Initiativen zur liturgischen Qualitätssicherung

Gute Gottesdienste zu feiern ist gar nicht so einfach

Veröffentlicht am 03.09.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Es gibt viele Erwartungen an Gottesdienste, außerdem sind sie eine der Grundsäulen der Kirche. An vielen Stellen machen sich deshalb Verantwortliche Gedanken über die Qualitätssicherung in der Liturgie. Am Ende zählt dabei auch das richtige Rollenverständnis.

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Nicht jeder Gottesdienst ist gleich gut – diese Erfahrung werden die meisten Gemeindemitglieder unterschreiben. Manchmal inspirierend, manchmal langweilig, manchmal verstörend, manchmal lieblos: Die Bandbreite ist recht groß. Und das, obwohl Gottesdienste eigentlich immer gleich gut sein sollen, abgesteckt durch die liturgischen Vorgaben. Doch die Kirche ändert sich – und mit ihr das Umfeld der Liturgie.

Die Liturgie nimmt im Leben der Kirche einen zentralen Platz ein. Denn in ihr wird einerseits die Frohe Botschaft, also das Evangelium, verkündet. Gerade aber auch in der Heiligen Messe wird Christi Tod und Auferstehung jedes Mal nachvollzogen. "Mit Recht gilt also die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d.h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen", formuliert des die Liturgiekonstitution "Sacrosanctum concilium" (Nr. 7) des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65). "Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht" (ebd.). In der Liturgie liegt also ein besonderes Potenzial. "In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind." (Nr. 8)

Doch neben der Theorie steht eine gottesdienstliche Praxis, die auch von den Veränderungen in der Kirche beeinflusst wird. "Die Anforderungen an Gottesdienste sind in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewachsen", sagt Marius Linnenborn, der Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier. "Früher gab es am Sonntag eine Frühmorgenmesse für die, die möglichst schnell fertig sein wollten. Dann eine für die Kinder, danach noch ein Hochamt für Leute mit traditionellerem Geschmack", erzählt er. "Doch durch den Rückgang der Zahl von Priestern und von Gläubigen gibt es heute oft nur noch eine Sonntagsmesse, die die ganze Gemeinde versammelt und mit der daher ganz unterschiedliche Erwartungen verbunden sind." Außerdem übernehmen aufgrund des Priestermangels immer häufiger Laien die Leitung von Gottesdiensten wie Wort-Gottes-Feiern, darunter eine wachsende Zahl an Ehrenamtlichen, die nicht Theologie studiert haben und daher eine gründliche Vorbereitung und liturgische Bildung brauchen, zum Beispiel durch das Studienangebot "Liturgie im Fernkurs".

Mögliche Schwachstellen bewusst machen

"Wir wollten da aber nicht so defizitorientiert herangehen", sagt Josef Rauffer, der die Hauptabteilung Liturgie und geistliches Leben im Erzbistum München und Freising leitet. Mit seinem Team hat er gerade eine Broschüre zur liturgischen Qualitätssicherung erarbeitet – in der es gerade nicht um neue Regeln geht. "Mir geht es eher darum, dass wir über gewisse Dinge nochmal nachdenken, sich die Aktiven bewusst machen, was sie da tun – und was man vielleicht noch besser machen könnte."

Die möglichen liturgischen Schwachstellen können im Alltag ganz unterschiedlich aussehen. Manchmal liegt es schlicht an der richtigen Rollenverteilung. "Es gibt schon einen Gedanken dahinter, dass Lesung und Evangelium nicht beide vom Priester verlesen werden. Wenn der Priester – aus welchen Gründen auch immer – selbst die Lesung liest, hilft das also nicht", sagt er. Ein Bewusstsein für gewisse Regelungen schätzt Rauffer auch bei der Vorbereitung von Wort-Gottes-Feiern. "Manche Ehrenamtliche halten das für eine sehr offene liturgische Form, dabei gibt es da sehr klare Richtlinien, wie so etwas aufzubauen ist." Gleichzeitig empfiehlt er aber auch, manchmal Texte im Lektionar je nach Situation umzuformulieren. "Das kommt immer auf die konkrete Situation an. Manchmal kann das sehr helfen, manchmal aber auch nicht. Die Gottesdienstleiter müssen da Fingerspitzengefühl entwickeln, wann sich was lohnt."

„Ein Gottesdienst ist keine Theateraufführung.“

—  Zitat: Marius Linnenborn

Bei diesem Fingerspitzengefühl hilft auch die richtige Ausbildung, sagt Linnenborn. "Ein Gottesdienst ist keine Theateraufführung, es geht hier nicht um ein rein zwischenmenschliches Geschehen", betont er. „Vielmehr ist Liturgie ein Dialog- und Beziehungsgeschehen mit Gott, für das aber eine gelungene Kommunikation der Handelnden und Feiernden die Grundlage bildet“

Aber wie zeigt sich das in einem Gottesdienst? "Das beginnt schon bei einzelnen Sprechakten. Es macht einen Unterschied, ob ich bete oder eine biblische Lesung lese." Zum Beispiel: "Wer ein Gebet spricht, sollte es sich zuvor selbst zu eigen gemacht haben und wirklich beten und nicht nur einen Text vorlesen. Den Unterschied wird die Gemeinde spüren." Hingegen sei bei einer biblischen Lesung wichtig, sich die Art des Textes zu vergegenwärtigen, erläutert Linnenborn in einem neuen Sammelband zur Qualitätssicherung in der Liturgie: "Auch wenn der biblische Text im liturgischen Vollzug den Anspruch hat, in der Gegenwart zur Gemeinde zu sprechen, bleibt er doch ein schriftlich überliefertes Dokument von vor mindestens nahezu zwei Jahrtausenden. Deshalb sind die biblischen Schriftlesungen aus den dafür bereitgestellten Büchern (Lektionar und Evangeliar) vorzulesen, und nicht wie ein Gedicht frei vorzutragen. Ein möglichst häufiger Blick in die Gemeinde, wie bei Nachrichtensprechern üblich, entspricht nicht dem Sinn des Vortragens des Wortes Gottes, das uns aus der Vergangenheit für die Gegenwart anvertraut ist."

