Die Polen, ihre Kirche und die Politik
Die Polnische Bischofskonferenz hält sich bislang heraus. Warum hört man von ihr nichts zu den Aktivitäten der neuen Regierung? "Es ist nicht notwendig, etwas dazu zu äußern," sagte Jarosław Mrówczyński, der stellvertretende Sekretär der Polnischen Bischofskonferenz gegenüber katholisch.de. Man sei ruhig und halte eine Distanz. "Wir sagen noch nichts, weil wir warten, wie sich die ganze Situation entwickelt".
Dieser offiziellen Linie folgen jedoch nicht alle Kirchenvertreter. Vor wenigen Tagen veröffentlichte der Bischof des zentralpolnischen Włocławek, Wiesław Mering, einen Brief an EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Darin protestiert er scharf gegen die Kritik Schulz' am Kurs der neuen Regierung. Auch der umstrittene Sender Radio Maryja des Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk versteckt seine Sympathien für die PiS nicht. Anfang Dezember hatte sich Parteichef Jarosław Kaczynski bei Radio Maryja für die Unterstützung vor der Wahl bedankt. Senderchef Rydzyk habe maßgeblich zum Erfolg der PiS beigetragen: "Ohne die Familie von Radio Maryja hätte es diesen Sieg nicht gegeben", so Kaczynski.
Gespräche hinter den Kulissen
Nach der Einschätzung von Jörg Basten, Länderreferent für Polen des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis, gibt es nach dem Regierungswechsel wohl viele Gespräche hinter den Kulissen. Die Bischofskonferenz sei für ein demokratisch gewähltes Parlament und wolle mit der jeweiligen Regierung zusammenarbeiten. An den Gedanken einer Opposition außerhalb des Parlaments, die sich in Protesten und Demonstrationen zeigt, müsse sich die Kirche allerdings noch neu gewöhnen, sagte Basten katholisch.de. So erklärt sich auch die Aussage des Krakauer Kardinals Stanisław Dziwisz, der von Politikern ein Verhalten forderte, das die Bevölkerung nicht spaltet und die Demonstranten zu friedlichem und sachlichem Dialog ermahnte.
Um zu verstehen, welche Stimme und Bedeutung der (katholische) Glaube und die Kirche in Polen haben, muss man auf die Geschichte (siehe Info-Kasten) blicken – und die Unterschiede zu Deutschland erkennen. Es sei falsch zu denken, dass die Säkularisierung im Nachbarland ähnlich verlaufen würde wie bei uns, sagt Basten und verweist auf die hohe Zahl an Berufungen. In polnischen Pfarrhäusern treffe man neben dem Pfarrer ein halbes Dutzend Kapläne und im Haus daneben einige Ordensschwestern. Somit sei der Kontakt mit Priestern viel ausgeprägter und der Empfang von Sakramenten wie der Beichte und der Eucharistie häufig. Mit einem dichten Netz von jungen Geistlichen und Ordensleuten und moderner Jugendpastoral würden anders als in Deutschland sehr viele Menschen von klein auf von der Kirche erreicht.
Die Zahlen scheinen Basten Recht zu geben: Rund 90 Prozent der polnischen Bevölkerung sind römisch-katholisch. Damit ist das Land seit der kommunistischen Herrschaft, aber anders als noch vor dem Zweiten Weltkrieg (65 Prozent Katholiken), religös homogen. Nach Angaben des Statistischen Instituts der Kirche besuchten im Jahr 2014 mehr als 39 Prozent der Katholiken die Sonntagsmesse, eine Konstante seit 2009. Im Wendejahr 1989 waren knapp 47 Prozent regelmäßige Kirchgänger.
"Die Polen sind religiös, aber nicht klerikal"
Aber wenn Geistliche sich einseitig politisch äußern und versuchen, sich in Belange des Staates einzumischen, kommt das bei vielen nicht gut an. "Die Polen sind religiös, aber nicht klerikal," analysierte einmal der Polityka-Redakteur Adam Szostkiewicz. Auch Renovabis-Referent Basten betont den Vorrang der persönlichen Religiosität: "Junge Menschen wollen eher ihr Leben heiligen als etwa die Umwelt retten". Akzeptanz findet die Kirche also, wenn sie bei der Gewissensbildung hilft.
