Der "Medien-Papst"
Wieder einmal ist die Kirche ein bedeutendes Thema in den Medien – doch dieses Mal in positiver, ja geradezu euphorischer Weise. Nach den Negativschlagzeilen rund um den Missbrauchsskandal rettete Benedikt XVI. mit seinem überraschenden Amtsverzicht die Kirche und ihre Gläubigen zu Jahresbeginn aus dem Stimmungstief. Schon die ungewöhnliche Abdankung eines Papstes würdigten Kommentatoren als mutigen Schritt. Zudem wurde schlagartig die Aufmerksamkeit weg von unerfreulichen Themen hin nach Rom gelenkt.
Der Hubschrauber-Flug Benedikts nach Castel Gandolfo, den die "Bild"-Zeitung auf ihrer Titelseite mit den Worten "Hier fliegt unser Papst in Rente" kommentierte, lieferte hollywoodreife Bilder. Den ersten Auftritt von Franziskus verfolgten so viele Fernsehzuschauer, wie sich sonst nur bei Turnierspielen der deutschen Fußballnationalmannschaft vor den Bildschirmen versammeln. Und dabei blieb es nicht: Papstreisen nach Lampedusa, Rio und Assisi wurden aufmerksam verfolgt und wohlwollend kommentiert. Noch immer blicken Journalisten gebannt in Richtung Vatikan, weil Franziskus keine Woche verstreichen lässt, ohne aufs Neue für Furore zu sorgen. Das jüngst der Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica" gegebene Interview dürfte nur ein weiterer vorläufiger Höhepunkt gewesen sein.
Die Auftritte des neuen Papstes sorgen für zahlreiche Berichterstattungen
Dies schlägt sich auch quantitativ in der Berichterstattung nieder, so zum Beispiel beim Leitmedium Fernsehen. Schon Mitte des Jahres hatten die Berichte über kirchliche und religiöse Ereignisse in den Hauptausgaben der Fernsehnachrichten von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 gemessen in Sendeminu-ten jenes Niveau erreicht, das in den Jahren zuvor von den Redaktionen übers gesamte Kalen-derjahr hinweg weltanschaulichen Themen zugebilligt worden war. Inhaltsanalysen des Kölner Instituts für empirische Medienforschung zeigen, dass in den sechs reichweitenstärksten TV-Nachrichten – von der "Tagesschau" um 20 Uhr mit durchschnittlich 9 Millionen Zuschauern bis zu den Sat.1–Nachrichten mit 1,8 Millionen Zuschauern – bis einschließlich August fast zwölf Stunden lang über die Kirche berichtet wurde. Nebenbei bemerkt: hauptsächlich über die katholische Kirche, die im Vergleich zu den Protestanten medial deutlich bevorteilt wird.
Die Kirche ist wieder Schlagzeilen wert, sogar häufiger noch als im skandalträchtigen Jahr 2010, als man sich als Katholik wünschte, es gäbe keinen Anlass mehr für Schlagzeilen. Ein Großteil der Sendezeit in der ersten Jahreshälfte entfiel allerdings auf gerade einmal sechs Wochen. Der Rücktritt Benedikts war laut Kölner "InfoMonitor" das wichtigste Nachrichtenthema im Februar, und das Konklave findet sich auf Platz zwei der Top-Ten-News für den März. Das erinnert an 2005, als die Kirche insbesondere im April in den Fokus der Medien rückte. Allerdings wurde damals über das wochenlange Leiden und den Tod von Johannes Paul II. sowie die Wahl des deutschen Papstes allein 18 Stunden berichtet. Die "Wir sind Papst"-Euphorie des Jahres 2005, die sich im August beim Weltjugendtag in Köln fortsetzte, danach jedoch schlagartig abebbte. Sie konnte von Franziskus acht Jahre später nicht getoppt werden – jedenfalls rein quantitativ betrachtet.
