Der Weg der Deutschen Katholikentage
Der schlesische Zentrumspolitiker, der zum Präsidenten der Versammlung gewählt worden war, lobt darin den Moselwein, das Feuerwerk an der Porta Nigra und die "herrliche katholische Kundgebung" während der Wallfahrt nach St. Matthias. Auch erzählt er, dass sein Parteiführer Ludwig Windthorst (1812-1891) nicht nur mehrere Reden gehalten, sondern auch "allerhand Unsinn" gemacht habe.
Der Weg der Deutschen Katholikentage – eine Bezeichnung, die sich in den 1920er Jahren durchsetzte – von der ersten Versammlung in Mainz 1848 bis zur 100. in Leipzig 2016 scheint zugleich lang und kurz zu sein. Lang, da die Katholikentage in ihrem 168-jährigen Bestehen politisch Teil der wechselhaften Geschichte Deutschlands waren und sind: Deutscher und Norddeutscher Bund, Deutsches Kaiserreich, Weimarer Republik, sogenanntes Drittes Reich sowie als Bundesrepublik Deutschland. Theologiegeschichtlich war es ein ebenso langer Weg: Im 19. Jahrhundert verstand sich die Kirche als eine societas perfecta im Sinne einer sich selbst genügenden Parallelgesellschaft. Die Konzilskonstitution Gaudium et spes von 1965 zeichnet dagegen das Bild einer Kirche, die "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst" aller Menschen begleiten und als Teil der Gesellschaft diese mitgestalten will.
Kurz hingegen erscheint der Weg, wenn man auf die den Katholikentagen zugrundeliegenden Anliegen schaut: Plattform zu sein für engagierte Katholiken – und inzwischen auch Katholikinnen –, sich gegenseitig zu bestärken und kirchliche Gemeinschaft zu erleben sowie katholische Perspektiven in aktuelle Debatten einzubringen. Dass sich die vertretenen Positionen über die Zeit zum Teil radikal verändern konnten, zeigt die Offenheit der Katholikentage und spiegelt zugleich die Veränderungen im deutschen Katholizismus vom 19. ins 21. Jahrhundert wider. Wenn bereits 1887 neben Reden und Messen noch Platz für Feuerwerk und "Unsinn" war, so zeigt dies zudem, dass Katholikentage schon immer mehr waren, als was sich in stenographischen Mitschrieben und Berichtbänden festhalten ließe.
Machtvolle Demonstrationen des Katholizismus im 19. Jahrhundert
Initiiert wurden die Katholikentage vom Mainzer Domkapitular Adam Franz Lennig (1803-1866) als Generalversammlung der katholischen Vereine Deutschlands. Der Historiker Jürgen Osterhammel bezeichnet das 19. Jahrhundert als "Verwandlung der Welt": Die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege hatten die politische Landschaft Europas erschüttert. Dünger und Maschinen revolutionierten die Landwirtschaft und die aufkommende Schwerindustrie zog die Arbeiter in die Städte. Alte Strukturen brachen auf und Stechuhren, Eisenbahnen und Telegraphen veränderten alle Lebensbereiche. Um darauf zu reagieren, organisierte man sich allerorten in Parteien, Gewerkschaften und Vereinen.
Auch die deutschen Katholiken nutzten diese neuen Möglichkeiten für ihre Interessen. Vereine für die Freiheit der Kirche, für Bildung und caritative Arbeit wurden gegründet. Christliche Gewerkschaften widmeten sich der desaströsen Lage der Industriearbeiter, Adolf Kolping (1813-65) versuchte die Situation der Handwerker zu verbessern. Die Zentrumspartei trug ab 1870 die katholische Soziallehre in den Reichstag. Als einer Minderheit, der aufgrund ihrer Verbundenheit mit dem Papst Staatsfeindlichkeit unterstellt wurde, boten diese Strukturen den Katholiken religiöse Bildung, Halt und Solidarität. Auf den Katholikentagen wiederum konnten sie ihren Zusammenhalt und ihren Kampfgeist öffentlichkeitswirksam demonstrieren – häufig wurden sie als "Heerschau" des Zentrums wahrgenommen.
