Theologe Wunibald Müller gibt Tipps gegen Überforfderung im Arbeitsalltag

Stress lass nach!

Veröffentlicht am 04.11.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Studie

Bonn ‐ Beim Einkaufen, auf dem Spielplatz, bei der Arbeit: Überall hört man Menschen über Stress klagen – jeder scheint darunter zu leiden. Seit wenigen Tagen gibt es die Bestätigung schwarz auf weiß, denn die Techniker Krankenkasse veröffentlichte eine Forsa-Umfrage , nach der fast sechs von zehn Deutschen an Stress leiden.

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Ebenso viele geben an, dass ihr Leben in den vergangenen drei Jahren stressiger geworden sei. Der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller bestätigt gegenüber katholisch.de das Ergebnis der Befragung: Es gebe heutzutage mit dem Leistungsdruck und der Hektik "eindeutig" mehr Stress als früher, so der Leiter des Recollectio-Hauses in Münsterschwarzach. Aus christlicher Sicht erläutert er die Ursachen und verrät, was jeder einzelne gegen das Gestresst-Sein tun kann.

Bei der repräsentativen Studie gaben zwei Drittel der Befragten ihren Job als Hauptstressfaktor an. Darauf folgten familiäre Konflikte (47 Prozent), Kindererziehung (46 Prozent) und Geldsorgen (40 Prozent). Laut der Studie sind Frauen gestresster (63 Prozent) als Männer (52 Prozent). Frauen müssten sich im Berufsleben immer noch mehr beweisen als Männer und hinzu käme oft noch der familiäre Druck, erklärt Müller. Er könne sich zudem vorstellen, dass Frauen sensibler seien und störende Faktoren eher wahrnähmen, während Männer über sie hinwegsähen. Laut der Studie räumt jede zweite Frau aber auch ein, dass sie sich durch ihre hohen Ansprüche an sich selbst zusätzlich unter Druck setzt.

Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller ist Leiter des Recollectio-Hauses in der Abtei Münsterschwarzach.
Bild: ©KNA

Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller ist Leiter des Recollectio-Hauses in der Abtei Münsterschwarzach.

Arbeit als Stressfaktor – aber nicht nur

Einmal mehr bestätigt die Umfrage, dass die Arbeit der Stressfaktor Nummer eins ist. Für den Therapeuten nicht erstaunlich: Wir lebten in hektischen Zeiten mit dem Druck, stets Leistung nachweisen und Quoten gerecht werden zu müssen, erklärt Müller. "Dadurch ist der normale Rhythmus von Herz und Seele unterbrochen". Die Seele komme bei der Arbeit nicht mehr hinterher "und wenn stets nur ein Teil des Menschen beteiligt ist und das eigene Gschmäckle zu kurz kommt, dann befriedigt die Arbeit immer weniger". Stressverhindernd wirkten dann gute Beziehungen; drei bis fünf Menschen, bei denen man sich zurückziehen, beraten lassen bei denen man auftanken kann.

Müller, der im Recollectio-Haus kirchliche Mitarbeiter in Lebenskrisen begleitet, nennt als stressgefährdete Risikogruppen neben Priestern auch Ärzte, Pfleger und allgemein diejenigen Berufe, die in den "persönlichen Bereich" gehen. Angesichts der steigenden Zahlen an Burn-Outs und Stressgeplagten stelle er sich hin und wieder die Frage, ob die Menschen früher nicht einfach robuster und belastungsfähiger waren. "Andererseits war das Leben früher überschaubarer, man war stärker beheimatet und Teil einer Gruppe, in der vieles als Selbstverständlichkeit betrachtet wurde", sagt er. Heute sei durch die Freiheit und durch die Vielfalt auch ein viel größerer Druck da, alles selbst entscheiden zu müssen.

Der 63-Jährige will aber keinen einseitigen Blick auf den Job nur als Stressfaktor: Wenn man Anerkennung bekomme und selbst in seiner Arbeit einen Sinn sehe, dann könne sie befriedigend sein. So gab auch bei der Umfrage jeder zweite Berufstätige an, sich durch Stress erst richtig angespornt und zur Kreativität beflügelt zu fühlen. Problematisch werde es erst, wenn die Arbeit andauernd überfordert oder man sie nur als reinen Broterwerb sehe, sagt auch Müller. Er hält nichts von der Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach Sanktionen für Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten nicht vor Stress schützen. Die Arbeitgeber sollten vielmehr motiviert werden, ihrer Belegschaft bessere Bedingungen zu schaffen, damit Kreativität und Identifizierung mit dem Unternehmen ermöglicht wird. Dazu gehörten Zeit und Räume für Pausen und Gespräche mit den Kollegen.

Den Stress Gott hinhalten

Jeder Mensch kann aber auch selbst dem Stress gezielt entgegenwirken: Wichtig ist laut Müller ein Lebensstil, in dem Rituale gepflegt werden. Einmal im Jahr Urlaub oder geistliche Übungen, die sogenannten Exerzitien , reichten nicht aus; man müsse vielmehr solche Entspannungsmomente in den Alltag einbauen. Der Theologe schlägt vor, 15 Minuten früher aufzustehen, um dann mit Meditation, Körperübungen wie Thai Chi oder dem Beten von Psalmen "in Kontakt mit der eigenen Seele zu kommen". Auch am Abend sei es sinnvoll, sich täglich Zeit zu nehmen und den Tag zu bilanzieren und alles Erlebte Gott hinzuhalten und damit "abzugeben". Wichtig sei es, den Stress nicht mit in den Schlaf zu nehmen.

„Der normale Rhythmus von Herz und Seele unterbrochen“

—  Zitat: Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller über die Arbeit als ersten Stressfaktor

Während der Arbeit helfen laut Müller kleine Übungen, wie etwa dreimal bewusst einzuatmen. "Dabei sage ich mir: ‚Jetzt kommt die frische Luft rein – und die Alte lasse ich raus‘". Kurze Augenblicke wie das Essen eines saftigen Pfirsichs oder der Anblick der Natur könnten für Entspannung sorgen. Ziel sei es, "sich immer wieder in den gegenwärtigen Moment zurückzubringen". Als ein Problem sieht Müller dabei die ständige Erreichbarkeit durch Handys und Tablet im Privat- wie im Berufsleben. "Es trägt zum Gestresst-Sein bei, denn man ist innerlich darauf eingestellt, dass man erreichbar ist," so der Psychologe. Zudem behindere ein Smartphone, auf das man ständig schaue, die wirkliche Begegnung mit dem Gegenüber: "Denn während man mit einem Menschen in einem Gespräch ist, wird immer wieder diese Gegenwart unterbrochen". Abhilfe könne da nur eines schaffen: "In der Freizeit bewusst das Handy zu Hause lassen, um mit sich in Kontakt zu kommen."

Von Agathe Lukassek