiger Bestandteil des Inkulturationsprozesses. Wenn sich manche immer wieder an Darstellungen des Erlösers stören: Für die gleichen Personen ist es vermutlich kein Problem, dass das Erscheinungsbild mancher Christusfiguren im westlichen Kulturkreis – rot-blond, blauäugig und durchtrainiert – manchmal fast an einen nordisch-germanischen Gott erinnert.

Die Botschaft des Evangeliums kann nicht wirksam werden, ohne in der jeweiligen Kultur anzudocken. Zahlreiche päpstliche Schreiben und Ansprachen aus den vergangenen Jahrzehnten bezeugen das, von Paul VI. bis Franziskus. Inkulturation ist auch heutzutage gefragt: In unseren Breiten ist die Kirche besonders herausgefordert, wie sie ihre Botschaft in die säkulare, liberal geprägte Gesellschaft hineinsprechen kann.

Von Matthias Altmann

Der Autor

Matthias Altmann ist Redakteur bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.