Missverstandenes Sakrament
Das Wort Initiation meint die Eingliederung in den Mystischen Leib Christi durch Taufe, Firmung und Erstkommunion. Dabei gilt laut Dogmatik für die katholische Kirche: Die Firmung schließt die Taufe ab und ist somit theologisch aufs Engste mit ihr verbunden. Öffentliches Glaubensbekenntnis und Mündigkeit seien zwar erwünschte Voraussetzungen, nicht aber der Inhalt des Sakraments, heißt es im "Lexikon für Theologie und Kirche". Und was passiert dem - meist jungen - Menschen bei der Firmung? Im Heiligen Geist empfängt der Christ "das göttliche Leben, das vom Vater ausgeht". Das einmalige Sakrament bestätigt für das ganze Leben die Berufung in die Christusgemeinschaft, berechtigt und verpflichtet zu sozialen Aufgaben und zu Mittun in Glaubensverkündigung, Gottesdienst und Gemeinde.
Im Spätmittelalter entwickelt sich die Firmung zum eigenständigen Sakrament
Anfangs war die Firmung nur ein Teilaspekt der Taufe, bevor man ab dem 12. Jahrhundert ein eigenständiges Sakrament in ihr entdeckte. Im 15. Jahrhundert, auf dem Konzil von Florenz (1439-1445), wurde die Eigenständigkeit schließlich lehramtlich bestätigt. Im Frühmittelalter übernahm die Kirche im lateinischen Westen dann eine Sondertradition der Stadt Rom: Weil man daran festhielt, dass der (Weih-)Bischof die Firmung spendet, entfernte sie sich zeitlich immer weiter von der Taufe – denn die wurde vom Priester gespendet. Dem Brauch passte sich in der Folge auch die Theologie an und der ursprüngliche Sinn geriet mehr und mehr in Vergessenheit. So hielt im Mittelalter selbst der Kirchenlehrer Thomas von Aquin die Firmung nur noch für ein nützliches Sakrament der Stärkung und nicht für ein heilsbedeutendes Element der Initiation.
Waren die Kinder bei der römisch-katholischen Firmung jahrhundertelang sieben bis zwölf Jahre alt und erhielten erst danach die Erstkommunion, änderte sich das zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einmal: Als Papst Pius X. die Frühkommunion förderte, drehte sich die Reihenfolge und die Firmung wurde zum letzten Teil der Initiation. 1932 erlaubte das die Gottesdienstkongregation offiziell. Martin Stuflesser und Stephan Winter schreiben in "Wiedergeboren aus Wasser und Geist", dass aus dem Sakrament, das vollends dazu befähigen solle, an der Eucharistie teilzunehmen, so ein Sakrament wurde, "das seine Bedeutung sucht".
Biesinger: Firmung ist Vollendung der Taufe
Auch andere Liturgiewissenschaftler kritisieren die Entwicklung. Elemente, die eigentlich zur gesamten Initiation gehörten, würden nun nur noch der Firmung zugesprochen, stellte Emil Joseph Lengeling bereits 1971 fest. Er nennt Stichworte wie "Mündigkeit" und "Eingliederung in die Gesamtkirche". Michael Kunzler schreibt in seinem Lehrbuch "Die Liturgie der Kirche" von der "missverstandenen Firmung".
Stuflesser und Winter betonen, dass die Firmung nicht nur der Übergangsritus zu einem entschiedenen Christentum sei. Auch der Religionspädagoge Albert Biesinger spricht von einer "Vollendung der Taufe" und warnt davor, die Firmung nur als Entscheidungssakrament zu sehen. "Damit rückt die Gnade in den Hintergrund und die Verheißung, die durch den Heiligen Geist zugesagt ist", sagt der Theologe, der bis 2014 in Tübingen lehrte, im Gespräch mit katholisch.de.
Problematisch ist die Firmung auch aus ökumenischer Sicht, denn sowohl der christliche Osten als auch die Kirchen der Reformation gehen einen anderen Weg und haben die Reihenfolge Taufe-Firmung-Erstkommunion beibehalten: In den orthodoxen und altorientalischen Kirchen werden alle drei Sakramente innerhalb einer Feier gespendet. In der evangelischen Kirche ist die Konfirmation zwar kein Sakrament, aber die Kirchen der Reformation halten weitgehend daran fest, dass sie zur Zulassung zum Abendmahl erforderlich ist. Die Konfessionen erklärten in der Lima-Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Jahr 1982, dass die Christen eine unterschiedliche Auffassung davon haben, "worin das Zeichen der Gabe des Geistes sich ausdrückt".
