Auf der letzten Reise
Frage: Herr Drückes, jeder Mensch geht anders mit dem Tod um. Wie soll ich einem Sterbenskranken begegnen?
Drückes: Wie man mit einem Sterbenskranken umgeht, hängt immer von dessen Persönlichkeit ab. Manche verdrängen aus einer Art Selbstschutz heraus ihr Schicksal, äußern kaum letzte Wünsche in Bezug auf ihre Beisetzung und die Trauerfeier. Andere wiederum reden ganz offen über die Situation. Jeder Mensch hat sein individuelles Leben und somit auch sein individuelles Sterben. Zu einer würdevollen Begleitung gehört es, dies zu akzeptieren.
Frage: Was passiert bei Ihnen im Hospiz mit einem verstorbenen Menschen?
Drückes: Wir gehen mit dem Verstorbenen genauso würdevoll um wie zu seinen Lebzeiten. Dazu gehört auch das Bereiten des Totenzimmers - der Raum, in dem der Verstorbene im Hospiz gelebt hat, in dem er geschlafen und gewohnt hat. Hat der Kranke zu Lebzeiten keine Wünsche und Vorstellungen geäußert, überlegen wir gemeinsam mit den Angehörigen, was denn seinen Vorstellungen entsprechen würde. Wichtig ist vor allem: Für ein zufriedenes Abschiednehmen muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen.
Frage: Können Angehörige – im Hospiz oder auch zu Hause – ihren Verstorbenen noch eine Weile dort behalten?
Drückes: Ja, trotz der mit dem Tod einsetzenden biologisch-körperlichen Abbauprozesse ist es normalerweise kein Problem, den Verstorbenen in seinem Zimmer, in seinem Bett, noch für ein bis drei Tage aufzubahren. Angehörige und Freunde bekommen so die Zeit, die sie benötigen, um den Verstorbenen in der persönlichen Umgebung noch einmal in Ruhe, je nach Bedürfnis auch mehrmals, aufsuchen zu können. Sie haben die Möglichkeit, sich neben den Verstorbenen ans Bett zu setzen und persönliche Gefühle und Gedanken wahrzunehmen und auszudrücken. Für die Verweildauer zu Hause gibt es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Vorschriften. Der Bestatter informiert die Angehörigen darüber.
Frage: Wie sollte das Totenzimmer hergerichtet werden?
Drückes: Gut ist es fürs persönliche Abschiednehmen, wenn das Zimmer übersichtlich und aufgeräumt wirkt. Zu viele Gegenstände können vom Wesentlichen ablenken. Es sollte aber keine sterile, sondern eine behagliche und wohnliche Atmosphäre geschaffen werden – mit den Lieblingsblumen des Verstorbenen zum Beispiel, mit Bildern, Büchern, Figuren, die ihm etwas bedeutet haben, mit einem CD-Player, auf dem seine Lieblingsmusik abgespielt werden kann. Auch Kerzen und vielleicht eine Duftlampe gehören dazu.
Frage: Wie und wann sollte ein Verstorbener versorgt werden?
Drückes: Zuviel Aktivität ist nicht nötig. Es ist gut, den Verstorbenen erst mal für einige Stunden ruhen zu lassen. Mit der eigentlichen Versorgung darf ohnehin erst nach dem Erstellen des Totenscheins begonnen werden. Der Arzt untersucht den Verstorbenen und stellt anschließend den Totenschein aus. Einiges kann jedoch vor dem Besuch des Arztes getan werden, etwa das Bett etwas richten, Bettwäsche und Oberbett glatt streichen und ansehnlich zurechtlegen, das Zimmer aufräumen.
