Nach Kritik hören die Abgeordneten Sachverständige an

Neues Kirchenvorstandsrecht dreht noch eine Runde im NRW-Landtag

Veröffentlicht am 05.09.2024 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Düsseldorf ‐ Nur in NRW regelt noch ein staatliches Gesetz die Vermögensverwaltung in Kirchengemeinden. Mit dem alten preußischen Recht wollte der Landtag Schluss machen – doch es kam zu Verzögerungen. Heute beraten die Abgeordneten noch einmal. Wo liegen die Probleme?

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Am 24. Juli feierte das "Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens" seinen hundertsten Geburtstag. Geplant war das nicht – eigentlich hätte das alte preußische Gesetz zu diesem Zeitpunkt schon beerdigt sein sollen. Statt durch ein staatliches Gesetz sollte das Vermögen der Kirchengemeinden und die Regeln für seine Verwaltung in Nordrhein-Westfalen schon lange durch ein kirchliches Gesetz geregelt werden – so wie in allen anderen deutschen Bundesländern.

Eigentlich hätte die Abschaffung des preußischen Gesetzes eine Formsache sein sollen. Ein Gutachten des Kölner Staatsrechtlers Markus Ogorek für die Staatskanzlei kam im vergangenen Oktober zu dem Schluss, dass die Regelung von Kirchenvermögen durch den Staat verfassungswidrig sei und das Gesetz damit nichtig. Eine Aufhebung des Gesetzes würde damit nur eine Rechtsbereinigung darstellen: abschaffen, was eh nicht gilt.

Dennoch warten die NRW-Bistümer, die bisher das staatliche Gesetz für die Verwaltung des Vermögens von Pfarreien angewandt haben und deren Kirchenvorstände nach den Regeln dieses Gesetzes arbeiten, auf den staatlichen Gesetzgeber. Erst wenn das alte preußische Gesetz auch formal abgeschafft ist, wollen die fünf Bistümer – Aachen, Essen, Köln, Münster, Paderborn – weitgehend gleichlautende Gesetze in Kraft setzen.

Das kirchliche Nachfolge-Gesetz liegt schon in den Schubladen der Bistümer

Doch der Prozess ist ins Stocken geraten. In den Bistümern wurde in den vergangenen Jahren ein Gesetzesentwurf erarbeitet. Im April 2022 kündigten die Bistümer das Vorhaben an, in einem breiten Beteiligungsprozess konnten Kirchenvorstände und andere Interessierte Rückmeldungen geben. Im März 2023 lag der finale Gesetzesentwurf vor. Damals ging die Kirche noch davon aus, dass die kirchlichen Gesetze zum 1. Januar 2024 in Kraft treten können – doch die Aufhebung durch den Düsseldorfer Landtag zog sich hin. Auch der neue Termin, der 1. Juli, wurde gerissen. Auf kritische Anfragen aus der FDP- und der SPD-Fraktion hin, wurde überraschend eine Sachverständigenanhörung im zuständigen Hauptausschuss des Landtags anberaumt – durch die parlamentarische Sommerpause war das erst in der Sitzung an diesem Donnerstag möglich.

Blick in den Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags
Bild: ©dpa/Federico Gambarini (Archivbild)

Zur Zeit wird die Abschaffung des alten preußischen Rechts noch im Hauptausschuss behandelt. Wann sie ins Plenum kommt, steht noch nicht fest.

Flankiert wurde der Gesetzgebungsprozess von scharfer Kritik. Eine Petition an den Landtag, die der Aachener Diplom-Kaufmann Gangolf Ehlen ins Leben gerufen hat, klagte über eine zu große Machtfülle, die mit dem Übergang vom staatlichen zum kirchlichen Recht auf die Bischöfe und ihre Behörden übergehen werde – bei gleichzeitigem Fehlen einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Auch eine auf eigene Faust eingereichte Stellungnahme des ehemaligen Staatssekretärs Günter Winands äußerte Zweifel. Er bezeichnete es als nicht nachvollziehbar, dass ein Gesetz selbstverständlich über Jahrzehnte angewandt wird, wenn die Verfassungswidrigkeit so offensichtlich sei, wie es das Ogorek-Gutachten feststellt.