Authentisch, aber nicht nach Gusto

Diese Regeln haben auch damit zu tun, dass Gottesdienstleiter zwar authentisch sein, die Liturgie aber nicht nach ihrem Gusto verändern sollen. "Es kommt nicht auf die persönliche Meinung oder den individuellen Geschmack der Vorsteher an. Wer einem Gottesdienst vorsteht bzw. ihn leitet, tut dies stets im Dienst der versammelten Gemeinde.“ Dafür gefragt sei eine authentische spirituelle Haltung. "Diese Haltung selbst zu haben und so den Mitfeiernden zu vermitteln, hilft dem liturgischen Geschehen ungemein, sagt Linnenborn."

Dazu gehört beispielsweise auch, an den richtigen Stellen Pausen einzubauen, etwa nach dem "Lasset uns beten" ein kurzes Innehalten zu setzen. "In dieser Zeit sammelt man die unausgesprochenen Gebete der Gemeinde in das gemeinsame Gebet. Das gilt auch nach der Predigt: Nicht direkt weitermachen, sondern einen kurzen Moment geben, um das Gehörte verarbeiten zu können." Längere Zeiten der Stille gibt es in der Liturgie dagegen kaum. Auch hier gilt also wieder: Fingerspitzengefühl und die richtige Haltung.

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Die Liturgie ist ein Wesensmerkmal der katholischen Kirche. Doch warum sieht die Liturgie so aus, wie sie aussieht? Das bespricht Host Christoph Brüwer mit dem Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Liborius Olaf Lumma.

Audio: © Brüwer, Christoph

Um diese Haltung zu entwickeln, muss sich der Leiter aber auch selbst spirituell tiefgehend mit den Gebeten und Bibeltexten im Gottesdienst beschäftigen. "Das beugt auch dem Subjektivismus vor. Das Leitungsamt ist ein Dienst, das sollte klar werden." Das gelte auch für die gesamte Anlage des Gottesdienstes. "Gottesdienst ist nicht zuerst ein Angebot, das nach den Vorlieben eines Publikums gestaltet würde. Ein Gottesdienst – insbesondere die Eucharistiefeier – ist in allererster Hinsicht ein Auftrag Christi, der beim Letzten Abendmahl den Aposteln aufgetragen hat: Tut dies zu meinem Gedächtnis. Wer einen Gottesdienst vorbereitet und leitet, muss aber natürlich dabei stets die Menschen im Blick haben, mit denen er ihn feiert, damit er für sie einladend ist." Linnenborn warnt aber auch vor zu hohen Erwartungen. "Nicht von jeder Feier kann man ein tiefes spirituelles Erlebnis erwarten. Das ist wohl unmöglich – und wenn es geschieht, dann ist es ein Geschenk."

Die Gottesdienstlandschaft in München-Freising sieht Josef Rauffer im Großen und Ganzen positiv. "Wir haben hier schon immer Wert auf gute Gottesdienste gelegt und vieles läuft auch sehr gut", sagt er. Für ihn ist wichtig, dass Menschen im Gottesdienst Dinge tun, die zu ihnen passen. "Wer nicht gut vorlesen kann, sollte nicht vorlesen. Wer nicht rhetorisch begabt ist – warum sollte er die Predigt dann halten?" Dabei sieht er auch die kirchenrechtlichen Regelungen, nach denen in der Eucharistiefeier keine Laien predigen dürfen, entspannt. "Es ist bei uns weitgehend anerkannt, dass das auch ein guter Pastoralreferent machen kann. Am Ende sollte im Zentrum stehen, dass der Gottesdienst allen weiterhilft."

Dazu gehört auch, dass sich die kleiner werdende Gottesdienstgemeinde nicht in den überdimensionierten Kirchen der Vergangenheit verliert, sondern sich auch physisch als Gemeinschaft mit räumlicher Nähe erfährt. Oder dass die passende Musik zum passenden Zeitpunkt gespielt wird. Diese Effekte sind nicht zu unterschätzen. "Die Liturgie gehört nicht nur zum Wesenskern des Christentums, sondern ist auch das Haupteinfallstor für den Glauben. Viele Leute kommen höchstens noch bei Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen in die Kirche. Die Feier der Liturgie ist nicht nur unser Grundauftrag, wir als Kirche haben darauf in unserer Gesellschaft auch ein Monopol. Das muss sitzen und gut sein, sonst glaubt uns niemand, dass wir auch noch andere Sachen können", so Rauffer. Da lohne es, sich auch im Kreise der Gottesdienstleitenden auszutauschen. Damit es nicht nur eine würdige, sondern auch eine spirituell bereichernde Feier wird.

Von Christoph Paul Hartmann