"Das Herz des Evangeliums"
Frage: Herr Erzbischof, warum hat der Papst die Vorbereitung des Heiligen Jahres Ihrer Behörde übergeben? Beim Thema Barmherzigkeit hätte er sich auch an den Sozialrat "Iustitia et pax" oder an die für Gnadenerlasse zuständige Pönitentiere wenden können. Oder er hätte - wie zum "Anno Santo" 2000 - ein eigenes Heilig-Jahr-Komitee errichten können...
Fisichella: Papst Franziskus ist darauf bereits bei seiner ersten Ankündigung des außerordentlichen Heiligen Jahres am 13. März eingegangen: Das Jubiläum der Barmherzigkeit soll eine Etappe der Neuevangelisierung sein. Es muss eine Art und Weise sein, um diesen zentralen Aspekt des Evangeliums zu leben und als Glaubenserfahrung auszudrücken.
Frage: Haben Sie die Kapazität, das Personal für diese zusätzliche Aufgabe? Zum Jubiläum im Jahr 2000 wurden ja viele neue Arbeitsstäbe eingerichtet.
Fisichella: Das bevorstehende Heilige Jahr soll anders sein als das Jubiläum 2000. Das damalige Ereignis war mit hohen Erwartungen verbunden, es markierte den Eintritt der Kirche ins dritte Jahrtausend ihrer Geschichte. Das jetzige Jubiläum hat ein anderes Charakteristikum. Es wird in Rom gelebt, soll sich aber nicht nur auf Rom konzentrieren, sondern auch in den Ortskirchen in aller Welt begangen werden. Daher werden außer in Rom erstmals auch in den Kathedralkirchen der Diözesen Heilige Pforten geöffnet. Wir bereiten derzeit Handreichungen für die Feier des Heiligen Jahres in den Diözesen vor. Zudem werden wir uns noch mit einem eigenen Schreiben an alle Bischöfe wenden. Ich bin überzeugt, dass sie in deren Pastoralprogramme eingehen. Das Jubiläum soll nach dem Wunsch des Papstes eine Kirche im Aufbruch zeigen. Eine Kirche, die sich nicht vorrangig mit sich selbst beschäftigt, sondern hinaus- und auf andere zugeht, um alle zu erreichen.
Frage: Wann haben Sie zum ersten Mal vom Projekt "Anno Santo" gehört? Oder war es sogar Ihre Idee?
Fisichella: Nein, nein. Ich habe die Idee eines Jubiläums der Barmherzigkeit zum ersten Mal vom Papst bei einer Audienz Ende August gehört. Papst Franziskus hat mir gegenüber einen Wunsch geäußert, den ich als zutiefst prophetisch verstanden habe, als ein Zeichen der Zeit. In den darauffolgenden Monaten habe ich den Wunsch aufgegriffen und nach Wegen gesucht, wie das Heilige Jahr der Barmherzigkeit realisiert werden könnte.
Frage: Haben Sie schon ein konkretes Programm? Wissen Sie, wie sie die Gläubigen zu diesem Ereignis nach Rom holen wollen?
Fisichella: Unsere Sorge gilt nicht so sehr der Teilnahme von möglichst vielen Personen, sondern der Art und Weise, wie das Jubiläum gelebt wird. Es muss in erster Linie ein spirituelles Ereignis sein, ein Weg der Umkehr, den die gesamte Kirche geht. Daher kommt es uns mehr auf eine solche Qualität als auf hohe Pilgerzahlen an.
Frage: Wie soll das Heilige Jahr in Rom aussehen? Wird es wieder Treffen für einzelne Zielgruppen geben, für Priester und Politiker, für Laienbewegungen oder Landwirte? An fast jedem Wochenende ein Großtreffen mit dem Papst wie im Jahr 2000?
Fisichella: Nein, das soll es diesmal so nicht geben. Natürlich sind einige große Ereignisse für bestimmte Personengruppen vorgesehen, insbesondere für Menschen, die in die Arbeit und das Thema der Barmherzigkeit eingebunden sind. Etwa ein Treffen mit Mitarbeitern von Freiwilligendiensten. Dann jährt sich 2016 zum 160. Mal die Einrichtung des Herz-Jesu-Festes, das wir gemeinsam mit den Priestern begehen wollen. Die Rompilger sollen das Heilige Jahr insbesondere mit Katechesen über die Barmherzigkeit erleben, mit Momenten der Umkehr, der Buße und des Gebets. Und natürlich wird der Papst das Jahr der Barmherzigkeit mit einigen symbolischen Gesten begehen. Wichtig ist, dass die Bischöfe in aller Welt in Gemeinschaft mit dem Papst diese gleichen Gesten auch in ihren Ortskirchen vornehmen.
Frage: Was für Gesten sollen das sein?
Fisichella: Gesten, die die Werke der Barmherzigkeit betreffen. Einzelheiten kann ich im Moment noch nicht nennen. Aber wir werden demnächst einen Kalender für das Heilige Jahr vorstellen.
Frage: Sind Sie über organisatorische Belange mit der Stadt Rom im Kontakt? Wird die entsprechende Infrastruktur erstellt?
Fisichella: Wie für das Jahr 2000 gibt es für Fragen, die den Vatikan und Italien betreffen, eine bilaterale Kommission, der Vertreter des Heiligen Stuhls, der italienischen Regierung, der Kommune Rom und der Region Latium angehören.
