Mystik und Askese

Veröffentlicht am 17.10.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Gedenktag

Alcantara ‐ Glaube braucht Glaubwürdigkeit. Diese besaß wie kaum jemand Petrus von Alcan-tara, geboren 1499 im väterlichen Gouverneurspalast der spanischen Heimatstadt am Tajo, hart an der Grenze zu Portugal. Der Mystiker predigte nicht nur Buße und Armut im Geist des Ordensgründers, des heiligen Franz; er lebte die strenge Askese, die rigoristischen Tugenden auch, ohne ein selbstquälerischer Sauertopf zu werden - zum Entsetzen, zur Bewunderung seiner Zeit.

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Den familiär vorgezeichneten Weg der Politik hatte er nicht eingeschlagen, sondern war mit 16 Jahren als Novize dem Bettelorden beigetreten, um ein extremes Vorbild vorzuleben und den Orden zu erneuern. Am 18. Oktober 1562 ist San Pedro de Alcantara in Arenas bei Avila gestorben.

Die heilige Teresa, die seiner Autorität in Madrid und Rom den notwendigen Rückhalt für ihre erste Klostergründung in Avila verdankte, hat ihm nach seinem Tod ein literarisches Denkmal gesetzt: "Der heilige Mann" habe als mittelloser Barfüßer "die Welt unter den Füßen" gehabt. Mit einem Geist "so stark wie in früheren Zeiten" des heiligen Franz habe er sich nicht von materialistischen Versuchungen versklaven lassen, auch nicht von den Lockungen der "Welt" wie Macht und Ansehen, Reichtum und Konsumterror. Er war damit ein Gegenbild zu Machtmissbrauch und Ausbeutung der Konquistadoren in Südamerika. Die Karmelitin hatte wie der Franziskaner erfahren, dass das Ordensleben nicht mehr der apostolischen Begeisterung der Gründerzeit entsprach.

Rigorose körperliche Züchtigungen

Teresa hat Petrus erst im Sommer 1558 kennengelernt. Er muss ihr als leibhaftiges Abbild eines Lebens in Selbstüberwindung und -kasteiung gewesen sein: Er habe ausgesehen wie „aus Baumwurzeln zusammengeflochten“: ein starkes Bild, das Teresa aus ihrer vorklösterlichen Bücherwelt der Ritterromane geschöpft hat. Teresa berichtet in ihrer Lebensgeschichte, Petrus habe "täglich jeweils nur eineinhalb Stunden" geschlafen. In seiner winzigen Zelle habe er sich nicht ausstrecken können, sondern mit dem Kopf gegen ein an der Wand befestigtes Brett gelehnt geruht. Die Karmelitin selbst hat bei aller persönlichen Neigung zur Askese von solchen Exzessen der Bußpraktik wenig gehalten. Die Klosterzelle Petrus' war keine anderthalb Meter lang und muss einer Hundehütte eher geglichen haben als einer menschlichen Behausung.

Ein um Heiligung ringendes Leben war für Petrus eine Existenz wie die der armen Bauern auf dem Land, ohne Schuhe - wie heute oft in der Dritten Welt. Das Büßerleben wurde abgerundet durch rigorose körperliche Züchtigungen wie Bußgürtel, Geißelungen oder Fasten. Auf die erstaunte Nachfrage Teresas, wie man mit Nahrungs-aufnahme nur alle drei Tage existieren könne, soll er geantwortet haben, dies sei alles eine Sache der Gewöhnung.

Ingebgriff jeder Kolsterreform

Als "Barfüßer" - bald Inbegriff jeder strengen Klosterreform nicht nur bei Franziskanern - ist Petrus über die Pyrenäen nach Rom gezogen, um nach Jahren der selbst vergewissernden Einsamkeit in den Bergen die Erlaubnis zu Klostergründungen bei Papst Julius III. zu erwirken. Bereits mit 20 Jahren wurde er Guardian, Leiter eines franziskanischen Konvents.

Der rigorose Reformer hatte immer wieder erdrückend scheinenden Widerstand zu überwinden, bis er sein Lebenswerk mit der Gründung der Ordensprovinz St. Joseph krönen konnte. Petrus machte seinem Beinamen Alcantara - sein Geburtsort heißt arabisch die Brücke, nach der dortigen besterhaltenen Römerbrücke - alle Ehre: Dem Heiligen gelang der Spannungsbogen vom kontemplativen Leben der Stille zu aktivem Wirken als Reformator.

Einheit von Wort und Tat

Petrus, Patron der Provinz Estremadura und Brasiliens, hatte großen Einfluss auf der iberischen Halbinsel: Überzeugend mit seinem gelebten Vorbild, besaß er großes Organisationstalent und eine mitreißende Begabung als Redner. Bewusst wandte er sich an die arme Landbevölkerung, erreichte aber ebenso den Adel, die Könige von Spanien und Portugal, die ihn am liebsten ständig am Hof gesehen hätten. Die Einheit von Worten und Taten überzeugte die Menschen. Teresa schätzte seinen weit verbreiteten, kleinen Leitfaden über das innerliche Beten in der Muttersprache, den Tratado de la oracion y meditacion, "weil er es selbst eingehend geübt hatte" und keine abgehoben theologischen Theorien vertrat.

Unter dem entscheidenden Einfluss von Petrus hat Teresa ihr erstes Kloster in Avila im August 1562 ohne die Sicherung eines festen Einkommens - allein auf Almosen angewiesen - gegründet und mit seiner Hilfe gegen massiven Widerstand durchgesetzt. Nach seinem Tod musste die Autorität des "heiligen Manns", auf dessen Visionen sich Teresa nun berief, weiterhelfen, um die absolute Armut zu verteidigen. Bei späteren Klostergründungen sollte sie zwar die rigoristische Strenge in Anpassung an die Wirklichkeit bisweilen mildern. Aber die Karmelitin bewahrte den Geist des großen Reformers, der seinerzeit die seltene Ansicht vertrat, dass Frauen über größere spirituelle Kräfte verfügen als Männer.

Von Anselm Verbeek