Katholische Kindergärten wegen Ausbau der Kleinkindbetreuung in Sorge

Qualität vor Quantität

Veröffentlicht am 01.08.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Familienpolitik

Freiburg ‐ Seit Donnerstag ist das Herzstück der aktuellen Familienpolitik geltendes Recht: Für ein- und zweijährige Kinder besteht dann ein Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagesmutter. Während Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) Anfang Juli verkündete, dass im Laufe des nächsten Jahres insgesamt 813.000 Betreuungsplätze für Kleinkinder zur Verfügung stünden, sorgen sich Mitarbeiter und Vertreter katholischer Kindertageseinrichtungen um die Qualität der Betreuung. Ihr größtes Problem: der Fachkräftemangel.

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"Wir bekommen nur mit aller letzter Kraft das Personal zusammen", sagt Hilda Thoma, Leiterin der Freiburger Kindertagesstätte St. Peter und Paul. Seit Ende April hat ihre Einrichtung eine fünfte Gruppe, in der zehn unter 3-jährige Kinder betreut werden sollten. Doch bis zur Eröffnung waren nur zwei Erzieherinnen gefunden, eine davon in Teilzeit. "Kürzlich hatten wir bei einer Stellenanzeige nur fünf Bewerbungen", sagt Thoma. Zwar gibt es mittlerweile ein neues praxisbegleitendes Ausbildungskonzept für junge Fachkräfte und Weiterbildungen für Hebammen oder Krankenpfleger, die in den Erzieherberuf wechseln, doch hilft das den Einrichtungen heute noch nicht:

"Der Rechtsanspruch steht seit Jahren fest, mehr ausgebildet wird aber erst seit einem Jahr", so Thoma. Die neuen Fachkräfte stehen also frühestens im Jahr 2015 als Erzieherinnen im Kindergarten zur Verfügung. Fachfremdes Personal müsse viel aufwendiger eingearbeitet werden, auch wenn deren Qualifikationen bis zu einem gewissen Punkt sehr sinnvoll seien, stellt Thoma fest.

Bild: ©Benedikt Plesker

Hilda Thoma, Leiterin der Freiburger Kindertagesstätte St. Peter und Paul.

Quereinsteiger mit einzubeziehen hält auch Frank Jansen für eine vertretbare Übergangslösung: "Es ist familien- und vor allem bildungspolitisch gut, dass der Rechtsanspruch jetzt kommt und nicht verschoben wird, deswegen brauchen wir dann jetzt Übergangslösungen", so der Geschäftsführer des Bundesverbandes katholischer Tageseinrichtungen für Kinder. Entscheidend sei aber, dass die Qualität aufrechterhalten bliebe: "Wenn der Ausbau der Betreuung zu Lasten der Kinder ginge, könnten wir das nicht mehr mittragen", sagt Jansen. Dem Erziehermangel müsse jetzt durch kleinere Gruppen und höhere Bezahlung entgegengewirkt werden: "Es würde helfen, wenn Erzieher ähnlich wie Grundschullehrer bezahlt würden", fordert Jansen.

Personal muss heute flexibler sein

Fast wichtiger als die Bezahlung sind für Hilda Thoma die Arbeitsbedingungen im Kindergarten: "Die guten Leute verlassen den Beruf und machen noch ein Studium", sagt die Erzieherin und Sozialpädagogin. Denn schon ohne die jetzt so stark ausgebaute U3-Betreuung hat sich in den vergangenen Jahren die Arbeit der Kindergärten verändert: die verschiedenen Arten der Ganztagsbetreuung verlangen mehr Personal und eine hohe Flexibilität. Während vor Jahren für die vier Gruppen des St. Peter und Paul-Kindergarten in Freiburg noch je zwei Fachkräfte ausreichten und es keine Übermittagsbetreuung gab, hat Hilda Thoma heute 18 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit zu beschäftigen. "Wir arbeiten im Schichtdienst, aber ohne gemeinsame Pausen ist die Zeit für Übergaben und Absprachen ziemlich eng", so Thoma.

Dabei ist die Aufteilung der Erzieher auf die Kinder schon knapp bemessen: Für die zehn Kleinkinder darf Thoma laut Stellenschlüssel 2,2 Fachkräfte beschäftigen. Rechnerisch muss eine Erzieherin somit vier bis fünf Kinder betreuen. Aus Sicht der Berliner Professorin für Frühpädagogik, Susanne Viernickel, sollte eine Erzieherin nicht mehr als drei Kindern betreuen müssen, zumal sie wegen anfallender notwendiger Arbeiten nicht die ganze Zeit bei den Kindern sein könnten:

Eine Mutter mit ihrem Sohn.
Bild: ©KNA

Eine Mutter mit ihrem Sohn.

