"Die fehlerlose Familie gibt es nicht"
Frage: Herr Bischof Koch, Sie sind jetzt neuer Familienbischof. Was sind die drängendsten Probleme, die Sie in Zukunft angehen wollen?
Heiner Koch: Die Kirche hat derzeit das große Problem, dass der Wert der sakramentalen Ehe von vielen gar nicht mehr verstanden wird beziehungsweise auch gar nicht bekannt ist. Hier werden wir in Zukunft verstärkt Übersetzungsarbeit leisten müssen. Wir werden erklären müssen, was die Ehe nach kirchlichem Verständnis ist, was die Sakramentalität der Ehe bedeutet, aus der der Gedanke der Unauflöslichkeit kommt. Dieses Eheverständnis ist auch der Hintergrund für die Diskussion um wiederverheiratete Geschiedene, die jetzt im Oktober wohl auch die Synode im Vatikan beschäftigen wird.
Frage: In der Tat sind die Erwartungen an die Synode hoch, gerade was einen möglichen Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene betrifft. Wird hier Bewegung in die Diskussion kommen?
Koch: Auch wenn das manchmal anders dargestellt wird: Dass die sakramentale Ehe unauflöslich ist, dass sie gerade in ihrem Heilsdienst eine ganz besondere Bedeutung hat, ist in der Kirche unumstritten. Es geht deshalb weniger um die Ehe als um die Eucharistie. Hier gibt es einen theologischen Grundsatzstreit. Ist die Eucharistie ein Mahl der Vergebung und Versöhnung, das sich auch an Menschen richtet, die Brüche erlebt haben, die vielleicht sogar selbst im sakramentalen Bruch leben? Oder ist sie nicht eher Ausdruck der Gemeinschaft derer, die ganz zu Christus gehören ohne solche Brüche? Ich bin sehr gespannt, welchen Weg die Synode hier beschreiten wird.
Frage: Nun steht bei der Bischofssynode nicht nur das Thema wiederverheiratete Geschiedene auf der Agenda. Was erwarten Sie sich darüber hinaus von der Synode?
Koch: Ich wünsche mir, dass der Wert und der Reichtum der Ehe und Familie in allen ihren Dimensionen wahrgenommen werden. Wir sollten uns nicht auf die Frage der Scheidung oder auf andere Negativ-Prozesse beschränken, sondern wirklich das ganze Familienleben, das über Jahrzehnte geht und auch den alten, den sterbenden Menschen im Blick hat, erfassen. Ich wünsche mir auch, dass die berufungs-spirituelle Dimension der Ehe wieder zum Aufleuchten kommt. Wir werden keinen für die Ehe begeistern, wenn er nicht sieht: Dieser Lebensweg ist eine Berufung, ein Feuer, das begeistern kann. Ich erhoffe mir schließlich, dass diese Synode zu einem echten Austausch wird und so eine gesamtkirchliche, geistliche und soziale Bewegung auf den Weg bringt.
Frage: In Deutschland wollen Sie jetzt begleitend zur Synode "Zehn Thesen für die Ehe" veröffentlichen. Was steckt dahinter?
Koch: Hier sind die Arbeiten noch nicht ganz abgeschlossen, aber was ich schon sagen kann, ist, dass wir damit einen Kommunikationsprozess anstoßen möchten bis zur zweiten Synode im nächsten Jahr. In diesen zehn Thesen wollen wir lebensnahe, positive Anregungen für Ehe und Familie geben und damit eine breite Diskussion eröffnen, die bei allen Schwierigkeiten den großen Wert von Ehe und Familie ganz anschaulich vor Augen führt.
Frage: In der Vorbereitung auf diese Synode wurde deutlich: Das klassische Familienbild, für das die Kirche steht, ist in der Gesellschaft längst nicht mehr vorherrschend. Wie wollen Sie als Familienbischof darauf reagieren?
