Campen unter der Kanzel
Wer kennt es nicht: Kaum ist man im Sommerurlaub, betritt man in zwei Wochen mehr Kirchen als sonst im ganzen Jahr. Und das dann oft auch nur aus dem niederen Beweggrund, für ein paar Minuten Abkühlung hinter dicken Steinmauern zu suchen. Doch es gibt auch Menschen, die mehr als ein solches Intermezzo suchen. Und die kommen in Großbritannien auf ihre Kosten – beim "Champen".
Richtig, mit "h" nach dem "C", denn es handelt sich um ein Kofferwort aus den englischen Begriffen "church" und "camping". Es geht also um Camping in der Kirche. Was im ersten Moment mindestens wie eine Ordnungswidrigkeit klingt, ist der volle Ernst des britischen "Churches Conservation Trust". Die Stiftung kümmert sich um den Erhalt alter Gotteshäuser, die nicht mehr im kirchlichen Gebrauch sind. Zwölf davon bietet sie im Sommerhalbjahr als Schlafquartiere der etwas anderen Art zur Miete an.
Die meisten bleiben für eine oder zwei Nächte
Im Internet lassen sich die Kirchen bequem vorab erkunden und buchen. Für umgerechnet etwa 40 bis 50 Euro pro Nacht können die "Champer" den außergewöhnlichen Aufenthalt erleben; ein Jahr Mitgliedschaft in der Stiftung inklusive. Kinder zahlen knapp die Hälfte, bei Einzelbelegung wird ein Zuschlag fällig. Ein Blick in die veröffentlichte Halbjahres-Statistik zeigt: In der Saison 2017 kommen die meisten Gäste paarweise und für eine Nacht; fast niemand bleibt länger als zwei Nächte.
Am mangelnden Komfort sollte das nicht liegen. Die Organisatoren geben sich jedenfalls größte Mühe, den Aufenthalt in den alten Gemäuern möglichst gemütlich zu gestalten. Dazu gehört etwa ein optionales Frühstücksangebot oder auch die Bereitstellung warmer Schlafsäcke (beides aufpreispflichtig). Ein bauliches Manko konnten sie jedoch nicht völlig kompensieren: Die meisten Kirchen haben keine festen Sanitäranlagen. Die "Champer" müssen sich dort mit Komposttoiletten begnügen. Und während die Kühle der alten Mauern in der Tageshitze noch angenehm sein mag, gilt es spätestens zur Nacht, sich gut einzupacken. Auch Stromanschlüsse sind Mangelware, was der Romantik des Ortes schon eher zuträglich sein dürfte.
Auch Hunde sind beim "Champing" willkommen
Der Energieengpass machte wohl auch einem 14-jährigen "Champer" anfangs zu schaffen, wie im Online-Gästebuch zu lesen ist. Seine Großmutter Sandra Orgill hatte sich die Übernachtung mit ihrem Mann, der Tochter und drei Enkeln zum 68. Geburtstag gewünscht. "Als der älteste Junge den Schock überwunden hatte, ohne Handy zu sein, hat auch er das Erlebnis wirklich genossen", berichtet sie. Eine erwachsenere Unannehmlichkeit erlebte Bec Fenlon: "Ich hätte mir nur gewünscht, dass der bestellte Wein in einer Kühlbox gestanden hätte", schreibt sie. Und Fiona Adby wurde gar um den Schlaf gebracht – von ihren eigenen Hunden. Die beiden hätten das Stundengeläut der Turmuhr nicht gemocht und seien jede Stunde "durchgedreht und den Mittelgang auf und ab gerannt".
Das Gästebuch auf der "Champing"-Seite steckt voller Anekdoten wie diesen. Vor allem aber zeigt es sehr zufriedene Besucher. Darunter auch Sandy Ciccognani: "Für mich als Katholikin hat sich zunächst alles komisch angefühlt, aber dann habe ich es geliebt: Es war so friedlich. Und eine phantastische Gelegenheit, einfach da zu liegen und die aufwändigen Details der Glasfenster und der Architektur aufzunehmen", schreibt sie. Auch diese Situation haben die Erfinder vorhergesehen und geben dem Besucher daher einen kleinen "Champing Guide für Kirchenarchitektur" an die Hand. Dieser enthält neben einigem "echten" Vokabular auch eigens kreierte Begriffe, wie den "Champernakel": In den Kirchen stehen Holzkisten bereit, in denen die Besucher ihre Vorräte verstauen können. "Diese bestehen in der Regel aus haltbaren Fertiggerichten, es können aber auch eindrucksvolle Weinsammlungen dazu gehören", klärt der Guide auf.
Weitere Informationen bietet der Frage-und-Antwort-Bereich auf der "Champing"-Seite. Dort ist etwa zu lesen, dass ein Korkenzieher zur Grundausstattung jeder Kirche zählt. Verpflegung müssen die Gäste jedoch selbst mitbringen. Allerdings sind nur verzehrfertige Speisen erlaubt: Kochen ist aus Sicherheitsgründen ebenso wie offenes Kerzenlicht untersagt. Darüber hinaus genießen "Champer" eine große Freiheit – inklusive ihrer Haustiere: Bis zu zwei Hunde sind jederzeit willkommen, "oder drei, wenn sie sehr klein sind".
So stellen sich die Camping-Kirchen als ideale Rückzugsorte für ein ruhiges Wochenende dar. Lediglich zwischen 10 und 18 Uhr stehen die alten Gotteshäuser auch anderen Besuchern zur Besichtigung offen. Darüber hinaus können die Mieter Gebäude und Gelände voll und ganz in Beschlag nehmen. Denn Gottesdienste finden in den Kirchen nicht mehr statt; auch wenn sie regulär geweiht "und immer Orte für Besinnung, Ruhe und Frieden bleiben". Laut dem "Churches Conservation Trust" hätten die Kirchen sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder an die Bedürfnisse der Menschheit angepasst. Damit sei auch das "Champing" nur das "jüngste Kapitel in dieser andauernden Tradition des Wandels".
Wo Gott und Menschen sich begegnen
Zur Saisoneröffnung im März betonte auch der anglikanische Priester Richard Coles, dass "Champing" kein "Museumsprojekt" sei. "Es geht darum, das Leben dieser Gebäude zu erhalten", sagte Coles. Die Gotteshäuser seien seit jeher mit den wichtigen Momenten im Leben der Menschen verknüpft gewesen. "Kirchen waren immer Orte der Begegnung zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen." Mit seinem Segen verbinde Coles die Hoffnung, dass die "Champer" diese Geschichte fortsetzen. Und auch wenn die Gäste bislang nicht von eindringlichen Glaubenserfahrungen berichten, sind die meisten voll des Lobes. Viele von ihnen wollen sogar wieder in eine der Kirchen kommen. Und das mutmaßlich nicht nur, um der Sommerhitze zu entfliehen.