Abnahme der pädagogischen Qualität

"Ab diesem Wert kann man eine Abnahme der pädagogischen Qualität feststellen, die wiederum einen Einfluss auf die kindliche Entwicklung hat", sagte die Pädagogin in der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ein wissenschaftlicher Nachweis, dass sich die Kinder deshalb auch massiv schlechter entwickeln, sei aber bisher noch nicht erbracht, so Viernickel.

Während schon für die Betreuung der derzeit angemeldeten Kinder die Fachkräfte fehlen, ist die politisch gewünschte Zahl der Betreuungsplätze dennoch nicht erreicht. Etwa 150.000 Plätze für ein- und zweijährige Kinder fehlen bundesweit, schätzt Frank Jansen. Die katholischen Einrichtungen stellen mit derzeit etwa 75.000 Plätzen knapp ein Sechstel des gesamten Angebotes in der U3-Betreuung. "Im Vergleich zu 2008 ist das eine Steigerung um 130 Prozent", so Jansen. Trotz der fehlenden Plätze glaubt Jansen nicht an eine Klagewelle aufgrund des Rechtsanspruch, der ab August gegen die Städte und Gemeinden geltend gemacht werden kann. Doch, ob Klage oder nicht - die Qualität der Betreuung darf nicht unter der Anzahl der Betreuungsplätze leiden. Darin sind sich die Vertreter der katholischen Kindergärten einig.

Von Benedikt Plesker (mit Material von dpa)

Fragen und Antworten

Nun geht es los. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Ein- und Zweijährige ist da. Hier werden die wichtigsten Fragen beantwortet: Was tun, wenn Eltern für ihr Kleinkind leer ausgehen? Man kann vor dem Verwaltungsgericht (VG) auf einen Platz klagen. Gerade erst hat Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) Eltern geraten, von diesem Klagerecht Gebrauch zu machen. Weil eine Klage vielen aber zu langwierig ist, empfehlen Rechtsanwälte, ein Eilverfahren anzustrengen. So ist die Stadt Köln vor zwei Wochen per Eilentscheid verpflichtet worden, zwei Kleinkindern einen Platz zu verschaffen. So manche Kanzlei scheint ein Geschäft zu wittern und wirbt: "Wir klagen Ihr Kind in die Kita ein!" Andere Anwälte halten es für sinnvoller, selbst initiativ zu werden, das Kind privat - oft teurer - unterzubringen und die Mehrkosten via Schadenersatzverfahren von der Kommune einzufordern. Kita oder Tagesmutter: Welche Variante ist denn besser? Kita und Tagespflege stehen gleichwertig nebeneinander. Der Bund geht davon aus, dass gut zwei Drittel aller Plätze in einer Tageseinrichtung und rund 30 Prozent bei Tagesmüttern oder -vätern bereitstehen. In Kitas muss mindestens eine Kraft ausgebildete Erzieherin sein. Gruppengröße und Betreuer-Kind-Schlüssel legen die Länder fest. Tagesmütter können maximal fünf Kinder daheim aufnehmen oder kommen mitunter auch in den Haushalt der Eltern. Sie werben mit Flexibilität und Familienähnlichkeit. Tagesmütter müssen eine 160-Stunden-Qualifizierung absolvieren und brauchen vom Jugendamt eine Pflegeerlaubnis. In welchem Umfang haben Eltern Anspruch auf Betreuung? In der Regel werden Halbtagsplätze angeboten. Ein- und zweijährige Kinder haben darauf auch dann einen Anspruch, wenn deren Eltern nicht arbeiten gehen. Das Angebot soll dem Eltern-Bedarf entsprechen. Wem ein Halbtagsplatz nicht reicht, der muss seinen erhöhten Bedarf nachweisen. Ob dabei Schichtarbeiter auch ein Übernacht-Angebot beanspruchen können, muss möglicherweise individuell geklärt werden. Was gilt als zumutbar? Der Platz muss in zumutbarer Nähe liegen - bisher wird das überwiegend definiert mit rund einer halben Stunde Zeitaufwand für eine Strecke. Bei speziellen Wünschen wie einer integrativen Gruppe oder Montessori-Pädagogik sind Absagen wohl angesichts geringer Kapazitäten hinzunehmen. Von Yuriko Wahl-Immel (dpa)