"Papst Benedikt ist eine Institution"
Frage: Erzbischof Gänswein, welche Erinnerungen haben Sie an den 19. April 2005, an das Konklave und den Tag der Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst?
Gänswein: Der damalige Dekan des Heiligen Kollegiums, Kardinal Joseph Ratzinger, hatte das Recht, einen Geistlichen mit ins Konklave zu nehmen. Er hatte mich gewählt. Ich war in Santa Marta mit dabei, natürlich nicht bei den Wahlgängen in der Sixtinischen Kapelle. Aber ich habe die Atmosphäre des Konklaves mitbekommen, das Ringen um das Profil des künftigen Papstes, die Zwischentöne und noch manch anderes. Ich war gespannt auf den Ausgang, und war dann selbst überrascht und erfreut und auch erschrocken.
Frage: Hatten Sie erwartet oder geahnt, dass Ratzinger gewählt würde?
Gänswein: Ich hatte es nicht erwartet, aber mehr und mehr schwante es mir. Im Laufe der Generalkongregationen der Kardinäle und zu Beginn des Konklaves bekam ich eine erste Ahnung, allerdings mehr atmosphärisch und intuitiv, ohne konkrete Hinweise. Diese Ahnung hat sich dann gleich am ersten Konklavetag sehr verdichtet.
Frage: War eine mögliche Wahl vorher mal irgendwie ein Thema zwischen Ihnen und Kardinal Ratzinger?
Gänswein: Nicht ein einziges Mal.
„Sekretär des Präfekten der Glaubenskongregation zu sein ist eines, Privatsekretär des Papstes zu sein ein anderes. Nun galt es, die neue Aufgabe anzunehmen und mutig anzupacken.“
Frage: Hat die Namenswahl - Benedikt - Sie damals überrascht?
Gänswein: Ich hatte zunächst vor allem an den Mönchsvater Benedikt gedacht. Aber er selbst hatte bei der Erklärung der Namenswahl sehr stark auf den Friedenspapst Benedikt XV. abgehoben. Insofern war die Kombination von Vater des Abendlandes und Friedenspapst eine gute Wahl, die mich nicht mehr so überrascht hat.
Frage: Was hat sich mit der Wahl für Sie geändert? Wie sind Sie damit umgegangen?
Gänswein: Sekretär des Präfekten der Glaubenskongregation zu sein ist eines, Privatsekretär des Papstes zu sein ein anderes. Die Erfahrung, die ich als Sekretär bei Kardinal Ratzinger gesammelt habe, war mir natürlich hilfreich. Nun galt es, die neue Aufgabe anzunehmen und mutig anzupacken.
Frage: Haben Sie länger mit Ihrem Vorgänger, Stanislaw Dziwisz, dem Sekretär von Johannes Paul II., gesprochen?
Gänswein: Wir hatten eine einzige Begegnung, in der von Sekretär-Vorgänger zu Sekretär-Nachfolger einiges ausgetauscht wurde und auch einige wichtige Dinge übergeben worden sind, die in der Tradition der Sekretäre stehen. Wir beide kannten uns natürlich von unseren vorherigen Aufgaben schon. Er hat mir den Rat gegeben: "Du musst schauen, dass Papst Benedikt von nichts und niemandem erdrückt wird. Wie du das machst, das weiß ich nicht, das musst du selber sehen. Die konkreten Abläufe ergeben sich dann, die spielen sich ein."
Frage: Wie sind Sie damit umgegangen, plötzlich so in der Öffentlich zu stehen?
Gänswein: Dass ich in die Öffentlichkeit hineinkam, war nicht von mir gewollt, geschweige denn veranlasst oder beabsichtigt, aber ich habe es mehr und mehr wahrgenommen. Am Anfang war es für mich eine Überraschung, die mich etwas verunsichert hat: einerseits schmeichelte es mir, andererseits war es mir peinlich. Ich habe es schließlich zur Kenntnis genommen, ohne mich davon beeinflussen oder berühren zu lassen.
Frage: Wie blicken Sie heute auf den Amtsverzicht von Benedikt XVI. im Februar 2013 zurück?
Gänswein: Je länger ich darüber nachdenke, desto einsichtiger und überzeugender ist für mich die kurze Erklärung, die er an jenem berühmten 11. Februar vorgetragen hat, dass nämlich die Kräfte nicht mehr reichen, um die Kirche zu leiten. Ich war am Anfang, als er mir das gesagt hat, instinktiv dagegen. Habe aber nach und nach erkannt, dass die Entscheidung von Papst Benedikt eine durchbetete und durchlittene Entscheidung war.
Frage: Was ist das Erbe des Pontifikats von Benedikt XVI.? Was wird von diesem Pontifikat dauerhaft bleiben?
Gänswein: Was bleiben wird, ist der große Schatz des Magisteriums und seiner theologischen Tiefe. Die klaren Linien, die er gezogen hat, das mutige Eintreten für die Wahrheit, das bestechende Zeugnis für den Glauben und für die Kirche - gegen allen Relativismus und gegen alles, was den Glauben ins Allgemeine einzuebnen versucht. Sein letztes Werk, die drei Bände über Jesus von Nazareth, ist sein bleibendes geistliches Vermächtnis, in dem die theologischen Erkenntnisse und zugleich die geistlichen Erfahrungen seines ganzen Lebens niedergelegt sind. Ein Schatz, den es zu heben gilt.
„Geistig ist Benedikt XVI. topfit. Das Gehen fällt ihm in der Tat immer schwerer. Deshalb benutzt er als Gehhilfe einen Rollator.“
Frage: Wie geht es Benedikt XVI. heute? Man sagt geistig fit, aber er hat zunehmend Schwierigkeit mit dem Gehen...
Gänswein: Geistig ist er topfit. Das Gehen fällt ihm in der Tat immer schwerer. Deshalb benutzt er als Gehhilfe einen Rollator. Der gibt ihm mehr Sicherheit und auch Stabilität.
Frage: Wie begeht Benedikt XVI. den zehnten Jahrestag der Wahl? Gibt es eine Feier oder wird es ein normaler Tag sein?
Gänswein: Eine offizielle Feier wird es nicht geben. Das Institut "Papst Benedikt XVI." in Regensburg gibt zum zehnten Jahrestag der Wahl ein schönes Werk heraus: "Benedikt XVI. - Diener Gottes und der Menschen" mit Beiträgen von bekannten Autoren aus unterschiedlichen Bereichen. Dieses Buch wird dem emeritierten Papst am 20. April überreicht, da der Jahrestag der Wahl auf einen Sonntag fällt. Natürlich werden wir im Haus den Tag etwas festlicher gestalten. Das gilt für die Feier der Heiligen Messe, wie auch für die kulinarische Seite. Ansonsten ist nichts geplant. Auf die eine oder andere Überraschung muss man sich wohl gefasst machen.
Frage: Wann wird man Benedikt XVI. das nächste Mal in der Öffentlichkeit sehen?
Gänswein: Das weiß ich nicht. Papst Franziskus hat mehrmals öffentlich gesagt, sein Vorgänger ist nicht jemand fürs Museum, sondern er ist eine Institution. Zu bestimmten institutionellen Anlässen hat er ihn deshalb auch eingeladen. Und Papst Benedikt ist diesen Einladungen auch gefolgt.
Das Interview führte Johannes Schidelko