Ein differenzierter Blick auf die Sterbehilfe in Deutschland

Würdevolles Ende

Veröffentlicht am 15.11.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Sterbehilfe

Bonn ‐ Gernot Fahl fuhr in die Schweiz um "würdevoll" zu sterben. Wer in den letzten vergangenen Wochen die Boulevardmedien verfolgt hat, kam nicht umhin, einen Blick in das ausgezehrte Gesicht eines Mannes zu werfen, der sein Leben beenden wollte – um jeden Preis. Doch auch in Deutschland ist ein würdevoller Tod möglich. Dabei muss beim Begriff Sterbehilfe genauso differenziert werden, wie bei ihrer Beurteilung durch Bundesärztekammer, Justiz und Kirche.

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Eine aggressive Form von Lymphkrebs zwang Fahl zu ebenso aggressiven Chemo- und Strahlentherapien. Die Langzeitfolgen und ein schwerer Sturz fesselten ihn schließlich ans Bett. Für den 69-Jährigen ein unerträglicher Zustand. Mit Hilfe eines tödlichen Tranks in einer Schweizer Klinik wollte er ihn beenden. In Deutschland wäre das problematisch gewesen. Zwar wird die Beihilfe zur Selbsttötung wie auch der Selbstmord strafrechtlich nicht belangt, ist für den Arzt aber aus anderen Gründen unmöglich: Er verstößt gegen die Standesethik und - seit dem Beschluss des 114. Deutschen Ärztetags - auch gegen geltendes Berufsrecht.

Die kirchliche Position ist in diesem Fall klar: Ein Selbstmord ist nicht zu rechtfertigen. Das bestätigt die Glaubenskongregation in ihrer Erklärung zur Euthanasie (1980). Die katholische Kirche betrachtet das Leben als etwas Heiliges, als Geschenk der Liebe Gottes. Deshalb kann der Mensch darüber nicht selbst verfügen. Ein eigenmächtiges Beenden des Lebens bedeutet daher eine Zurückweisung der Oberherrschaft Gottes und seiner liebenden Vorsehung. Die Konsequenz: Auch die Beihilfe zur Selbsttötung – sei es durch einen Arzt, aber auch durch Freunde oder Verwandte – ist moralisch nicht zu verantworten.

In einigen Kantonen der Schweiz ist das anders. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist dort möglich, wenn eine schwere und unheilbare Krankheit vorliegt und die Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen gegeben ist. Doch bei Fahl änderte sich die Situation: Er war nach seiner Reise in die Schweiz so entkräftet, dass er den tödlichen Trank nicht mehr selbstständig zu sich nehmen konnte. Ein Verabreichen durch den Arzt wäre jedoch aktive Sterbehilfe. Die ist aber bei den Eidgenossen gesetzlich ebenso untersagt wie in Deutschland (§ 216 StGB).

Auch die Kirche ist dieser Meinung. "Du sollst nicht töten", heißt es schon in der Bibel. "Niemand kann das Leben eines unschuldigen Menschen angreifen, ohne damit der Liebe Gottes zu ihm zu widersprechen", schreibt die Glaubenskongregation. Wer das tue, beispielsweise durch Vergiften, Waffengewalt oder ähnliches, "begeht ein äußerst schweres Verbrechen".

Die passive Sterbehilfe kann sogar geboten sein

Anders ist das bei der sogenannten passiven Sterbehilfe. Zu ihr zählen alle Formen der Unterlassung oder des Abbruchs lebensverlängernder Maßnahmen wie Magensonden zur künstlichen Ernährung oder Beatmungsgeräte, aber auch der Verzicht auf die Behandlung mit Antibiotika. Die passive Sterbehilfe ist in Deutschland je nach Situation gesetzlich erlaubt.

Eine Krankenpflegerin versorgt einen Kranken.
Bild: ©KNA

Eine Krankenpflegerin versorgt einen Kranken.

