Wie katholische Kirche und Gesellschaft auseinanderdriften

Im Sturm

Veröffentlicht am 24.01.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Studie

Bonn/München ‐ Die katholische Kirche in Deutschland muss sich ändern. Das sagt kein Bischof, kein Theologe, kein Verbandsvertreter, sondern der einfache Bürger im Land. Eine am Donnerstag in München präsentierte Studie hat den Katholiken im Land in Herz und Seele geschaut. Das Ergebnis ist für die Kirche wenig erfreulich. Und dennoch gibt es Grund zur Hoffnung.

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"Wie werden Glaube, Religion und Kirche in der heutigen Zeit verstanden und gelebt", mit dieser Frage hat im Auftrag der Medien-Dienstleistungsgesellschaft , ein kirchliches Beratungsunternehmen, das Heidelberger Sinus-Institut einen Blick in die sogenannten Sinus-Milieus geworfen.

Das Ergebnis: Die katholische Kirche und der christliche Glaube spielen im Leben der Menschen eine zunehmend geringere Rolle. Oder wie die Autoren der Studie schreiben: "Die lebensweltliche Einbettung von Religion ist weitgehend verloren gegangen, […] der katholische Glaube und sein Regelwerk tragen nur noch bei wenigen unmittelbar zum Sinn des Lebens bei."

Diffuser Glaube

Bei vielen Befragten, so ein Ergebnis der Studie, ist Glaube nicht an die katholische Religion und Kirche gebunden. Nicht wenige Menschen bezeichnen sich zwar als religiös, definierten ihren "Glauben und ihre Vorstellungen von Gott aber diffus." Auch die Grundregeln einer katholischen Lebensführung würden nur von einer Minderheit praktiziert.

Dies gilt beispielsweise für die Verpflichtung, sonntags in die Kirche zu gehen oder formalisierte Gebete zu sprechen. Gerade in jungen und unterschichtigen Milieus spielten Glaube und Religion im Alltag keine große Rolle mehr, fassen die Autoren der Studie zusammen.

Über alldem schwebt der Missbrauchsskandal. Der Studie zufolge hat die Glaubwürdigkeit der Kirche "unter der Aufdeckung und dem Umgang mit dem Missbrauch massiv gelitten" – auch unter den treuesten Anhängern. Doch auch die vielerorts laufenden Strukturreformen, wie die Zusammenlegung von Gemeinden, und der herrschende Priestermangel führen laut Untersuchung zur Unsicherheit und Unmut unter den Katholiken.

Darüber hinaus wird beispielsweise die Rolle der Frau, der Zölibat oder der Umgang mit Wiederverheiratet-Geschiedenen und Homosexuellen kritisiert.

Erwartungen an die Kirche immer noch groß

Dennoch: Vor dem "letzten Schritt" eines Austritts und der Aufgabe ihrer katholischen Identität scheuen viele Kirchenmitglieder zurück. "Insbesondere bei engagierten Mitgliedern aus den gehobenen Milieus der Konservativ-Etablierten und Liberal-Intellektuellen ist ein starker Wille zu beobachten, an der katholischen Kirche, trotz aller Kritik, festzuhalten und ihre Traditionen im Kern zu bewahren", schreiben die Autoren der Studie.

Und trotz aller Kritik erwarten die Menschen im Land von der Kirche so einiges: spirituelle Orientierung, Seelsorge, eine fröhliche und lebendige Gemeinschaft sowie eine tröstliche Begleitung am Lebensende.

In einem auch religiös globalisierten Deutschland treibt die Kirche durch einen Sturm. Zwar gelten die christliche Religion und die damit verbundenen ethischen Grundsätze als zentraler Bestandteil der abendländischen Kultur. Das hält viele aber nicht davon ab, in der Vielfalt der Religionen sich zunehmend ein modulares Glaubenspaket zusammenzubasteln, oftmals mit fernöstlichen und esoterischen Elementen.

Arbeit für die Bischöfe

Aussichtlos erscheint die Lage für die Kirche jedoch noch nicht. "In den Milieus der Traditionellen, der Konservativ-Etablierten und zu einem guten Teil auch der Bürgerlichen Mitte gehören Glaube, Religion und Kirche zusammen, geben in ihrer traditionellen Gestalt Rückhalt, Orientierung und Struktur und sorgen für soziale Einbettung", so ein weiterer Befund der Studie.

Quer durch die Milieus sind sich die Katholiken einig, dass sich die Kirche ändern muss. Ebenso wird auch gesehen, dass sie das Potenzial dazu habe. "Sie muss ihre Identität bewahren, aber in der Zeit ankommen", heißt es beispielsweise aus gehobenen Milieus.

Somit kommt auf die deutschen Bischöfe einiges an Arbeit zu, die mit dem ausschließlichen Weiterführen des Dialogprozess wohl nicht erledigt werden kann. Ende Februar kommen die Oberhirten zu ihrer Frühjahrsvollversammlung in Trier zusammen. Die Sinus-Studie wird mit Sicherheit auch auf der Tagesordnung stehen.

Von Christoph Meurer

Was sind Sinus-Milieus?

Sinus-Milieus sind ein Begriff aus der Markt- und Sozialforschung und das Ergebnis von 30 Jahren Forschung. Die Einteilung der Gesellschaft in Sinus-Milieus orientiert sich an der Lebenswelt der Menschen. Individuen werden nach ihren Wertorientierungen sowie ihrer Einstellung zu Arbeit, Familie, Freizeit, Geld und Konsum in verschiedene Gruppen eingeteilt. Neben der Kirche nutzen unter anderem auch Unternehmen, Parteien oder Verbände die Milieus für Erhebungen. Um dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung zu zollen, werden die Milieus vom Sinus-Institut regelmäßig neu strukturiert, zuletzt im Jahr 2010. Die Grenzen zwischen den einzelnen Gruppen sind fließend. (meu)