Abt Gregory Collins über sein Wirken in der Dormitio-Abtei in Jerusalem

"Es ist eine komplexe Welt"

Veröffentlicht am 27.06.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Israel

Jerusalem ‐ Ein Kloster kann einen offenen Raum schaffen, in dem Menschen sich frei genug fühlen, einzutreten, sagt Gregory Collins. Seit knapp zwei Jahren ist der 53-jährige Ire Vorsteher der deutschen Benediktiner auf dem Jerusalemer Zionsberg. Die Dormitio-Abtei (siehe Info-Kasten unten) mit der markanten Silhouette ist eine Drehscheibe des Dialogs zwischen Kulturen und Religionen. Der Byzantinistik-Experte spricht über seine Erfahrungen und die Herausforderungen für die benediktinische Präsenz im Heiligen Land.

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Frage: Abt Gregory, Sie haben von Ihrem Vorgänger Benedikt Lindemann ein gut aufgestelltes Kloster übernommen.

Gregory Collins: Mein Vorgänger war 16 Jahre im Amt und hat eine Reihe von materiellen Verbesserungen vorgenommen. Er hat das Klosterprojekt in Tabgha begonnen, das quasi zu Zweidrittel fertiggestellt war, als ich ankam. Er hat die finanzielle Basis abgesichert und Berufungen angezogen. Und er hat eine sehr regelmäßige, schöne Liturgie eingerichtet - das Kloster war also in guter Kondition.

Frage: Seit Sie im Amt sind, hat es auch einige Veränderungen gegeben...

Collins: Tabgha wurde fertiggestellt. Wir hatten einige personelle Veränderungen und seit Januar einen Novizen aus Berlin. Außerdem haben wir den Stundenplan verändert und jeden Abend 45 Minuten für die Lectio Divina eingeführt. Ich meine, das monastische Leben braucht diese individuelle Dimension des Gebets, Liturgie allein genügt nicht.

Frage: Und die nächsten Projekte?

Collins: Wir hoffen, in den kommenden beiden Jahren mit der umfassenden Renovierung der Kirche beginnen zu können. Neben der Reinigung und Reparaturen an der Bausubstanz sollen der Mönchschor neu gestaltet und der temporäre Altar und Ambo durch eine definitive Lösung ersetzt werden. Die Krypta soll ein diskreteres Beleuchtungssystem und eine eigene Sakramentenkapelle erhalten.

Bild: ©KNA

Gregory Collins, Abt der deutschen Benediktinerabtei Domitio in Jerusalem.

Das größte Projekt ist das zukünftige "Haus Benedikt". Seit 30 Jahren reden wir über die Einrichtung eines eigenen monastischen Gästehauses, in dem Besucher ohne Kosten übernachten können. Allerdings müssen wir noch viel Fundraising betreiben. Das Grundstück ist da, die Pläne sind fertig, nur das Geld fehlt noch. Ohne Gästehaus sind wir sehr eingeschränkt in der Möglichkeit, Menschen aufzunehmen, die im Kloster mitleben wollen.

Frage: Die Dormitio ist seit jeher ein Hotspot für den Dialog der Kirchen und Religionen, nicht zuletzt durch die geografische Lage. Wie lebt es sich damit innerhalb der Gemeinschaft?

Collins: Als erstes müssen wir interreligiösen von ökumenischem Dialog unterscheiden; jeder hat eine unterschiedliche Dynamik und je eigene Grundregeln. Auf der ökumenischen Ebene haben wir eine ausgezeichnete Beziehung mit den beiden protestantischen Kirchen.

Auch mit den Armeniern haben wir eine lange, sehr freundschaftliche Beziehung. Mit den anderen orthodoxen Kirchen bestehen gute Verbindungen auf offizieller Ebene. Und unsere ist Gemeinschaft theologisch an den anderen Kirchen interessiert, ich zum Beispiel habe einen Doktortitel in byzantinischer Theologie.

Frage: Und auf interreligiöser Ebene?

Collins: Was ich in zwei Jahren gelernt habe: Es ist eine komplexe Welt. Man kann etwa nicht einfach sagen "Wir haben Kontakte zu Juden" - es gibt so viele verschiedene jüdische Gemeinschaften. Wir sind über das Studienjahr im Austausch mit dem Hebrew Union College. Ich hoffe, das ausbauen zu können.

Frage: Sie sind in den ersten beiden Jahren Ihrer Amtszeit oft in Deutschland gewesen - wie wird die Dormitio dort wahrgenommen?

Collins: Eine schwierige Frage - ich kann ja nur beschreiben, wie ich wahrnehme, dass man uns wahrnimmt. Was ich feststelle, ist ein enormes Interesse. Viele waren hier als Pilger, es gibt einen hohen Unterstützungsgrad für uns und eine große Sympathie. Wer in Deutschland sagt, ich bin Abt in Jerusalem, erntet Neugier.

Frage: Wenn Sie den klösterlichen Kontext verlassen, wie nehmen Sie die gegenwärtige Situation hier wahr?

