"Spiritualität als Motivator"
Frage: Herr Frick, was sind die wichtigsten Erkenntnisse ihrer Studie?
Frick: Dass nicht die äußeren Faktoren wie beispielsweise die Pfarreigröße die Hauptursache für psychosomatische Belastungen wie körperliche Beschwerden, Angst und Depressionen bei Seelsorgenden sind. Es sind die inneren Faktoren: die Art, wie der Betroffene die Belastung wahrnimmt, oder was er von sich selbst erwartet. Das heißt aber keineswegs, dass die äußeren strukturellen Verhältnisse unwichtig wären. Es kommt darauf an, welche Kraftquellen, welche Ressourcen die Einzelnen haben, um damit umzugehen.
Frage: Hat sie ein Ergebnis besonders überrascht?
Frick: Wir haben herausgefunden, dass die persönliche Spiritualität ein großer Motivator für das seelsorgliche Engagement ist. Dabei geht es aber nicht um die Anzahl der besuchten Gottesdienste oder gebeteten Psalmen, sondern um das Erleben des Transzendenten im täglichen Leben. Es ist das persönliche alltägliche Erleben, verbunden mit dem tragenden Grund, dem Bezug zu Gott. Das gilt aber nicht nur innerhalb der katholischen Kirche, sondern ist allgemein in der Spiritualitätsforschung belegt.
Frage: Was bedeutet das konkret für kirchliche Angebote? Ihre Studie besagt beispielsweise, dass 54 Prozent der Priester nur einmal oder noch seltener im Jahr zur Beichte gehen. Bei den Pastoralassistenten sind es sogar 91 Prozent.
Frick: Ob die Zahlen gering oder hoch sind, hängt natürlich von den Maßstäben ab. Man kann sie einerseits als gewisse Krise des Beichtsakraments interpretieren, als einen allgemeinen Trend im deutschen Sprachraum, der eben auch bei den Seelsorgern selbst auftritt. Man kann es andererseits aber auch als Neuorientierung interpretieren. Der persönliche Weg wird stärker gewichtet als die Verpflichtung zu einer regelmäßigen Beichte. Man könnte dann von einer Vertiefung des Bußsakraments sprechen.
Frage: Welche Rolle spielt das spirituelle Leben denn für die Gesundheit der Seelsorger?
Frick: Für alle Seelsorgeberufe spielt die tägliche Transzendenzerfahrung eine erhebliche Rolle. Probleme mit der Spiritualität bezeichnen wir konkret als "geistliche Trockenheit". Wenn in diesem Bereich beispielsweise Lustlosigkeit oder Schwerfälligkeit auftreten, kann das ein Alarmsignal sein und auf eine Depression hinweisen. Das legt der Begriff "Austrocknung" ja bereits nahe. Es kann aber auch eine Krise sein, die überwunden wird, und nach der die Wüste wieder blüht, um im Bild zu bleiben. Genauso können sich Ressourcen wie eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung (Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Anm. d. Redaktion) positiv auf die spirituelle Lebendigkeit auswirken.
Frage: Welche Rolle spielt die Anerkennung? Fühlen sich die Seelsorger in ihrer Arbeit ausreichend anerkannt?
Frick: Das ist sehr unterschiedlich. Gemeindereferenten fühlen sich laut Studie weniger anerkannt als beispielsweise Priester oder Diakone. Das ist ein wichtiger Punkt unserer Studie. Denn Belastung und Anerkennung stehen in einem Wechselverhältnis. Wenn die Belastung sehr stark wird, muss auch die Anerkennung steigen. Wenn die Anerkennung bereits hoch ist, kann umgekehrt eine höhere Belastung besser ausgehalten werden.
Frage: Der Priester hat unter den Seelsorgern noch einmal eine herausragende Stellung. Macht sich das auch in der Studie bemerkbar? Wenn ja, wie?
Frick: Es gibt viele Merkmale, die von allen geteilt werden. Zum Beispiel die Bedeutung der Spiritualität. Die Unterschiede der Priester zu den anderen Seelsorgern liegen vor allem im Bereich der Beziehungen. Beziehungen können Kraftquellen sein. Und da haben Priester deutlich geringere Ressourcen. Das hängt zum Teil mit dem Zölibat zusammen, aber beispielsweise auch mit der Wohnform der Priester und der Frage, wie sie sozial eingebettet und wo sie beheimatet sind. Schlechter schneiden die Priester aber auch beim Kohärenzgefühl ab. Das bedeutet, dass Priester verschiedene Lebensereignisse, -eindrücke und -phasen deutlich schwerer verarbeiten und zu einer Biografie zusammenführen können. Das ist ein wichtiger Faktor in der Lebensbewältigung und hat Einfluss darauf, ob jemand gesund ist und bleibt.
