Noch mehr Grausamkeit
Nun haben diese Ereignisse auch ihre Entsprechung in Zahlen. Das Hilfswerk Open Doors hat seinen jährlichen Weltverfolgungsindex herausgegeben: Während Nigeria erstmals in den traurigen Top-Ten der Länder mit der stärksten Christenverfolgung auftaucht, hat sich die Lage im Irak und in Syrien durch das Erstarken der Terrormiliz "Islamischer Staat" deutlich verschlechtert. Auf Platz 1 rangiert weiterhin Nordkorea.
In Syrien war die Lage noch nie so schlecht
"Die Verfolgung von Christen hat sich nach unseren Beobachtungen auch im Berichtszeitraum für den Weltverfolgungsindex 2015 weiter verstärkt", bilanziert Markus Rode, Leiter von Open Doors Deutschland. In Syrien habe durch das Kalifat des IS die Freiheit der Christen in ein Allzeittief erreicht, so der Bericht des Hilfswerks. Lebten hier vor dem Bürgerkrieg rund 1,8 Millionen Christen, seien es nun noch 1,1 Millionen – und viele davon seien Flüchtlinge im eigenen Land, berichtet Open Doors. In der Stadt Rakka gelte seit Februar ein grausamer Vertrag, so das Hilfswerk: Weiterleben dürfe nur, wer eine Kopfsteuer zahle.
Ähnlich wird die Lage im Irak beschrieben. Aus der Stadt Mossul und der Ninive-Ebene seien Christen im Jahr 2014 praktisch verschwunden. Christen, Jesiden, Shiiten und andere Minderheiten seien in Teilen des Landes vertrieben, grausam ermordet oder versklavt worden. Nach dreijähriger Abwesenheit kehrt die Türkei auf Platz 41 des 50 Länder umfassenden Index zurück. Open Doors führt das auf einen "wachsenden islamischen Nationalismus" durch Präsident Recep Tayyip Erdogan s Partei AKP zurück.
Christin Meriam Ibrahim entging im Sudan knapp der Hinrichtung
In Nigeria tragen nach den Beobachtungen des Hilfswerks auch die bevorstehenden Wahlen im Februar zu den schlechten Rahmenbedingungen bei. Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram sei ähnlich wie der IS im Nordirak vorgegangen: So habe sie in der nigerianischen Stadt Gwoza ein Kalifat ausgerufen und sich mit äußerster Brutalität über den gesamten Bundesstaat Borno ausgebreitet. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt ist zudem der Sudan mit Platz 6 wieder unter den ersten 10 Ländern des Weltverfolgungsindex. Beispielhaft nennt das Hilfswerk den Fall der Christin Meriam Ibrahim , der erst durch internationalen Druck einer staatlichen Hinrichtung entging.
Dokumentation: Gregor von Fürstenberg, Vizepräsident von Missio Aachen, über Christen in Bedrängnis (Statement zur Herbstvollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken 2014)
Ungeachtet der deutlichen Verschlechterungen im Nahen Osten und in Afrika: An der Spitze des Indexes steht weiterhin Nordkorea , das diesen Platz bereits seit dreizehn Jahren ununterbrochen belegt. Dort betrachte der Staat den christlichen Glauben als Bedrohung, so Open Doors. Das Hilfswerk schätzt, dass es in Nordkorea noch etwa 200.000 bis 400.000 Untergrundchristen gibt, von denen sich bis zu 70.000 als "Feinde des Regimes" in Arbeitslagern befinden.
Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussionen um Pegida-Bewegungen ist Open-Doors-Leiter Markus Rode eine Feststellung besonders wichtig: Der Weltverfolgungsindex dürfe "in der derzeit spannungsgeladenen Diskussion zur Stellung des Islam in Deutschland nicht für politische Ziele und Sichtweisen instrumentalisiert werden", erklärte er. Open Doors gehe es vorrangig darum, das Unrecht, das den verfolgten Christen weltweit wiederfahre, an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen.
Den Weltverfolgungsindex gibt Open Doors jedes Jahr im Januar heraus. Der Berichtszeitraum für den jetzt veröffentlichten Index ist vom 1. November 2013 bis zum 31. Oktober 2014. Bei seinen Beobachtungen zur Religionsfreiheit von Christen berücksichtigt es nach eigenen Angaben die Bereiche Privatleben, Familie, Gesellschaft, Leben im Staat und kirchliches Leben. Das Hilfswerk arbeitet mit Menschenrechtsexperten und Wissenschaftlern zusammen und befragt betroffene Christen.
Von Gabriele Höfling