Stuttgarts Gemeinderat will Druck auf die Kirchen ausüben

Schlechte Erziehung

Veröffentlicht am 24.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN
Arbeitsrecht

Stuttgart ‐ Eltern tun das manchmal. In Momenten pädagogischer Hilflosigkeit koppeln sie finanzielle Zuwendungen an kindliches Wohlverhalten und verknüpfen dann etwa die Gewährung von Taschengeld mit der Ordnung im Kinderzimmer. In Stuttgart scheint man jetzt dieses schlechte Beispiel übernehmen zu wollen. Nur dass es dabei nicht um möglicherweise ungehörige Kinder geht.

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Schwäbische Kommunalpolitiker wollen mit einem höchst eigentümlichen Erziehungsstil die sogenannten "Freien Träger" im Wohlfahrtswesen auf Linie bringen. Auf die Linie der Stadt Stuttgart. In seltener Einigkeit verbanden die Gemeindevertreter in einem gemeinsamen Antrag zum Doppelhaushalt 2014/15 die Gewährung von Zuschüssen etwa für kirchliche Kindergärten mit der Forderung, bei Einstellungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso zu verfahren wie die Kommune selbst. Im Klartext bedeutet das den Versuch, auf dem Umweg über die leidigen Finanzen das kirchliche Arbeitsrecht auszuhebeln.

Bisher haben die Kirchen in Deutschland das in Artikel 140 des Grundgesetzes garantierte Recht, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Dazu gehört ein kirchliches Arbeitsrecht, das die sogar von höchster EU-Seite verbriefte Freiheit einschließt, bei der Personalauswahl eigenen Kriterien zu folgen. In der Sprache der Werbung soll damit sichergestellt werden, dass dort, wo "katholisch" draufsteht, auch "katholisch" drin ist. In der Sprache der Deutschen Bischofskonferenz ausgedrückt: Eine katholische Einrichtung muss sich "dem Auftrag Christi verpflichtet und der Gemeinschaft der Kirche verbunden" wissen.

Die Kirche kann also aus gutem Grund selbst entscheiden, wen sie als neue Leiterin für einen Kindergarten auswählt oder welche Aushilfskraft sie für den täglichen Stuhlkreis einstellt. Sie ist hier autonom und muss nicht unbedingt, wie vom Stuttgarter Gemeinderat gewünscht, denselben Regeln folgen wie die Kommunen.

Beispiele für Diskriminierung lassen sich finden

Das bedeutet eine hohe Verantwortung und kann auch manchmal in die Irre leiten. Beispiele für tatsächliche oder vermeintliche Diskriminierung lassen sich denn auch leicht finden: Verschlossene Türen für Partner gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften und Kündigungen nach dem zweiten Gang zum Standesamt wirken nicht gerade wie ein Ausweis christlicher Nächstenliebe und Toleranz. Dies gilt umso mehr, seitdem die anhaltende Diskussion über eine Wiederzulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion und der offene Umgang des Papstes mit dem Thema Homosexualität Gedankenspiele angeregt haben, die von kirchlichen Personalabteilungen allein wohl kaum wieder gestoppt werden können.

Bild: ©Daniele Pietrobelli/Fotolia.com

Jacken und Rucksäcke hängen im Flur eines Kindergartens.

Hier steht die Kirche nicht erst seit der Bauwut von Limburg und der Pleite von Weltbild unter besonderer Beobachtung. Sie muss ihr Handeln gegenüber einer kritischer gewordenen Öffentlichkeit rechtfertigen, die ihr nicht mehr automatisch den Bonus guter Werke zubilligen will. Der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes hält das indes für angemessen: "Da unsere Arbeit nicht unwesentlich, vor allem im sozialen Bereich, durch öffentliche Steuergelder finanziert ist, steht es uns gut an, über die Anstellung- und Beschäftigungsbedingungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Auskunft zu geben."

Zu verstecken sollte sie dabei nichts haben, denn die Wirklichkeit in vielen Gemeinden und sozialen Einrichtungen ist mittlerweile viel bunter als es oft vermutet wird. Obwohl selbstverständlich nach wie vor gilt, dass dort, "wo das Aufgabenfeld glaubensverkündenden Charakter hat", die Glaubwürdigkeit einer kirchlichen Einrichtung nicht zuletzt von der Identifikation ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Zielen abhängt, pflegt die Kirche schon lange keine katholische Monokultur mehr.

Sozialpolitik: "Gratifikation fürs Bravsein"

So arbeiten beispielsweise in Stuttgart für das Katholische Stadtdekanat und die Caritas zwar rund 3.000 Menschen, von ihnen ist jedoch bei der Caritas nur etwa jeder dritte katholisch. Beim Stadtdekanat beträgt der Anteil der Katholiken rund 67 Prozent. Selbst eine muslimische Erzieherin in einem katholischen Kindergarten kann sich Hermes vor diesem Hintergrund vorstellen: Nur so könne trotz eines unverzichtbar katholischen Profils der multikulturelle Anspruch eingelöst werden, der in einer Gesellschaft vieler Nationalitäten und Glaubensrichtungen nun einmal zur Anerkennung der Realität gehöre.

Viel Lärm um Nichts also? Absolut nicht. Die Stuttgarter Forderung nach staatlich-kirchlichem Gleichklang in Personalfragen ist ein Beispiel dafür, in welchem Klima Sozialpolitik in Deutschland heute vielfach betrieben wird. Angesichts knapper Kassen gerät ein finanzieller Zuschuss da leicht zu einer "Gratifikation fürs Bravsein", und es werden Dinge miteinander verbunden, die nicht zueinander gehören. Dem Staat steht es nach dem Grundgesetz nicht zu, als Erzieher der Kirche aufzutreten, der das für soziale Aufgaben vorgesehene 'Taschengeld' von ihrem Wohlverhalten abhängig machen kann.

Andererseits darf sich aber auch die Kirche nicht mehr auf eine bequeme Empfängermentalität beschränken. Nach Auffassung des Stuttgarter Stadtdekans Hermes hat sie eine "informative Bringschuld" gegenüber der Öffentlichkeit und muss über die Verwendung erhaltener Mittel offen Auskunft geben. Selbst wenn Vater Staat weiter drohen sollte: Ein Rückzug in die kindliche Schmollecke ist von der Kirche nicht mehr zu erwarten.

Von Uwe Bork

Zur Person

Uwe Bork ist Leiter der Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks (SWR).