Grabenkämpfe um "Gedöns"
"Aktive Bevölkerungspolitik" ist kein Schimpfwort mehr, auch wenn die Bundesregierung am Montag die Einschätzung zurückwies, sie orientiere ihre Familienpolitik am wirtschaftlichen Nutzen oder einer Erhöhung der Geburtenrate.
Schon lange wird die Debatte über die grundsätzliche Ausrichtung der Familienpolitik konfrontativ geführt: Während die Union vor allem auf mehr Geld für Familien setzt - siehe Betreuungsgeld - , verlangt die SPD gebetsmühlenhaft den Ausbau der Infrastruktur. Von daher war die Veröffentlichung des "Spiegel" über eine vermeintliche Studie aus dem Bundesfamilienministerium Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokraten: Laut Expertenbericht erweisen sich viele Instrumente der Familienpolitik als untauglich, wirkungslos und teilweise sogar kontraproduktiv. Das Kindergeld sei "wenig effektiv", heißt es in der von einem Gutachterkreis erstellten Studie. Das Ehegattensplitting sei "ziemlich unwirksam", die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung sogar "besonders unwirksam". Kein Wunder, dass Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) eine grundlegende Umgestaltung der Familienförderung in Deutschland fordert.
"Zukunft mit Kindern"
Die vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als "Gedöns" abgewertete Politik mutiert zum Wahlkampfschlager. Jenseits der parteipolitischen Konfrontation ist die wissenschaftliche Debatte aber längst weiter gediehen. Zum Beispiel in der vor wenigen Wochen erschienen Studie "Zukunft mit Kindern" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Sie will mit Panik, Mythen und Legenden aufräumen und stellt beispielsweise fest, dass "Gesellschaften mit mehr als durchschnittlich zwei oder drei überlebenden Kindern pro Frau in Europa eine Ausnahme des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren". Eine Fixierung auf die Demografie und die Geburtenziffern als Indikatoren für den Fortschritt der Gesellschaft sei falsch.
Zugleich warnen die Wissenschaftler davor, den Einfluss der Politik auf die Geburtenrate zu überschätzen. "Mit einzelnen familienpolitischen Maßnahmen kann keine unmittelbare, garantierte und gezielte Steigerung von Geburtenraten erreicht werden", heißt es in der Studie. Sie schlägt einen Dreiklang von Maßnahmen vor, der die alte Konfrontation von Geldleistungen oder Infrastrukturmaßnahmen durch den Faktor "Zeitpolitik" auflöst.
„Gewünscht wird in der Regel eher Teilzeitarbeit, und da sind wir bei dem Thema, warum gibt es keine qualifizierte gut bezahlte Teilzeitarbeit.“
Familienpolitik müsse zuerst das "Wohlbefinden" von potenziellen Eltern und Kindern fördern, heißt es in der Studie. Dazu seien etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, finanzielle Sicherheit sowie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nötig.
"Fixierung auf das Geld"
Ähnlich der Ansatz des "Achten Familienberichts der Bundesregierung", der im vergangenen März veröffentlicht wurde und mit "Zeit für Familie - Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik" überschrieben war. In die gleiche Kerbe schlug am Montag der Leiter des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit, Kostas Petropulos. Die Debatte erwecke den Eindruck, als gehe es "hier um Arbeitsmarktpolitik und nicht um Familienpolitik", sagte er. Ziel sei offenbar die "totale Arbeitsmarktvermarktung von Eltern" und nicht das Wohl der Jungen und Mädchen.
Der Familienexperte kritisierte eine "Fixierung auf das Geld"; dies gehe völlig an der Lebenswirklichkeit der Familien vorbei. Eltern wollten erwerbstätig sein, aber nicht in diesem Umfang. "Gewünscht wird in der Regel eher Teilzeitarbeit, und da sind wir bei dem Thema, warum gibt es keine qualifizierte gut bezahlte Teilzeitarbeit."
Von Christoph Arens (KNA)