Nach dem Besuch des Arztes wird der Körper gewaschen und angekleidet, das Haar gekämmt, vielleicht auch gewaschen, Nägel, falls erforderlich, gereinigt und geschnitten und bei einem Mann, wenn nötig, eine Rasur vorgenommen. War einer Verstorbenen zu Lebzeiten das Schminken wichtig, ist davon auszugehen, dass ihr das auch im Zustand des Todes gefallen würde. Angehörige sollten die Kleidung aussuchen, die ihr Angehöriger gern getragen hat. Sind Augen und Mund geöffnet, können sie noch innerhalb von ein bis zwei Stunden geschlossen werden. Viele Angehörige bevorzugen es jedoch, die Situation des Todeseintritts zu belassen. Dies sieht meist auch natürlicher aus. Gebissträgern kann die Prothese eingesetzt werden. Eine sehr schöne Geste, die den Verstorbenen und sein Leben würdigt und auch die Gefühle ausdrückt, die für ihn empfunden wurden, ist das Ablegen einer Rose auf dem Leichnam. Dieser Anblick ist wohltuend für Angehörige und Freunde, die den Verstorbenen noch einmal in seinem Zimmer aufsuchen.
Frage: Was macht dies alles mit den Angehörigen? Tut es ihnen gut?
Drückes: Ja, wenn man einem Verstorbenen einen letzten Dienst erweist, kann so ein Teil der Ohnmacht, der Sprachlosigkeit und Unfassbarkeit überwunden werden. Das Bewusstsein der Angehörigen, für den Verstorbenen alles getan zu haben, was möglich war, beeinflusst ihre Trauerarbeit sehr. Oft berichten Menschen von einem guten Gefühl, wenn sie an die Zeit der Begleitung und an ihr Tun zurückdenken. Sie trauern anders als Angehörige, die sich im Nachhinein Vorwürfe machen, Zweifel haben, nicht zufrieden sind, immer wieder die gleichen Gedanken und Fragen wälzen und daher nicht richtig zur Ruhe kommen können. Für eine konstruktive Trauerbewältigung ist ein zufriedenes, befriedetes Abschiednehmen sehr bedeutsam.
„Eine sehr schöne Geste ist das Ablegen einer Rose auf dem Leichnam.“
Frage: Gibt es besondere Rituale, die zu einem solchen Abschiednehmen gut passen?
Drückes: Ja, zum Beispiel das Rosenritual. Denn die Rose steht symbolisch für die Liebe und Zuneigung, für tiefe Freundschaft und Dankbarkeit. Im Zimmer könnte eine Vase mit frischen Rosen stehen. Es wird eine ruhige, besinnliche Musik abgespielt. Das Herunterfahren der Lautstärke ist für die Angehörigen das Signal, eine Rose zu nehmen, ans Bett des Toten zu treten und die Rose neben dem Leichnam oder auch auf dessen Körper abzulegen und dabei ein paar Worte des Dankes zu sprechen oder diese durch Gesten oder Gedanken auszudrücken.
Auch mit Halbedelsteinen lässt sich ein Abschiedsritual gestalten: Halbedelsteine stehen symbolisch für besondere Wertschätzung. Jeder nimmt einen Halbedelstein aus einer bereit stehenden Schale, legt ihn aufs Bett des Verstorbenen, auf seinen Oberkörper oder in seine Hand und spricht aus oder denkt daran, was der Verstorbene für ihn bedeutet hat, wofür er ihm danken möchte. Auch dieses Ritual wird durch leise Musik begleitet. Schön ist es, wenn sich jeder zwei gleiche Halbedelsteine aussucht, einen zum Verstorbenen legt und den anderen für sich behält. Der Verstorbene bekommt den Stein mit in den Sarg oder in die Urne. Der zweite bleibt bei dem ihm nahe stehenden Angehörigen oder Freund und bekommt einen Platz im Haus an einer besonderen Stelle.
Der zweite Stein kann so symbolisch für den Dank des Verstorbenen an seine Angehörigen stehen. Im Hospiz wissen wir durch unsere Gespräche mit den Kranken oftmals, wofür sie sich bei ihren Angehörigen und Freunden bedanken würden. In einer persönlichen Trauerfeier sprechen wir diesen Dank manchmal stellvertretend für den Verstorbenen aus. Durch den Stein, der zu Hause einen besonderen Platz bekommt, kann symbolisch eine Gedankenbrücke zum Verstorbenen entstehen.