Familienpolitik wird zum Wahlkampfschlager

Grabenkämpfe um "Gedöns"

Veröffentlicht am 04.02.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Familie

Bonn ‐ Deutschland braucht wieder mehr Kinder. Die Forderung, die durch die Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten schwer belastet war, ist wieder salonfähig geworden. Mit Blick auf den demografischen Wandel und die absehbare Alterung der Gesellschaft fürchten Politik und Wirtschaft um die Kreativität und Konkurrenzfähigkeit der Bundesrepublik.

  • Teilen:

"Aktive Bevölkerungspolitik" ist kein Schimpfwort mehr, auch wenn die Bundesregierung am Montag die Einschätzung zurückwies, sie orientiere ihre Familienpolitik am wirtschaftlichen Nutzen oder einer Erhöhung der Geburtenrate.

Schon lange wird die Debatte über die grundsätzliche Ausrichtung der Familienpolitik konfrontativ geführt: Während die Union vor allem auf mehr Geld für Familien setzt - siehe Betreuungsgeld - , verlangt die SPD gebetsmühlenhaft den Ausbau der Infrastruktur. Von daher war die Veröffentlichung des "Spiegel" über eine vermeintliche Studie aus dem Bundesfamilienministerium Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokraten: Laut Expertenbericht erweisen sich viele Instrumente der Familienpolitik als untauglich, wirkungslos und teilweise sogar kontraproduktiv. Das Kindergeld sei "wenig effektiv", heißt es in der von einem Gutachterkreis erstellten Studie. Das Ehegattensplitting sei "ziemlich unwirksam", die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung sogar "besonders unwirksam". Kein Wunder, dass Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) eine grundlegende Umgestaltung der Familienförderung in Deutschland fordert.

"Zukunft mit Kindern"

Player wird geladen ...
Video: ©

Die vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als "Gedöns" abgewertete Politik mutiert zum Wahlkampfschlager. Jenseits der parteipolitischen Konfrontation ist die wissenschaftliche Debatte aber längst weiter gediehen. Zum Beispiel in der vor wenigen Wochen erschienen Studie "Zukunft mit Kindern" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Sie will mit Panik, Mythen und Legenden aufräumen und stellt beispielsweise fest, dass "Gesellschaften mit mehr als durchschnittlich zwei oder drei überlebenden Kindern pro Frau in Europa eine Ausnahme des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren". Eine Fixierung auf die Demografie und die Geburtenziffern als Indikatoren für den Fortschritt der Gesellschaft sei falsch.

Zugleich warnen die Wissenschaftler davor, den Einfluss der Politik auf die Geburtenrate zu überschätzen. "Mit einzelnen familienpolitischen Maßnahmen kann keine unmittelbare, garantierte und gezielte Steigerung von Geburtenraten erreicht werden", heißt es in der Studie. Sie schlägt einen Dreiklang von Maßnahmen vor, der die alte Konfrontation von Geldleistungen oder Infrastrukturmaßnahmen durch den Faktor "Zeitpolitik" auflöst.

„Gewünscht wird in der Regel eher Teilzeitarbeit, und da sind wir bei dem Thema, warum gibt es keine qualifizierte gut bezahlte Teilzeitarbeit.“

—  Zitat: Kostas Petropulos (Familienexperte)

Familienpolitik müsse zuerst das "Wohlbefinden" von potenziellen Eltern und Kindern fördern, heißt es in der Studie. Dazu seien etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, finanzielle Sicherheit sowie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nötig.

"Fixierung auf das Geld"

Ähnlich der Ansatz des "Achten Familienberichts der Bundesregierung", der im vergangenen März veröffentlicht wurde und mit "Zeit für Familie - Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik" überschrieben war. In die gleiche Kerbe schlug am Montag der Leiter des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit, Kostas Petropulos. Die Debatte erwecke den Eindruck, als gehe es "hier um Arbeitsmarktpolitik und nicht um Familienpolitik", sagte er. Ziel sei offenbar die "totale Arbeitsmarktvermarktung von Eltern" und nicht das Wohl der Jungen und Mädchen.

Der Familienexperte kritisierte eine "Fixierung auf das Geld"; dies gehe völlig an der Lebenswirklichkeit der Familien vorbei. Eltern wollten erwerbstätig sein, aber nicht in diesem Umfang. "Gewünscht wird in der Regel eher Teilzeitarbeit, und da sind wir bei dem Thema, warum gibt es keine qualifizierte gut bezahlte Teilzeitarbeit."

Von Christoph Arens (KNA)

Zahlen zur Lage der Familien in Deutschland

Von wegen "Gedöns": Anders als vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einst gedacht, könnte die Familienpolitik zu einem wichtigen Wahlkampfthema für die kommende Bundestagswahl werden. Am Wochenende berichtete der "Spiegel" über den Bericht einer Expertenkommission, die die Bundesregierung zur Bewertung der familienpolitischen Instrumente eingesetzt hat. Politiker der Opposition und der FDP forderten danach eine grundlegende Umgestaltung der Familienförderung. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Fakten zur Lage der Familien in Deutschland: - 2011 wurden in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 662.685 Kinder lebend geboren. Das war der niedrigste Stand seit 1945. Damit lebten in Deutschland 12,9 Millionen Kinder unter 18 Jahren. - Frauen werden immer später Mütter: In vier Jahrzehnten ist das durchschnittliche Alter bei der Geburt des ersten Kindes um vier Jahre angestiegen. 2009 waren verheiratete Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 29,98 Jahre alt. Bis 2011 stieg das Durchschnittsalter geringfügig auf 30,13 Jahre. Nicht verheiratete Frauen waren bei der Geburt des ersten Kindes deutlich jünger: Bei ihnen betrug das Durchschnittsalter 2009 rund 27,31 Jahre, im Jahr 2011 waren es 27,70 Jahre. - Mehr als drei Viertel der Bundesbürger sind laut neuestem Familienreport der Bundesregierung der Meinung, dass man eine Familie braucht, um glücklich zu sein. Das gilt auch für junge Erwachsene bis 30 Jahre.