Zweiter Anlauf

Anfang 2013 hatten die Bischöfe die Zusammenarbeit mit dem Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer (70) aufgekündigt. Das von seinem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) 2011 begonnene Forschungsprojekt sollte durch umfangreiche Aktenstudien belastbare Zahlen zum Missbrauch erbringen, den Verlauf der Taten aus der Sicht der Opfer nachvollziehen, das Handeln der Täter analysieren und klären, wie sich die Kirche gegenüber Tätern und Opfern verhalten hat.
Doch es kam zum Zerwürfnis: Das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet, hieß es bei der Bischofskonferenz. Man habe sich nicht auf die Untersuchungsmethoden einigen können. Pfeiffer wurden Sprunghaftigkeit und mangelnde Seriosität vorgeworfen. Allerdings gab es auch kirchenintern erhebliche Widerstände gegen das Projekt, in dem der Wissenschaftler Einblick in möglichst viele Personalakten der 27 deutschen Bistümer erhalten sollte. Das "Netzwerk katholischer Priester" etwa kritisierte fehlenden Datenschutz und verwies auf den im Kirchenrecht vorgesehenen Umgang mit Akten.
Pfeiffer sprach von Zensur und Aktenvernichtung
Der mediengewandte Pfeiffer ließ sich das nicht bieten: Er sprach von Zensur und Aktenvernichtung. Zugleich ließ er allerdings durchblicken, dass er sexuellen Missbrauch in der Kirche für nicht weiter verbreitet hält als in anderen Teilen der Bevölkerung. Es gebe sogar "Anhaltspunkte dafür, dass die Priester im Vergleich zu Männern ihrer Altersgruppe unterrepräsentiert sind".

Der Trierer Bischof und Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann.
Kritiker sprachen den Bischöfen daraufhin den Willen ab, ernsthaft an Aufklärung interessiert zu sein. Doch die Bischofskonferenz hielt an dem Forschungsprojekt fest. Im September schrieb sie die Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" neu aus - allerdings nicht als One-Man-Show, sondern als "Interdisziplinäres Forschungsverbundprojekt" , an dem Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen beteiligt sein sollen. Zugleich versprach der Missbrauchsbeauftragte, Bischof Stephan Ackermann, die Bischöfe würden alle benötigten Akten zur Verfügung stellen - auch jene aus den sogenannten Geheimarchiven.
Die Entscheidung über die Vergabe traf ein Beraterkreis, dem neben Ackermann der Würzburger Generalvikar Karl Hillenbrand, der Mediziner Jörg M. Fegert und die Bundesvorsitzende des Weissen Rings, Roswitha Müller-Piepenkötter, angehören. Wesentliche Ziele sind danach die Erhebung von verlässlichem Zahlenmaterial sowie eine stärker qualitative Untersuchung von Täterstrategien, Opfererleben und institutionellen Aspekten.
Missbrauchsskandal war Anfang 2010 ans Licht gekommen
Der Missbrauchsskandal war Anfang 2010 ans Licht gekommen und hatte die Kirche in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt. Eine Rekordzahl von 181.193 Katholiken kehrte damals der Kirche den Rücken. Ebenso wurden aus evangelischen und aus weltlichen Einrichtungen wie der Odenwaldschule Übergriffe bekannt. Die meisten lagen Jahrzehnte zurück, viele waren verjährt, manche Täter bereits tot.
Die Bischöfe reagierten mit einer Serie von Maßnahmen. Im März 2010 entschuldigten sie sich bei den Opfern. Im Sommer verschärften sie die Leitlinien für den Umgang mit den Tätern. Als erste Institution beschloss die Bischofskonferenz ein Modell zur materiellen Anerkennung des Unrechts. Demnach erhalten Opfer bis zu 5.000 Euro.
Ein zweites Forschungsprojekt verlief reibungslos. Die vom Direktor des Essener Instituts für Forensische Psychiatrie, Norbert Leygraf, durchgeführte Studie wurde bereits Ende 2012 vorgestellt. Leygraf analysierte forensische Gutachten und kam zu dem Schluss, dass Priester, die Minderjährige missbrauchen, in den seltensten Fällen in klinischem Sinne pädophil seien. Die Taten würden zumeist vor dem Hintergrund einer persönlichen Krise begangen.
Von Christoph Arens (KNA)