Koch: Rein statistisch stimmt das gar nicht. Sicher, das Leben ist bunt und vielfältig, auch in der Frage der Familien. Aber letztlich sprechen wir doch immer von den Sondersituationen. 87 Prozent der Paare, die zusammenleben, leben in einer Ehe oder wollen eine Ehe schließen – und dies aus gutem Grund. Anthropologisch gesehen ist die Ehe ein Stück ganzheitlicher Verbindlichkeit, ein Stück Verlässlichkeit, ein Stück Annahme des Anderen ohne Bedingung und auf Dauer. Sie ist damit mit all ihren Begrenzungen die Erfüllung einer Grundsehnsucht des Menschen. Sie ist deshalb der herausragende Ort für die Weitergabe des Lebens und für das Engagement der Familie in Gesellschaft und Kirche.
Frage: Dennoch: Die Zahl der kirchliche Eheschließungen ist rückläufig, und viele Ehen werden schon nach kurzer Zeit wieder geschieden. Welche Aufgaben kommen hier auf die kirchliche Ehepastoral zu?
Koch: Zunächst einmal müssen wir deutlich machen, was es heißt, als Christen in der Ehe zu leben. Die Ehe ist ein Sakrament, das heißt, die Eheleute sind hineingenommen in das Heilsgeheimnis Jesu Christi. So wie sie, im Bild gesprochen, ein Leib werden, so werden sie auch in den Leib der Kirche hineingenommen, um dann selbst Leib Christi für die Welt zu sein. Das ist eine ganz tiefe Berufung, die den meisten Eheleuten gar nicht bekannt ist. Wir müssen junge Paare dazu ermutigen, diesen Weg zu gehen.
Frage: Die heile Familie ist sozusagen das Idealbild, aber viele Familien zerbrechen heutzutage. Wie reagiert die Kirche darauf?
Koch: Zunächst einmal: Die perfekte, fehlerlose Familie gibt es nicht. Eine Familie ist immer ein Spannungs- und Lernprozess, ein Leben lang. Wir müssen deshalb den Menschen helfen, miteinander zu lernen. Wir müssen ihnen helfen, auch mit Begrenzungen zu leben und zu verstehen, dass Familie nicht das Paradies auf Erden ist. Darüber hinaus ist es für eine Familie eine große Hilfe, in größeren Zusammenhängen zu leben. Die Familien sind auch ein Teil der großen Kirchenfamilie. Wir müssen uns fragen: Stützen unsere Gemeinden die Familien? Oder lassen sie sich nur von Familien bereichern? Helfen wir Familien, gerade auch in Krisensituationen? Wenn eine Ehe auseinanderbricht, bleibt die Familie dennoch verbunden. Vater oder Mutter bleibt man ein Leben lang. Wie helfen wir diesen Menschen, diese Situation anzunehmen? Wie unterstützen wir Alleinerziehende?
Frage: In Ihrem Bistum, Dresden-Meißen, stellt die Familienpastoral einen Schwerpunkt dar…
Koch: Ich glaube, dass der Neuaufbau des kirchlichen Lebens im Osten Deutschlands im Wesentlichen über die Familien geht. Die 20- bis 30-Jährigen sind bei uns in den Großstädten die stärkste Gruppe unter den Katholiken. Darunter sind viele junge Familien. Wir müssen diese Familien auf ihrem Weg begleiten. Sie sind für uns auch eine große Chance, die Kirchenfamilie zu beleben.
Frage: Als Bischof haben Sie ja keine eigene Familie. Wie schaffen Sie es, den Blick für die Familie von heute nicht zu verlieren?
Koch: Auch wenn ich selbst keine Frau und keine Kinder habe, lebe ich doch in einer Familie. Ich habe auch eine Verantwortung dieser Familie gegenüber, etwa was meine Neffen und Groß-Neffen betrifft. Ich weiß noch genau, wie das war, als mein Schwager mit 29 Jahren und zwei kleinen Kindern an Krebs starb. Wir haben damals gespürt, wie die Dimension des Sich-treu-Bleibens, des Zusammenstehens auch und gerade in einer solchen Situation eine Familie prägt und trägt. Außerdem bin ich mit vielen Familien verbunden, gerade aus meiner Zeit als Studentenpfarrer. Da sind Verbindungen geblieben, die für mich sehr wichtig sind.