Collins: Verglichen mit dem, wie es von außen ausschaut, ist es von innen betrachtet unendlich komplexer. Insbesondere Medien tendieren zu einer sehr vereinfachenden Darstellung. Ich bin in Belfast aufgewachsen, ich bin mir also dessen bewusst, dass in einem politischen oder sozialen Konflikt nicht einfach eine Seite Recht hat und die andere falsch liegt. Im Allgemeinen vermeide ich aber politische Kommentare. Denn in Belfast hat es mich auch gestört, wenn Außenstehende oberflächliche Urteile zu der sehr komplexen Realität abgegeben haben. Außerdem bin ich nicht Bischof und verfüge über kein Leitungsamt in der Kirche. Die Aufgabe eines Mönches ist nicht, die soziale oder politische Lage zu kommentieren - außer auf einem allgemeinen Level.

Frage: Ihre Wünsche für Ihre Gemeinschaft und diesen speziellen Ort?

Bild: ©Katja Sucker / Fotolia.com

Die Dormitiokirche auf dem Berg Zion in Jerusalem.

Collins: Dass es hier weiterhin eine offene christliche Präsenz gibt. Das kann ein Kloster leisten, weil es einen offenen Raum schafft, in dem Menschen sich frei genug fühlen. Was ein Kloster ausmacht: Es gibt eine Gruppe von Menschen, deren ganzes Leben dem Ideal gewidmet ist, die Verbindung zu Gott zu suchen, wie auch immer wir Gott verstehen. Es gibt ein wirkliches Gebetsleben, den Tag durch und durch das Jahr, in das Menschen einfach eintreten können. Und im Kloster trifft man jegliche Art von Menschen, die man sonst nicht treffen würde. Wie überhaupt in Jerusalem, mehr noch als in Rom.

Ich hoffe, es wird uns weiterhin gelingen, Berufungen zu haben, um eine christliche Präsenz hier auf dem Zionsberg aufrechterhalten zu können. Aber ich mache mir darüber keine Sorgen, da soll Gott nach schauen: Wenn ich nachts ins Bett gehe, sage ich zu Gott, "dies ist Dein Kloster, nimm es". Letzten Endes liegt es nicht in meiner Verantwortung.

Frage: Stichwort Rom: Was denkt ein Benediktiner-Abt von einem jesuitischen Papst namens Franziskus?

Collins: Ich bin erfreut! Er ist eine sehr interessante Person, Nicht-Europäer und Jesuit. Er kommt aus einem anderen politischen und sozialen Kontext, er hat seinen eigenen Stil und andere Prioritäten. Sein Name ist Franziskus. Die Franziskaner hier sind wirklich diejenigen, die mit der Ortskirche verbunden sind, während wir eher eine Art internationales Zentrum sind.

Frage: Gibt es eine Rivalität zwischen Benediktinern und Franziskanern im Heiligen Land?

Collins: Wir haben eine sehr freundschaftliche und gute Beziehung. Ich würde sagen: Benediktiner und Franziskaner ergänzen einander. In Assisi bekam Franziskus von den Benediktinern eine Kirche geschenkt, und nach der Überlieferung bestand Franziskus auf einer Mietzahlung, die er in Form von Fisch ablieferte. Es sind unterschiedliche Lebensstile, aber schlussendlich vereint uns der Wunsch, das Wort Gottes zu tun. Das ist die Essenz religiösen Lebens.

Das Interview führte Andrea Krogmann (KNA)

Stichwort: Dormitio-Abtei

Die deutschsprachige Benediktinerabtei der Dormitio gehört als Blickfang zur Silhouette Jerusalems. Der Bau des Klosters auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt begann im März 1906. Es befindet sich dort, wo die kirchliche Tradition das Pfingstereignis verortet, das als Geburtsstunde der Kirche gilt. Seine Entstehung verdankt das Kloster einem Besuch von Kaiser Wilhelm II. in Jerusalem. Im Oktober 1898 nahm er an der Einweihung der evangelischen Erlöserkirche teil. Um den konfessionellen Proporz bedacht, kaufte er auch ein Grundstück, das er dem Deutschen Verein vom Heiligen Land überließ. Acht Jahre später trafen die ersten drei Mönche aus der süddeutschen Abtei Beuron ein und begannen mit dem Bau eines Klosters, das an "Mariä Heimgang" (lateinisch: "Dormitio Mariae") erinnern sollte. 1910 wurde die Kirche geweiht, das Kloster 1926 zur Abtei erhoben. Von 1948 bis 1951 waren die Mönche ausquartiert, weil das Kloster nahe an der Grenze zwischen Israel und der - damals jordanischen - Altstadt lag. Seit Ende der 1960er Jahre gewann die Abtei an Bedeutung, wofür Laurentius Klein (1928-2002) als Abt von 1969 bis 1979 entscheidende Weichen stellte. Unter anderem begründete er 1973 ein ökumenisches Theologisches Studienjahr für Studierende aus dem deutschsprachigen Raum. (KNA)