Wellen der Sympathie für Franziskus
Qualitativ zeichnet sich ein anderes Bild ab. Während ein Großteil der Medien Papst Benedikt zu Beginn seines Pontifikats noch skeptisch beobachtete und erst beim Weltjugendtag die Zurückhaltung einer allgemeinen Euphorie wich, schlagen Franziskus die Wellen der Sympathie von Beginn an entgegen. Kritische Nachfragen zur Vergangenheit von Jorge Mario Bergoglio und dessen Haltung während der argentinischen Militärdiktatur versendeten sich innerhalb weniger Tage. Was bis heute blieb, ist eine Mischung aus Verwunderung, Bewunderung und Hoffnungen auf Wunder. Die Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart" stellte unlängst fest: "Medien, die sonst beißenden Spott über eine ewiggestrige katholische Kirche gießen, erheben Franziskus zum Sinnstifter. (...) Wir erleben nicht einfach einen Wetterumschwung, der morgen wieder verflogen ist, sondern einen Klimawandel, der die Kirche und ihre Wahrnehmung radikal verändert."
Woher aber rührt das anhaltende Medieninteresse an Papst Franziskus und die Begeisterung über dessen Gesten und Worte? Da sind zum Beispiel die Nachrichtenwerte Prominenz und Einfluss, die mit dem Papstamt verbunden sind. Seit der massenhaften Verbreitung von Medien und der technischen und institutionellen Ausgestaltung des Nachrichtenwesens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfolgen Korrespondenten aufmerksam das Geschehen im Vatikan, insbesondere wenn es zu einem Wechsel auf dem Stuhl Petri kommt. Der Gießener Historiker René Schlott zeigt in seiner 2012 veröffentlichten Dissertation eindrucksvoll, wie sich das Ereignis Papsttod seit 1878 zunehmend medialisierte, auch indem der Vatikan dessen Inszenierung an die sich wandelnden Bedürfnisse einer Mediengesellschaft anpasste. Auch das diesjährige Konklave lieferte wieder eindrucksvolle Bilder, die vor allem das Fernsehen benötigt, um anhaltend berichten zu können. Ob es wohl Zufall war, dass die Wahl Bergoglios ausgerechnet zur Primetime (aus europäischer Sicht) bekanntgegeben wurde?
Franziskus handelt, wie er ist: unkompliziert und direkt
Dass Franziskus bis heute ein Medienthema blieb, hat viel mit seinem Wesen zu tun. Das unkonventionelle Auftreten eines Papstes, der seine Hotelrechnung bezahlt, mit einem einfachen Auto fährt und unvermittelt bei Leuten anruft, verwundert und entzückt zugleich. Man kann davon ausgehen, dass Franziskus einfach so natürlich handelt, wie er ist – unkompliziert und direkt. Doch selbst wenn ein wenig Berechnung dabei ist: Die Gesten des Papstes sind wie geschaffen für die schnelle Medienwelt, die Radiobeiträge in eineinhalb Minuten presst und deren Agenda von 140-Zeichen-Tweets und Facebook-Fotos mitbestimmt wird. Symbolische und emotionale Bilder transportieren eine Botschaft medial kompatibler als eine hundertseitige Enzyklika.
Der wichtigste Medienfaktor aber ist: Papst Franziskus weckt durch seine Ankündigungen viele Hoffnungen auf Reformen innerhalb der katholischen Kirche, die von den in weltanschaulichen Fragen liberal eingestellten säkularen Medien seit Jahren angemahnt werden. Dass die Kurie dringend umstrukturiert werden muss, wird noch eher als kircheninternes Desiderat betrachtet. Auch weiterhin werden sich die Blicke der Medien vor allem darauf richten, ob die Kirche eine Kursänderung vornehmen wird bei den "Klassiker"-Themen Sexualmoral, Rolle der Frau oder Zölibat, die vielen Medienberichten über Papst und Kirche fast schon automatisch als "To-Do-Liste" angehängt werden.
Ob die positive Stimmung in den Medien dauerhaft anhält, wird stark davon abhängen, welche konkreten Entscheidungen Papst Franziskus seinen Ankündigungen folgen lässt. So lange kosten wir die Wohlfühlatmosphäre noch aus: Es macht wieder Spaß, katholisch zu sein.
Von Christian Klenk