"Die Öffnung muss weitergehen"
Frage: Herr Alterzbischof Zollitsch, was war für Sie vor fünf Jahren der Anlass, einen Dialogprozess in der katholischen Kirche Deutschlands zu starten?
Zollitsch: Im Jahr 2010 war ich eineinhalb Jahre als Bischofskonferenz-Vorsitzender im Amt, und ich habe mich gefragt: Wie kann in dieser Gesellschaft die Frage nach Gott wachgehalten werden? Schließlich ist der Grundwasserspiegel des Glaubens bei uns zweifellos gesunken. Zudem gab es nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals sehr viel Enttäuschung in der katholischen Kirche. Meine Idee war: Wenn wir als pilgernde Kirche gemeinsam unterwegs sind, müssen wir auch gemeinsam nach Antworten suchen - die Bischöfe untereinander und die Bischöfe mit den Laien.
Frage: Allerdings sind Sie mit Ihrer Initiative nicht überall auf Zustimmung gestoßen.
Zollitsch: Einige waren überrascht, andere haben davor gewarnt, alles zu zerreden. Für mich war interessant, wie wenig die große Dialog-Enzyklika von Paul VI. angekommen war: In dem Schreiben "Ecclesiam Suam" rief der Papst die Kirche zum Gespräch mit der modernen Welt auf. Aber ich durfte trotz mancher Kritik viel Positives erfahren. Ein am Anfang skeptischer Bischof schrieb mir später, wie dankbar er sei, dass ich den Prozess angestoßen habe. Aber der große Teil der Bischöfe ist von Anfang an den Weg aktiv und engagiert mitgegangen.
KNA: Das erste Treffen war 2011 in Mannheim...
Zollitsch: ...und es ging zunächst um eine Standortbestimmung und Hoffnungsbilder. In Hannover, Stuttgart und Magdeburg standen dann unterschiedliche thematische Schwerpunkte im Vordergrund: Wie sieht unsere kirchliche Praxis aus, und wie wirken wir nach außen in die Gesellschaft herein? Das Beeindruckende war: Bei den Gesprächsrunden saßen Bischöfe und Laien wie selbstverständlich zusammen und diskutierten auf Augenhöhe - das war ein neues Erlebnis des Miteinanders von Kirche.
Frage: Ihr Nachfolger als Konferenz-Vorsitzender, Kardinal Reinhard Marx, sagt, die letzte Veranstaltung des Dialogprozesses in Würzburg sei kein Schlusspunkt, sondern ein Doppelpunkt. Schließlich seien die Gespräche zwischen Bischöfen und Laien nicht zu Ende.
Zollitsch: Genau so ist es. Wir müssen klären, worüber weiter gesprochen werden muss. Wie sieht es mit der gemeinsamen Verantwortung aller Getauften aus, wie mit dem diakonischen Engagement und dem geschwisterlichen Umgang in der Kirche? Neue Fragen sind aufgetaucht - etwa nach Partnerschaft, Ehe und Familie. Die Öffnung nach vorne muss weitergehen.
Frage: Hat der Pontifikatswechsel den Dialogprozess begünstigt?
Zollitsch: Papst Franziskus ruft selbst immer wieder zum Dialog auf. Er spricht von den Rändern, an die die Kirche gehen muss. Auch die Umfragen vor der Bischofssynode im Herbst zeigen: Dieser Papst will hören, will gemeinsam nach Antworten suchen. Dafür steht auch sein Lehrschreiben "Evangelii Gaudium". Franziskus steht für den Weg nach vorne.
Themenseite: Gesprächsprozess
Im Jahr 2010 hatte der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, einen Gesprächsprozess ins Leben gerufen. Am Wochenende soll der Prozess in Würzburg seinen Abschluss finden.Frage: Ein Problem des Dialogprozesses war, dass damit vielerorts uneinlösbare Erwartungshaltungen verbunden waren, weil viele Fragen nicht auf nationaler Ebene entschieden werden können.
Zollitsch: Wir sind Teil der Weltkirche und können beispielsweise die Frage nach dem Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen nicht alleine klären - doch das geschieht ja jetzt in Rom. Aber wir haben wichtige Impulse aufgegriffen und bei unseren Gesprächen gelernt, wie wir uns gegenseitig besser verstehen können. Bei uns ist eine neue Gesprächs- und Dialogkultur entstanden. Wir sind eine Kirche in Vielfalt mit unterschiedlichen Strömungen.
Frage: In der Summe: War es vor fünf Jahre eine richtige Entscheidung, den Dialogprozess zu beginnen?
Zollitsch: Ganz und gar. Johannes Paul II. hat gesagt: Der Weg der Kirche ist der Mensch. Wir müssen aufeinander und auf Gott hören. Ich habe in Rom viel Nachdenklichkeit erlebt: Viele verstehen es als eine sehr am Evangelium orientiere Kirche, als pilgerndes Volk Gottes gemeinsam auf dem Weg zu sein. Wir haben nicht für alles fertige Antworten, sondern müssen darum ringen. Was das Zweite Vatikanische Konzil und die Gemeinsame Synode der deutschen Kirche uns hinterlassen haben, ist noch lange nicht aufgearbeitet. Der Dialogprozess hat einen konstruktiven Beitrag dazu geleistet.