Befreiungsschlag in Konstanz
Dazu zählt auch und vor allem der Papst selbst. Einerseits wollte das Konzil damit den dramatischen Zustand der seit Jahren anhaltenden Kirchenspaltung mit zeitweise drei konkurrierenden Päpsten und deren politischen Unterstützern beenden. Zum anderen kulminierten in dem Beschluss die damals unter theologischen Vordenkern diskutierten Überlegungen, dass ein Konzil als die legitime Vertretung der gesamten Kirche seine Macht direkt von Christus ableite und damit die oberste Entscheidungsgewalt über Glaubensinhalte und Reformen in der Kirche erhalten müsse.
In Konstanz wurde 1415 aus universitären Gedankenspielen kirchenpolitischer Ernst. Erst recht mit dem wenige Monate danach beschlossenen, zweiten bahnbrechenden Konzilsdekret "Frequens", das die Päpste verpflichtete, spätestens alle zehn Jahre ein Konzil einzuberufen. Ein Plan allerdings, der im Kampf mit späteren mächtigen Päpsten ins Leere lief. Nicht zuletzt die Reformation und die folgende katholische Gegenreform führten zur Stärkung der Papstkirche. Und ließen kaum noch Raum für konziliare Ideen und Kirchenversammlungen, die Päpste und Kurie in die Schranken hätten weisen können.
"Wir bräuchten dringend einen neuen Aufbruch"
Spannend ist indes, dass "Haec sancta" und "Frequens" nie ganz in Vergessenheit gerieten und Kirchenhistoriker bis heute über deren Bedeutung diskutieren. Mancher sieht sogar in den von Papst Franziskus angestoßenen Reformen und neuen Dialogformen einen zumindest indirekten Bezug auf die konziliare Bewegung des 15. Jahrhunderts. Im Herbst wird im Vatikan zwar kein Konzil, aber eine Synode mit Bischöfen und Theologen aus aller Welt zusammenkommen, um über das katholische Familienbild zu diskutieren. Kaum denkbar, dass Franziskus die Ergebnisse des Treffens ignorieren wird.
Der Konstanzer Dekan Mathias Trennert-Helwig jedenfalls hofft, dass im Zuge des derzeit mit großem Aufwand touristisch vermarkteten 600-Jahr-Jubiläums des Konzils am Bodensee auch eine katholische Diskussion über eine Neuentdeckung der Gestaltungsmöglichkeiten für Synode und Konzil einsetzt. "Seit der letzten Synode der deutschen Bistümer 1971 bis 1975 in Würzburg ist es bei uns leider sehr still geworden. Wir bräuchten dringend einen neuen Aufbruch."
Demgegenüber versuchen Vatikanhistoriker wie der deutsche Kardinal Walter Brandmüller die damaligen Konzilsbeschlüsse als einmaligen Spezialfall des 15. Jahrhunderts zur Überwindung des Schismas mit mehreren Päpsten zu erklären. Das Dekret "Haec sancta", so Brandmüller, stelle insofern keineswegs einen Traditionsbruch in der streng auf den Papst zulaufenden hierarchischen Struktur der Kirche dar. Liberale Kirchenhistoriker oder auch der Tübinger Theologe Hans Küng sehen dies indes anders und werten die Dokumente sehr wohl als gültige Grundsatzbeschlüsse eines Vorrangs des Konzils über den Papst.
Ein Machtanspruch aber, der sich im Lauf der vergangenen 600 Jahre nie mehr so klar artikulierte. Erst recht nicht mehr, nachdem das Erste Vatikanische Konzil im Jahr 1870 - nach erbittertem Streit und unter Inkaufnahme einer neuen Kirchenspaltung durch die Gründung der Altkatholischen Kirche - das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit verkündete. Und auch zum 600. Jahrestag wird es keine Veranstaltung geben, die an den bahnbrechenden Konzilsbeschluss vom 6. April 1415 erinnert.
Von Volker Hasenauer (KNA)