Neuer Anspruch: den gesamten deutschen Katholizismus repräsentieren
Bei der ersten Generalversammlung trafen sich 60 Verbandsvertreter, etwa die Hälfte davon waren Kleriker. Zu einigen Veranstaltungen waren Gäste zugelassen, wie zur konstituierenden Sitzung, der über 1.300 Interessierte folgten. Frauen durften nur von eigenen Emporen aus zusehen. Bis zum Ersten Weltkrieg fanden die Katholikentage jährlich statt. Ab 1868 lag die Organisation bei einem Zentralkomitee, das im Kulturkampf zeitweise aufgelöst und 1898 wieder eingesetzt wurde. Inzwischen trugen die Katholikentage, wie auch in Trier 1887, den Titel "Generalversammlung der deutschen Katholiken". Hier kam ein neuer Anspruch zum Ausdruck: den gesamten deutschen Katholizismus zu repräsentieren.
Nachdem in den 1880er Jahren zum ersten Mal mehr als 2.000 Teilnehmer gezählt worden waren, waren es bei der Schlusskundgebung 1931 in Nürnberg bereits 250.000. Jedem Katholikentag stand ein dreiköpfiges Laienpräsidium vor, in das seit 1920 auch Frauen gewählt werden konnten. Seitdem hatten Frauen auch das Recht, Vorträge zu halten. Neben Mainz luden München, Würzburg, Köln, Düsseldorf und Freiburg mehrfach zu Katholikentagen ein. Aber auch Breslau, Straßburg, Wien, Prag, Salzburg und andere waren Gastgeber. Ab 1932 wurden den Katholikentagen Leitworte gegeben, die sich auch an den ausrichtenden Städten und aktuellen Fragen orientierten und orientieren – wie das erste Leitwort beim Essener Katholikentag: "Christus in der Großstadt".
Von den Nazis verboten, in der jungen Bundesrepublik größer denn je
Noch am Vorabend des Ersten Weltkriegs hatte der deutsch-französische Katholikentag 1913 in Metz ein Zeichen für die weltweite Zusammengehörigkeit der Katholiken gesetzt; im Krieg selbst konnten keine Katholikentage stattfinden. Im nationalsozialistischen Staat wurden die Katholikentage dann verboten: 1934 hatte Hermann Göring ein Treuebekenntnis zum Reich gefordert, dem sich der damalige Präsident des Zentralkomitees, Alois Fürst zu Löwenstein (1871-1952), verweigerte. Da die katholischen Vereine der Gleichschaltung der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen waren, wurden in der Nachkriegszeit die Diözesen die Säulen der katholischen Neuorientierung. Auf den Katholikentagen machte sich dies in Form einer sehr engen Zusammenarbeit mit den Bischöfen bemerkbar.
Der erste Katholikentag nach dem Krieg rief 1948 in Mainz mit seiner Devise "Nicht klagen, handeln!" zu mehr Engagement aus christlichem Geist heraus auf. Neben dem konkreten Wiederaufbau ging es darum, sich das Versagen gegenüber den Juden einzugestehen und sich entschieden für einen demokratischen Staat einzusetzen – die Bundesrepublik. Ab 1952 wurden die Katholikentage nur noch alle zwei Jahre (im Wechsel mit den Deutschen Evangelischen Kirchentagen, DEKT) vom seitdem so genannten Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) veranstaltet. Die Besucherzahlen der Nachkriegszeit waren immens: 1956 nahmen in Köln 700.000 Menschen an der Schlusskundgebung teil. Bis zum Mauerbau verbanden die Katholikentage darüber hinaus Ost und West. 1958 waren nach Berlin allein 80.000 DDR-Bürger gekommen; 1962 durften sie bereits nicht mehr teilnehmen.