„Beziehungen können Kraftquellen sein. Und da haben Priester deutlich geringere Ressourcen.“
Frage: Auffällig ist auch, dass laut Studie jüngere Priester stressempfindsamer sind als ältere. Woran liegt das?
Frick: Das ist wohl eine Sache des Lernens. Die Priester, die mit ihrer Biografie im Einklang sind, sind dann auch in der Lage, mit Spannungen und Umbrüchen umzugehen. Sie können unterschiedliche Aufgaben besser bewältigen und auf neue Situationen eingehen, ohne sich zurückzuziehen. Das kommt aber nicht allein mit dem Alter, sondern muss auch in der Ausbildung der Priester stärker eingeübt werden. Auf die Spiritualität angewendet, bedeutet das beispielsweise: Sie darf nicht gespeist sein von einem Verpflichtungscharakter, sondern muss in sich für Entwicklungen offen sein. So wie sich der ganze Mensch durch Beziehungen und Erfahrungen weiterentwickelt. Es geht nicht um eine dem Priesterstand entsprechende Spiritualität, die besagt "Ich habe etwas, was ihr nicht habt", sondern um eine Suche nach der geistlichen Verwurzelung im Alltag. Das muss am Anfang in den Priesterseminaren grundgelegt werden.
Frage: Kommen wir noch einmal auf die sozialen Beziehungen der Seelsorger zurück. Was unterscheidet hier die Priester von den anderen kirchlichen Seelsorgern?
Frick: Sie sind weniger gut darin, sich Beziehungen zu erschließen. Das hängt einerseits mit der Rolle des Priesters innerhalb der Gesellschaft zusammen. Andererseits gibt es auch hier einen Zusammenhang mit der zölibatären Lebensform. Wir haben festgestellt, dass zwei Drittel der Priester mit dem Zölibat klarkommen, es ein Drittel aber belastet. Knapp die Hälfte der Priester würde den Zölibat als Lebensform nicht unbedingt wieder wählen. Das ist eine Zahl, die nicht zu vernachlässigen ist. Sie zeigt, dass es viele Geistliche gibt, die Unterstützung benötigen.
Frage: In Ihrer Studie heißt es, dass sich der "Umgang mit dem Zölibat als maßgeblich für die Lebenszufriedenheit und somit auch für die seelische Gesundheit der Priester erweist". Was bedeutet das?
Frick: Das bedeutet, dass es relevant ist, ob der Priester das Fehlen eigener Kinder oder der gelebten sexuelle Beziehung als etwas Negatives in den Vordergrund stellt oder ob daraus auch eine Offenheit und etwas Fruchtbares erwächst. Die Frage ist, ob die einzelnen Priester das tatsächlich erleben oder es nur graue Theorie bleibt. Zumindest kann man nicht einfach behaupten, der Zölibat führe zu einer psychosomatischen Erkrankung. Umgekehrt führt es ja auch nicht zu Gesundheit, wenn Menschen nicht zölibatär leben. Es ist ein Bündel von Motiven, bei der die Qualität von Beziehungen eine größere Rolle spielt als die Form des Lebens.
Frage: Welche Konsequenzen muss man nun aus ihrer Studie ziehen?
Frick: Wir müssen in einen Dialog zwischen uns Forschern und den Menschen vor Ort treten, denen, die beispielsweise auch für Ausbildung des kirchlichen Personals verantwortlich sind. Zunächst geht es dabei erst einmal um die Deutung und Interpretation der Ergebnisse. Das ist wichtig, damit es auch nicht zu kurzschlüssigen Folgerungen kommt. Wenn man sagt: "Die Größe der Pfarrei hat keine besondere Rolle auf die Gesundheit der Priester gehabt. Machen wir sie doch noch einmal doppelt so groß", dann wäre das ein solcher Fehlschluss. Das gibt die Studie nicht her. Wir müssen überlegen, welche Formate von Unterstützung und Innovationen von Lebensstilen die verschiedenen Gruppen von Seelsorgern brauchen, um sie zu entlasten und wertzuschätzen.
Frage: Gibt es schon konkrete Vorschläge ihrerseits?
Frick: Auf jeden Fall muss das Miteinander von universitärer Ausbildung und pastoraler Wirklichkeit in den Gemeinden verbessert werden. Auch sollte verstärkt über die Art und Weise nachgedacht werden, wie Priester wohnen und sozial eingebunden sind. Im Sinne von demografischer Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe sollte das generationenübergreifend geschehen. Wichtig sind auch die Autoritätsverhältnisse: Inwieweit werden Seelsorger vor Ort in den Planungen mitgenommen? Dabei geht es um Wertschätzung, aber auch einfach um Kommunikation. Wenn unsere Studie da Prozesse auslöst, ist das ein sehr schöner Effekt.
Das Interview führte Björn Odendahl