In der Hauptausschuss-Sitzung Mitte Juni, in der die Abstimmung im Landtag dadurch nach hinten verzögert wurde, dass die Sachverständigenanhörung angesetzt wurde, spielte die Kritik eine Rolle. Die Oppositionsparteien FDP und SPD sahen zwar auch eine Notwendigkeit, das preußische Gesetz abzuschaffen. Die FDP hob vor allem darauf ab, dass es noch weitere alte Gesetze gebe, deren Geltung unklar sei, und dass man hier umfassend aufräumen solle. Dem stimmte auch der Remscheider SPD-Abgeordnete Sven Wolf zu. Er verwies aber zusätzlich auf die gesellschaftlichen Diskussionen: Vor allem der Streit um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sorge für Unmut und Misstrauen. "Um den seine Fraktion erreichenden Schilderungen von Gläubigen aus Köln Rechnung zu tragen und den durch den Abgeordneten Wedel aufgeworfenen Fragen nach möglicherweise auszuweitenden Bereinigungsgesetzen nachzugehen, beantrage er eine Anhörung zu diesem Thema", heißt es im Ausschussprotokoll.

Als Sachverständige wurden von den Fraktionen Markus Ogorek und sein Münsteraner Kollege Hinnerk Wißmann benannt. Der Jurist ist unter anderem Experte für Religionsverfassungsrecht. Außerdem wurden das Katholische und das Evangelische Büro um Stellungnahmen gebeten.

Was sich tatsächlich durch die neuen Kirchengesetze ändert

Das Katholische Büro hat in seiner vorab veröffentlichten Stellungnahme das geplante kirchliche Gesetz noch einmal verteidigt. Ein Blick in die geplanten Kirchengesetze zeige, dass die Kirche keinen Systemwechsel wolle und "dass es vor allem unzutreffend ist, dass den Bischöfen künftig mehr Macht zusteht, in die örtlichen Gegebenheiten einzugreifen oder die dortigen Kirchenvorstände gar aufzuheben". Vielmehr solle "im Sinne einer Fortführung und Optimierung bekannter und bewährter Vorgaben die Möglichkeit geschaffen werden, mit den teils sehr unterschiedlichen örtlichen Anforderungen angemessen umzugehen".

Eingang zum Wahllokal zur Kirchenvorstandswahl im Erzbistum Köln
Bild: ©KNA/Jörg Loeffke (Archivbild)

Der Kirchenvorstand verwaltet unter anderem die Einrichtungen und das Vermögen der Kirchengemeinde und ist verantwortlich für die Aufstellung und Überwachung des Haushaltsplanes. Gemeindemitglieder müssen künftig seltener zu den Urnen schreiten: Statt alle drei Jahre die Hälfte der Mitglieder wählen sie bald alle vier Jahre alle Mitglieder des Kirchenvorstands.

Tatsächlich betreffen die Änderungen vor allem die Arbeitsweise, während die wesentlichen Aufgaben der Kirchenvorstände unverändert bleiben. Weiterhin ist das mehrheitlich aus gewählten Mitgliedern bestehende Gremium für die Vertretung der Kirchengemeinde nach außen sowie die Verwaltung des Vermögens in der Kirchengemeinde zuständig.

Erklärtes Ziel der Reform ist es, den Kirchenvorstand ehrenamtsfreundlicher und digitaler zu machen. Das schlägt sich etwa in den Änderungen bei der Wahl nieder: Statt auf sechs Jahre werden die Kirchenvorstände künftig für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt, außerdem wird das rollierende System abgeschafft. Bisher wurden alle drei Jahre die Hälfte der Mitglieder neugewählt, künftig werden immer alle auf einmal gewählt. Wählen dürfen alle Gemeindemitglieder ab 16, wählbar sind 18- bis 75-jährige. Gläubige, die sich einer Pfarrei verbunden fühlen, aber dort nicht wohnen, können künftig gewählt werden. Eine Quote gibt es nicht – bei der Aufstellung der Vorschlagslisten ist aber darauf zu achten, dass die gleiche Anzahl Frauen und Männer zur Wahl stehen.

Ehrenamtsfreundlich und digitaler

Die Kirchenvorstände sollen auch kleiner werden. Mindestens fünf Mitglieder werden gewählt, Pfarrgemeinderäte können entscheiden, ob sie eine Person in den Kirchenvorstand entsenden. Während die Größe des Kirchenvorstands früher streng nach Anzahl der Kirchenmitglieder in der Gemeinde festgelegt wurde, gibt es jetzt eine Flexibilität, um auf örtliche Bedürfnisse zu reagieren. Wenn der Kirchenvorstand entscheidet, dass nicht der Pfarrer, sondern ein gewähltes Mitglied den Vorsitz geschäftsführend übernimmt, muss der Kirchenvorstand das dem Bistum lediglich mitteilen, kann aber selbst darüber entscheiden. So den Pfarrer zu entlasten, war bisher nur im Erzbistum Paderborn möglich; jetzt soll das in allen fünf Diözesen gehen. Um nach außen Rechtsgeschäfte tätigen zu können, braucht es künftig nur noch zwei statt drei Unterschriften von Kirchenvorstandsmitgliedern.

