Brasilianischer Bischof Erwin Kräutler kritisiert die hohen Kosten für die Fußball-WM

"Was haben die Leute davon?"

Veröffentlicht am 05.03.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Brasilien

Salzburg/Rio de Janeiro ‐ 100 Tage vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien nimmt auch die katholische Kirche die soziale Lage in dem lateinamerikanischen Land in den Blick. So sagte Erwin Kräutler, Bischof der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens, dass sich die Bevölkerung durch die Fußball-WM nicht mehr über zahlreiche soziale Missstände im Land hinwegtrösten lasse.

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Die Sozialproteste, die im Juni 2013 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatten, seien nicht verstummt und ihre Forderungen weiter unbeantwortet, sagte der Bischof von Xingu im Amazonas den "Salzburger Nachrichten".

Der aus Österreich stammende Kräutler genießt wegen seines Menschenrechtsengagements in Brasilien hohes Ansehen und wurde 2010 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Allerdings erhielt der 74-Jährige auch bereits mehrfach Morddrohungen, mutmaßlich im Auftrag von Holz- und Bauunternehmen, die im Amazonasgebiet tätig sind. Er kämpft unter anderem gegen Zwangsumsiedlungen von Indigenen wegen des Mega-Staudamms Belo Monte .

Kräutler: Fußballstadien viel zu teuer

Laut Kräutler ist bei der WM ein logistisches Chaos wie beim Weltjugendtag mit Papst Franziskus im Juli zu befürchten. Werde Brasilien Fußballweltmeister, könne der Jubel eine Zeit lang vieles zudecken, so seine Prognose. Wenn nicht, brächen die sozialen Fragen wieder auf: "Die Leute werden erst recht fragen: Was habe ich gehabt von der WM, wenn meine Kinder keinen Platz in der Schule bekommen, wenn ich vor dem Krankenhaus Schlange stehen muss und nicht drankomme, wenn Menschen sterben, weil sie nicht rechtzeitig operiert werden? Was habe ich gehabt von der WM, wenn ich jeden Tag zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück in einem Omnibus eingepfercht zur Arbeit fahren muss?"

Bischof Erwin Kräutler im Porträt.
Bild: ©KNA

Der aus Österreich stammende Amazonas-Bischof Erwin Kräutler setzt sich seit Jahrzehnten für die Indigenen in Brasilien ein.

Ihm bereite Sorge, dass Brasilien für die Fußball-WM viel Geld zum Fenster hinauswerfe. Dies gelte etwa für die neuen "viel zu großen und kostspieligen Fußballstadien". Vielen Brasilianern werde nun bewusst, dass große Investitionen im Land vielmehr bei der Gesundheitsversorgung, in Schulen, bei der öffentlichen Sicherheit oder im Verkehr nötig seien. Längst hätten sich angesichts entsprechender Verbote zudem auch die Hoffnungen vieler zerschlagen, mit Verkaufsständen vor Stadien etwas dazuverdienen zu können.

Präsidentin will Papst-Videobotschaft

Im Zuge der WM wünscht sich Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff offenbar katholische Unterstützung von ganz oben: Sie kündigte nach einer Audienz im Vatikan Ende Februar in der Presse an, dass Papst Franziskus in einer Videobotschaft zur Fußball-WM zu Frieden und gegen Rassismus aufrufen wolle. Die Videobotschaft sei ein Weg zu zeigen, dass "der Fußball Hunderte Nationen vereinigt und ein Gefühl der Brüderlichkeit" schaffe, sagte Rousseff. Zudem sei die am 12. Juni in Sao Paulo beginnende WM ein wichtiger Moment, um "Frieden zu verteidigen und uns gegen Vorurteile auszusprechen".

Bischof Kräutler berichtet unterdessen davon, dass die Proteste im Land andauerten, obwohl die Medien das kaum aufgriffen. Große Demonstrationen seien auch für die Zeit der WM absehbar, so der Missionar. Deren Ausgang sei völlig offen, zumal sich unter die friedlichen Demonstranten immer wieder "Chaoten und Anarchisten" mischten. Deren Ausschreitungen werde dann die ganze mediale Aufmerksamkeit zuteil, nicht den Hintergründen der Proteste. Dies verzerre die öffentliche Debatte sehr.

Die WM ist auch zum Wahlkampfthema geworden: Wie die Nachrichtenagentur KNA berichtet, sprechen sich rund 40 Prozent ganz gegen sie aus; die Zahl der Befürworter ist von fast 80 Prozent im Jahr 2008 auf nun nur noch knapp 50 Prozent geschrumpft. Weniger als drei Monate nach dem WM-Finale stehen Präsidentschaftswahlen an. Zudem sollen 2016 die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro stattfinden – auch dort gehen die Kosten in Milliardenhöhe. (luk/KNA)