Sie kann aus ärztlicher Sicht sogar geboten sein, wenn es dem Willen des Patienten entspricht oder die medizinischen Maßnahmen wirkungslos oder schädlich sind. Das Wort "passiv" führt aber häufig zu Missverständnissen, da beispielsweise das Abschalten eines Beatmutungsgeräts an sich eine aktive Handlung darstellt. Umgehen ließe sich die Sprachproblematik, wenn man in diesem Zusammenhang vom "Sterbenlassen" sprechen würde.

Auch die christliche Ethik hält die "passive Sterbehilfe" unter entsprechenden Umständen für moralisch vertretbar. Sie stellt die Fragen: Wird der Tod des Sterbenden beabsichtigt oder lediglich zugelassen? Wird das Sterben nur hinausgezögert oder bestehen tatsächliche Heilungschancen?

Die Glaubenskongregation differenziert deshalb zwischen "verhältnismäßigen" und "unverhältnismäßigen" Mitteln in der Behandlung. Ein Verzicht auf therapeutische Maßnahmen, die zu hohe Risiken oder Schwierigkeiten bergen, ist durchaus möglich und gilt daher nach kirchlichem Verständnis nicht als "Selbstmord". Vielmehr spricht die Kongregation in diesem Fall von einem "schlichten Hinnehmen menschlicher Gegebenheiten".

Letztlich existiert auch noch der Begriff der "indirekten Sterbehilfe", eine gezielte Schmerzbekämpfung durch Medikamente. Deren Folge kann eine Beschleunigung des Sterbens sein. Neben der Schmerzbekämpfung werden auch die psychologischen, sozialen und spirituellen Probleme der Sterbenden in den Blick genommen.

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Palliativmedizin gewinnt an Bedeutung

Statt von Sterbehilfe spricht man daher bevorzugt von einer Sterbebegleitung oder auch Palliativmedizin. In einer alternden Gesellschaft, in der Menschen auch immer häufiger einsam sterben, gewinnt sie zunehmend an Bedeutung. Ihr Ziel ist das Bewahren der Menschwürde bis zum Tod, weshalb sie gesetzlich erlaubt ist und von der Kirche gefördert wird.

Doch auch der Schmerz selbst habe aus christlicher Sicht – gerade in der Sterbestunde – "eine besondere Bedeutung im Heilsplan Gottes", wie es die Glaubenskongregation formuliert. Die Schmerzen anzunehmen, um sich mit dem Gekreuzigten zu vereinigen (vgl. Mt 27,34), steht jedem Christen offen, kann aber nicht von ihm verlangt werden.

Die Gabe von Schmerzmitteln ist daher gestattet, bedarf aber einer gewissen Verhältnismäßigkeit. Das Ziel soll die Linderung des Schmerzes, aber möglichst keine vollständige Betäubung sein. So mahnte Papst Pius XII. (1939-1958): "Es ist nicht recht, den Sterbenden ohne schwerwiegenden Grund des Bewusstseins zu berauben." Vor allem aber dürfe der Tod des Betroffenen "keineswegs gewollt oder gesucht" werden, schreibt die Glaubenskongregation.

Der Patientenwille steht bei allen Formen der "erlaubten" Sterbehilfe im Vordergrund. Er kann durch den Betroffenen mündlich geäußert oder in einer sogenannten Patientenverfügung festgehalten werden. Ist der Sterbende nicht mehr entscheidungsfähig und liegt keine Verfügung vor, wird vom mutmaßlichen Willen ausgegangen, der beispielsweise bei Freunden, Verwandten oder Betreuern erfragt werden kann.

Gernot Fahls Wille war bekannt: Er verzichtete auf lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Beatmung und Ernährung. "Er ist friedlich eingeschlafen", sagt Palliativmediziner Andreas Weber, auf dessen Station der 69-Jährige seine letzten Tage verbrachte. Auch wenn Gernot Fahl nicht so starb, wie er beabsichtigte: Er habe "den würdigen Tod gesucht und gefunden", sagt sein bester Freund.

Von Christian Besner und Björn Odendahl