Auch technischen Entwicklungen wurde Rechnung getragen: Sitzungen können künftig rein digital oder hybrid stattfinden, wenn das Gremium es will, Einladungen zu Sitzungen dürfen auch per E-Mail verschickt werden, Protokolle in elektronischer Form geführt werden – vorher war die Schriftform festgeschrieben, also Papier. Neu eingeführt wird ein Schlichtungsverfahren bei Konflikten im Kirchenvorstand, für die eine Schlichtungsordnung entwickelt wird.

Hände scheiben auf einer Tastatur.
Bild: ©undrey/Fotolia.com (Symbolbild)

Künftig soll mehr digital möglich sein: Einladungen, Protokolle – und die Sitzungen dürfen nicht mehr nur im Notfall per Videokonferenz stattfinden.

Diese Veränderungen waren in den Beratungen größtenteils nicht kontrovers; Kritik gab es vor allem am Höchstalter von 75 Jahren für die Wahl. Im Vergleich des ersten Entwurfs mit dem finalen zeigt sich, dass die Bistümer Ergebnisse aus dem Rückmeldungsprozess aufgenommen haben: die Möglichkeit digitaler Sitzungen wurde etwa ausgeweitet.

Wer kontrolliert die bischöflichen Behörden?

Was den Kritikern Sorge bereitet, ist vor allem die Frage nach einer gestärkten Rolle des Bischofs und seiner Behörden. Im Laufe der Beratungen wurden zwar Genehmigungsvorbehalte abgeschafft und durch reine Informationspflichten ersetzt. Am grundlegenden Problem änderte das aber nichts: Wo zuvor der Staat und eine Überprüfung durch staatliche Verwaltungsgerichte standen, tritt nun die bischöfliche Behörde ein. Im preußischen Gesetz sind einige Genehmigungsvorbehalte der Landesregierung vorgesehen. Wenn Kirchenvorstände zum Beispiel historisch oder künstlerisch wertvolle Gegenstände verkaufen wollen oder Gemeinden zu Verbänden zusammengeschlossen werden, muss formal die staatliche Behörde zustimmen. Auf Anfrage von katholisch.de erklärte ein Sprecher der Staatskanzlei im Mai, dass alle vorgesehenen staatlichen Genehmigungs- und Eingriffsmöglichkeiten mindestens seit 2001 nicht ausgeübt wurden. Künftig steht auch nicht mehr der staatliche Rechtsweg offen: Statt dem im preußischen Gesetz festgelegten Gang zum Oberverwaltungsgericht wird bei einem kirchlichen Gesetz der kirchliche Rechtsweg eingeschlagen. Kirchliche Verwaltungsgerichte gibt es in Deutschland nicht. Das heißt im Konflikt mit dem Bischof dann in der Regel: der Weg nach Rom vor die zuständige Kurienbehörde.

Bedenklich finden die Kritiker auch, wie gewählte Kirchenvorstände aus dem Amt entlassen werden können. Bisher sieht das preußische Gesetz vor, dass das Bistum Kirchenvorstände aufgrund "grober Pflichtwidrigkeit oder Ärgernis erregenden Lebenswandels" entlassen können. Der Lebenswandel fällt nun als Ausschlussgrund weg. Das Bistum kann Kirchenvorstände aber "aus wichtigem Grund, insbesondere wegen grober Pflichtwidrigkeit" ihres Amts entheben. Mangels Verwaltungsgerichten fehlt es an einer Kontrollinstanz, um im Konfliktfall zu überprüfen, ob ein Grund wirklich so wichtig war, dass eine Amtsenthebung nötig war. Gegenüber katholisch.de bezeichnete der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller das als "Einfallstor für Willkürakte der bischöflichen Behörde". Das Katholische Büro wies diese Kritik zurück. Kein Bischof wolle willkürlich Kirchenvorstände entlassen, zumal man ohnehin kaum Menschen finde, die sich als Kirchenvorstand engagieren wollen.

Die Landtagsfraktionen scheinen die Kritik zwar gehört zu haben. Bei der Hauptausschuss-Sitzung im Juni wurde aber auch deutlich, dass sie das als Problem der Kirchen ansehen, während ihre Rolle vor allem ist, staatskirchenrechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen und das alte preußische Recht aufzuheben. Unter den geladenen Sachverständigen ist auch keiner der prominenten Kritiker. In den Bistümern rechnet man daher trotz der Kritik und trotz der Verzögerung durch den Landtag damit, dass der geplante Termin für die nächsten Kirchenvorstandswahlen steht: im Herbst 2025 soll erstmals auf Grundlage der neuen kirchlichen Kirchenvorstandsgesetze gewählt werden.

Von Felix Neumann