Frage: Von ziviler Seite waren wiederholt konkrete Teilnehmerzahlen im Gespräch: Nicht in der Größenordnung von 2000, als 25 Millionen kamen, sondern wie 1983/84 - also 10 Millionen.
Fisichella: Es ist bei der dezentralen Ausrichtung schwer, sich zu Zahlen zu äußern. Aber natürlich besitzt Rom stets seine besondere Attraktivität für Pilger. Zudem wollen viele Menschen Papst Franziskus begegnen und ihn erleben. Diese beiden Elemente zusammen bringen sicher viele Pilger in die Stadt. Und ich bin überzeugt, dass Rom in der Lage ist, diese angemessen zu empfangen und aufzunehmen.
Frage: Was ist die größte Herausforderung für das Jubiläum?
Fisichella: Die größte Herausforderung ist eine Änderung der Mentalität der Christen. Die heutige Krise des Glaubens ist auch durch eine Unkenntnis über die Glaubensinhalte bedingt, die einen Lebensstil nach christlichen Vorgaben behindert. Wir müssen deutlich machen, dass die Barmherzigkeit die Essenz und das Herz des Evangeliums ist. Die Kirche und die Christen stehen vor der großen Herausforderung: Sie müssen in erster Person die Barmherzigkeit Gottes leben und deutlich sichtbar machen.
Frage: Seit 2012 ist der Rat für die Neuevangelisierung auch für Belange der Katechese zuständig, um die sich zuvor die Kleruskongregation gekümmert hat. Macht das Sinn?
Fisichella: Das macht Sinn; denn es zeigt, dass die Katechese nicht ein Nebenaspekt der Evangelisierung ist, sondern ein zentrales Element. Es handelt sich nicht um zwei Bereiche, die parallel und getrennt nebeneinander herlaufen, sondern um einen einzigen Vorgang. Bei der Neuevangelisierung geht es in erster Linie um eine Vermittlung und Weitergabe des Glaubens. In der ganzen Kirchengeschichte war die Katechese immer ein fundamentaler Punkt in der Weitergabe des Glaubens. Die Zuweisung der Katechese an den Rat der Neuevangelisierung bedeutete eine dynamische Vision für die Katechese wie für die Neuevangelisierung.
Frage: Für Belange der Katechese gibt es in ihrer Behörden neuerdings einen Delegaten - Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst. Was ist seine Aufgabe?
Fisichella: Die Aufgabe des Delegaten besteht darin, sich mit den Katechismen der verschiedenen Bischofskonferenzen zu befassen, die das Nulla osta - das Einverständnis des Vatikan - beantragen. Er muss die Aufmerksamkeit der Bischofskonferenzen für die Katechese wach halten. Er muss den Weg der verschiedenen Vereinigungen und Gruppen für Glaubensanimation unterstützen. Und er muss dafür Sorge tragen, dass der Katechismus der katholischen Kirche ein Bezugsinstrument bei den Bischofskonferenzen für die Abfassung von nationalen Katechismen ist. Es handelt sich um eine besondere Aufgabe, aber um eine delegierte Kompetenz. Die Kompetenz für die Katechese liegt beim Neuevangelisierungsrat, wo es einen Bischof gibt, der diese Aufgabe unmittelbar verfolgt.
Frage: Ihr Delegat rangiert im Päpstlichen Jahrbuch nach dem Sekretär, also dem Zweiten Mann des Rates. Dagegen steht er im Kulturrat über dem Sekretär? Was bedeutet das?
Fisichella: Das bedeutet, dass man bei der Darstellung des Kulturrates einen Fehler gemacht hat. Die Leitungsebene der römischen Dikasterien besteht immer aus dem Präsidenten, dem Sekretär und dem Untersekretär. Der Delegat, der den Rang eines Bischofs hat, steht daher unter dem Sekretär - und auch nicht neben ihm.
Frage: Im Zusammenhang mit der Kurienreform wird immer wieder darüber spekuliert, die Behörden für Mission und für Neuevangelisierung könnten zusammengelegt werden...
Fisichella: Es handelt sich um zwei ganz verschiedene Dinge, die man deutlich auseinander halten sollte. Die Mission ist gleichsam die Lunge, die die erste Glaubensverkündigung für Menschen bringt, die noch nichts von Jesus Christus gehört haben. Die Neuevangelisierung kümmert sich dagegen in erster Linie um Christen, die bereits getauft sind, deren Glauben aber in einer Krise steckt und daher neu erweckt werden muss. Die Neuevangelisierung betrifft in der Regel Kirchen in Ländern mit einer alten christlichen Tradition, deren Kultur vom Christentum geprägt ist. Die Missio ad gentes richtet sich dagegen an Territorien, die nicht christlich sind, wo der christliche Glauben zum ersten Mal hinkommt.
Frage: Ihre Behörde bleibt also eigenständig?
Fisichella: Das kann man nicht wissen. Aber das ist wirklich nicht meine erste Sorge. Was jetzt wichtig ist, ist dass unser Dikasterium weiterhin seine tägliche Arbeit im Dienst der Neuevangelisierung fortsetzt. Dass es sie im großen Umfeld der Katechese leistet, und dass es sich jetzt zudem um die große Aufgabe des Heiligen Jahres kümmern muss.