Heiliges Spiel - katholische Demonstration
Frömmigkeit und Hartnäckigkeit - das waren die Antriebsfedern einer ungewöhnlichen Kirchen-Geschichte. Sie spielt in der Region Lüttich und handelt von einer Ordensfrau, die fast im Alleingang eines der katholischsten Feste überhaupt ins Leben rief. Mit 16 Jahren hatte die später heiliggesprochene Juliana aus dem Kloster der Augustinerinnen auf dem Mont Cornillon eine Vision.
Diese führte in erster Konsequenz zu ihrer Vertreibung aus dem Kloster und in zweiter Konsequenz zur Einführung des Fronleichnamsfestes. Es wurde am 11. August 1264 von Papst Urban IV. zum allgemeinen Kirchenfest erhoben.
1192 in Retinne bei Lüttich geboren, wurde das Mädchen aus betuchtem Hause mit fünf Jahren zur Vollwaise. Schon früh fiel Juliana, die in die Obhut einer Ordensfrau des Wirtschaftshofes auf dem Mont Cornillon kam, durch zwei Besonderheiten auf: durch ihren Wissensdrang und die Anziehung, die die Kapelle und vor allem der Tabernakel mit der geweihten Hostie auf sie ausübten.
Ein kleiner schwarzer Fleck auf der Mondscheibe
Zum zentralen Ereignis ihres Lebens wurde eine Vision im Jahr 1209, die sich später mehrfach wiederholte. Ins Gebet versunken, sah sie die Mondscheibe mit einem kleinen schwarzen Fleck darauf. Nach Gesprächen mit Theologen deutete Juliana ihre Erscheinung als eine Weisung Christi: Der Mond stehe für das Kirchenjahr, der Fleck aber für das Fehlen eines Festes zur Verehrung der heiligen Hostie.
Über Jahrzehnte behielt Juliana diesen Auftrag für sich. Als sie schließlich 1230 zur Oberin ihres Klosters gewählt wurde, erntete sie mit ihrem Vorstoß Spott und Widerspruch. War es aufgrund dieser "religiösen Schwärmerei" oder aufgrund ihres strengen Führungsstils, dass man sie aus ihrem Konvent vertrieb? Mit einigen Getreuen begann Juliana ein Wanderleben zwischen mehreren Klöstern der Region und lebte seit 1248 als Reklusin in Fosses - freiwillig eingeschlossen, um dort Gott allein zu dienen. Zehn Jahre später, 1258, starb sie dort. Papst Urban IV., als Jakob von Troyes bis 1251 Erzdiakon in Lüttich, Beichtvater und einer der wenigen Vertrauten Julianas, erhob das "Hochfest des Leibes und Blutes Christi" 1264, sechs Jahre nach ihrem Tod, zum allgemeinen Kirchenfest.
Das mittelhochdeutsche "vronlichnam" bedeutet "Herrenleib". Julianas ekstatische Verehrung der Eucharistie war eine Frömmigkeitsform, die für ihre Umgebung typisch war. Fronleichnam ist ein Schaufest, entstanden in einer Zeit, als die aktive Teilnahme der Gläubigen am liturgischen Geschehen weitgehend durch das Zusehen beim "heiligen Spiel" der Priester ersetzt worden war. Die frühen Christen kannten keine Verehrung der geweihten Hostie. Doch nachdem das Christentum im vierten Jahrhundert Staatsreligion wurde, übernahm es viele Herrschaftsrituale des Kaiserkults - und wurde mehr und mehr zum Schau-Spiel. Die Idee des gemeinsamen Mahls trat zurück.
Schon in den 1270er Jahren verlief die erste Fronleichnamsprozession, die dem Fest sein außergewöhnliches Gepräge geben sollte, durch die Straßen von Köln. Ein solcher Umzug war bei der Einsetzung ursprünglich gar nicht vorgesehen gewesen - und doch passt er zu Fronleichnam als ein Sinnbild gelebten Christentums. Die Prozession steht für das Ziehen des Gottesvolkes durch die Zeit.
Ein Triumphzug nach hoheitlicher Art
Der Münsteraner Kirchenhistoriker Arnold Angenendt erklärt die Idee der "Gottestracht" folgendermaßen: "Jesus Christus als der in der Hostie anwesende Gottmensch wird durch die Gemeinde getragen" - ein "Triumphzug, ganz nach hoheitlicher Art". Wie ein irdischer Herrscher hat Christus über sich den Baldachin, der das kosmische Himmelszelt symbolisiert. Hinzu kommen Fahnen, Lichter, Weihrauch - wie bei antiken Kaiser-Ehrungen.
Martin Luther galt Fronleichnam als das "allerschädlichste Jahresfest"; Prozessionen waren für ihn Gotteslästerung. Für die Katholiken war die Fronleichnamsprozession vielfach eine kämpferische und prachtvolle Demonstration ihrer Frömmigkeit. In der NS-Zeit, der großen Zeit der politischen Aufmärsche, war der Zug der Gläubigen durch die Stadt vielerorts ein Akt passiven politischen Widerstands. Eine Dimension, die die fromme Ordensfrau Juliana sicher nicht im Blick hatte.