Firmung wieder direkt nach der Taufe vornehmen?
Die Schwierigkeiten mit der Firmung sind da, aber ein vollkommenes "zurück zu den Wurzeln" kann es nicht geben. Im Lichte der kirchlichen Lehrentwicklung und Tradition kann sie als eigenständiges Sakrament nicht einfach wieder abgeschafft werden. Es gibt aber Vorschläge, sie direkt im Anschluss an die Taufe oder im Grundschulalter vorzunehmen – und die Katechese bei Jugendlichen nachzuholen. Daran könnte sich eine Erneuerung des Taufversprechens mit dem Bischof anschließen. Biesinger hält das jedoch für "gekünstelt auseinandergerissen" und kann sich nicht vorstellen, wer so eine Katechese in der Praxis besuchen würde. Solange die Kleinkindertaufe der Regelfall sei, sei es sinnvoll, Jugendlichen in der Pubertät eine intensive religiöse Begleitung zu ermöglichen, die in eine eigene Zustimmung mündet, sagt er.
Aber auch die Religionspädagogen streiten sich: Bei ihnen geht es hauptsächlich um das richtige Alter für die Firmkatechese und den Sakramentenempfang. Mit 12 oder 13, wie es bei britischen Katholiken üblich ist, mitten in der Pubertät wie in Deutschland oder gar erst mit 18, wie es einige Schweizer Gemeinden praktizieren? Biesinger sagt, aus der Firmung sei ein eigenes Sakrament gemacht und der Zeitraum gestreckt worden, "um die Lebensbegleitung der Menschen punktgenau zu stärken". Daher plädiert er für die Spendung rund um das 14. oder 15. Lebensjahr. Da finde im Menschen ein großer Umorientierungsprozess statt, in dem die Kirche Jugendlichen eine gute Katechese anbieten sollte.
Das Glaubensverständnis verändert sich nach Biesingers Worten in der Pubertät genauso stark wie der Körper; es finde der Übergang vom kindlichen Glauben zu einer erwachsenen Religiosität statt. Diese Entwicklung fällt in eine Zeit, in der sich junge Menschen an Gleichaltrigen orientieren – und die haben häufig mit dem Glauben nichts zu tun. Der Religionspädagoge hält eine Begleitung zu dieser Zeit für wichtiger, als aus Bequemlichkeit - "die sind einfacher zu handhaben" – Kinder zwischen 7 und 12 Jahren die Firmung zu spenden.
In Pubertät ist emotionale Katechese notwenig
Biesinger verweist aber auch auf eine Religiositätsskala, die Kinder und Jugendliche vergleicht. Die Religiosität bei Jugendlichen sei nicht mehr so hoch wie bei Grundschulkindern. Während der Firmkatechese steige der Wert auch nicht mehr so stark an, wie noch bei der Erstkommunionsvorbereitung. Umso wichtiger sei deshalb eine Katechese, in der die Pubertierenden den Glauben mit Gleichaltrigen und emotional erleben können.
Als Beispiele nennt Biesinger Besuche in Taize, Jugendgottesdienste und Nachtwallfahrten. Die Firmvorbereitung habe selten einen regelmäßigen Besuch der sonntäglichen Gemeindemesse zur Folge, sondern eher anlassbezogene Gottesdienstbesuche. Trotzdem ist der Religionspädagoge überzeugt: "Nichts von dem, was Kinder und Jugendliche religiös erleben, geht einfach so zugrunde." Viele kämen zur Gemeindeanbindung zurück, wenn sie als Paar ihre Kinder taufen lassen.
Auch wenn niemand davon ausgeht, dass die in Europa und Nordamerika übliche Firmung im Jugendalter bald wieder vorverlegt werden könnte: Das Sakrament bleibt im Wandel. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hatte gefordert, "dass der innere Zusammenhang dieses Sakraments mit der gesamten christlichen Initiation besser aufleuchte". Dafür wurde der Firmritus überarbeitet und manche Bischofskonferenzen haben tatsächlich wieder die alte Reihenfolge von Taufe, Firmung, Eucharistie eingeführt. Bei uns kann man sie erleben, wenn ein Erwachsener Christ werden möchte: Dann empfängt sie oder er direkt nach der Wassertaufe mit der Chrisamsalbung die Firmung und darf danach die Erstkommunion empfangen.