Im Kampf gegen Rechtsextremismus ist die gesamte Gesellschaft gefragt, auch die Kirche

Gesicht zeigen

Veröffentlicht am 06.05.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
NSU-Prozess

Bonn ‐ Es ist eine Bewährungsprobe für den Rechtsstaat. Nach schier endlosen Debatten um Plätze für Pressevertreter und Offizielle der türkischen Regierung beginnt heute der Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrundes, kurz NSU. Zugleich beschäftigt sich seit Ende Januar 2012 ein Untersuchungsausschuss des Bundestages mit der rechten Terror-Serie und der Rolle von Verfassungsschützern und anderen Ermittlern im Kampf gegen Rechts.

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Doch das Problem Rechtsextremismus lässt sich nicht in politischen Debatten und juristischen Vorgängen lösen. Gefragt ist die Gesellschaft als Ganzes – und somit auch die Kirchen.

"Es geht uns darum, die Idee des christlichen Menschenbildes gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung zu positionieren", sagt Ulrich Clausen. Für das Bistum Dresden-Meißen sitzt er in der Arbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus , einem ökumenischen Zusammenschluss verschiedener Institutionen in Sachsen. Das christliche Verständnis, erläutert Clausen, stelle den Menschen in die Mitte, unabhängig von seiner Herkunft. Anders ausgedrückt: Gott kennt keine Ausländer.

20.000 Euro und 30 Zimmer

Konsequenzen daraus ziehen die katholische und evangelische Kirche auf verschiedene Weise – etwa durch politische Aufrufe. "Wer die Würde und die Rechte von Menschen missachtet, wer andere Menschen mit Hass verfolgt, verletzt oder gar ermordet, handelt gegen den Willen Gottes", heißt es beispielsweise in einer Erklärung von katholischer, evangelischer und orthodoxer Seite, die Ende April veröffentlich wurde. Und weiter: Rechtsextremes oder rassistisches Denken und Handeln seien mit dem christlichen Glauben unvereinbar und Sünde.

Für den alltäglichen Kampf der Kirche steht beispielsweise Ulrich Höckner , der Leiter des Caritas-Regionalzentrums Anklam in Mecklenburg-Vorpommern. Seit Jahren engagiert sich der gläubige Katholik in seinem Wohnort Bargischow, einer NPD-Hochburg, gegen die Rechten – ungeachtet von Stimmungsmache seitens der Neonazis gegen ihn.

Auf eine konkret-praktische Art engagiert sich das Erzbistum München beim anstehenden NSU-Prozess. Zum einen hält man 30 Zimmer für die Hinterbliebenen von Opfern der Mordserie vor, die den Prozess verfolgen wollen. Zum anderen stellt die Erzdiözese wie auch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 20.000 Euro für Reise- und Aufenthaltskosten der Betroffenen zur Verfügung.

Im Sitzungssaal 101 im Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße in München beginnt heute der Prozess gegen den NSU.
Bild: ©picture alliance / dpa/Andreas Gebert

Im Sitzungssaal 101 im Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße in München beginnt heute der Prozess gegen den NSU.

Lieder für die Gegendemo

Für Ulrich Clausen aus Dresden ist es wichtig, dass Kirche Gesicht gegen Rechts zeigt. So berät seine AG für Demokratie beispielsweise Pfarrgemeinden in Städten, in denen Demonstrationen rechter Gruppierungen anstehen.

Es sei wichtig, dass sich Gemeindemitglieder etwa an Gegendemonstrationen oder Menschenketten beteiligen. Dafür bietet man Handreichungen oder Lieder an, die auf solchen Veranstaltungen gesungen werden können.

Doch wie weit dürfen Aktionen vonseiten der Kirche gegen Rechts gehen? Anfang April hat in Dresden der Prozess gegen den evangelischen Pastor Lothar König begonnen. Vor zwei Jahren soll der Stadtjugendpfarrer von Jena bei Demonstrationen gegen Neonazis in Dresden zur Aufwiegelung der Protestler gegen die Polizei beigetragen haben.

Bei den Kundgebungen war es zu Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Anhängern der linken und rechten Szene gekommen. Rund 100 Polizisten wurden verletzt. Die Verhandlung gegen König soll bis Ende Juni dauern.

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Video: © kfa

Bruder Paulus über die Aufregung um die Zulassung von türkischen Medien zum NSU-Prozess.

Sicher, König ist ein Ausnahmefall. Doch Fragen von zivilem Ungehorsam wie die Teilnahme an Straßenblockaden würden in der AG schon strittig diskutiert, sagt Clausen. Letztlich müsse jeder Besucher von Protestveranstaltungen sich selbst und sein Gewissen prüfen und mögliche Konsequenzen tragen.

Fokus Zwickau

Mit Zwickau, wo die Angeklagte Beate Zschäpe Anfang November 2011 kurz vor ihrer Festnahme ihre konspirative Wohnung in die Luft jagte, liegt ein Brennpunkt der NSU-Geschichte in Sachsen beziehungsweise im Bistum Dresden-Meißen.

Laut Clausen will die Arbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus in der Stadt einen "Prozess der Bewusstmachung" für die NSU-Taten anstoßen. Viel zu oft gebe es in der Gesellschaft in Bezug auf rechte Taten Verdrängungseffekte oder gar stille Sympathie.

Mit den Debatten im Vorfeld des NSU-Prozesses hat sich die AG nicht näher auseinandergesetzt. Für Clausen steht nur fest: "Es ist gut, dass die Taten der NSU ein gerichtliches Ende finden." (mit Material von KNA)

Von Christoph Meurer

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