Geschichte der Kirche Polens
Vor 1050 Jahren begann die Christianisierung des Landes mit der "Taufe Polens", als Fürst Mieszko I. 966 das römische Christentum annahm. Um das Jahr 1000 wurde eine polnische Kirchenprovinz gegründet mit Gnesen als Erzbistum. 1564, rund 15 Jahre nach Erstarken der Reformation, wird die Gegenreformation eingeleitet. Neun Jahre später setzt der Adel gegen die Stimme der katholischen Bischöfe die Glaubensfreiheit durch. 1596 kommt es zur Union vieler Orthodoxen der Ostteile des Landes mit der römisch-katholischen Kirche. König Jan II. Kazimierz erklärt 1656 nach dem "Wunder von Tschenstochau", der Verteidigung des Klosters vor den Schweden, die Jungfrau Maria zur Königin der Krone Polens. 1795 wurde Polen zwischen dem orthodoxen Russland, dem protestantischen Preußen und dem katholischen Habsburgerreich aufgeteilt. In dieser rund 120 Jahre währenden Zeit trägt die katholische Kirche wesentlich dazu bei, die Nation aufrecht zu erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der katholische Glaube in Polen der einzige im Ostblock, der durch die Kommunisten nicht geschwächt wurde. 1978 bis 2005: Der Pole Johannes Paul II. ist Papst. (luk, Quelle: Deutsches Polen-Institut)Staatlich wirksame Kirchenaustritte sind nicht möglich. Wenn sich Polen also von der Kirche abwenden, äußert sich das im Fernbleiben von Gottesdiensten. Auslöser für eine Abkehr sei meist die Enttäuschung über den Heimatpfarrer, nicht ein Mangel an Glauben, erklärte der TV-Pfarrer Kazimierz Sowa. Auch langweilige Messen und intellektuell anspruchslose Predigen enttäuschten viele Katholiken – in Polen ist es nicht selten, dass das Hochamt an Weihnachten nur 45 Minuten dauert. Sowa äußert auch Bedauern für alle, die in einem kleinen Ort auf einen "fanatischen, politischen Pfarrer" treffen und rät Gläubigen aus größeren Städten, sich Alternativen zu suchen.
Denn die gibt es – etwa bei den Orden. Genauso, wie die Redemptoristen bei Radio Maryja relativ freie Hand haben, nutzen auch andere Gemeinschaften ihre Freiheit. Beispielhaft seien die Dominikaner genannt: Bei den traditionell guten Predigern – die Gemeinschaft heißt auch Predigerorden – sind die Gottesdienste nie leer. Und es war ein Dominikaner, der 2008 mit der Zustimmung seines Ordensvorgesetzten einen Verdachtsfall auf Kindesmissbrauch durch einen Stettiner Priester an die Medien meldete. Zuvor hatte Pater Marcin Mogielski vergeblich versucht, die in der Erzdiözese tätigen Bischöfe zu einer Lösung des Problems zu bewegen.
Unterschiedliche Sichtweisen auf Flüchtlingsthematik
Aber ähnlich, wie die polnischen Katholiken versuchen, für sich zu klären, wie sie mit Glauben, Politik und Gesellschaft umgehen, scheint auch die Kirche noch in einem Prozess der Klärung zu sein. Als die Bischöfe nach der Wende versuchten, in der Politik mitzumischen, mussten sie mehrfach erleben, dass vielmehr sie von der Politik instrumentalisiert wurden. Insbesondere passierte dies während der ersten PiS-Regierungszeit 2005 bis 2007, als eine Koalition mit populistischen und nationalistischen Parteien bestand. "Die PiS macht sich etwa geschickt und auf unlautere Art zum Sprecher von Radio Maryja. Auch die Bischöfe merken, dass sie von der Partei manipuliert werden, müssen sich aber delikat verhalten," erklärte Basten.
Es gibt aktuell mindestens ein Thema, bei dem die polnischen Bischöfe eine völlig von der PiS abweichende Meinung hat: bei der Flüchtlingsthematik. Die Position der Bischofskonferenz stimme stets mit der des Papstes überein, sagt Mrówczyński vom Sekretariat der Bischofskonferenz und unterstreicht, dass der Vorsitzende im Sommer 2015 noch einige Tage vor Papst Franziskus die Kirchengemeinden zur Flüchtlingsaufnahme aufrief. "Es ist notwendig, dass jede Gemeinde Platz für diejenigen vorbereitet, die verfolgt sind", sagte Erzbischof Stanisław Gądecki damals. Bereits vor einem Jahr hatte der Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz angemahnt, bereit zu sein, Menschen aufzunehmen, ohne nach deren Glauben zu fragen. "Wir treffen nun alle Vorbereitungen, die Flüchtlinge aufzunehmen, aber man muss auch sagen, dass in erster Linie die Regierung und lokale Behörden dafür zuständig sind und die Kirche nur behilflich sein kann," sagte Mrówczyński.
Auch beim Thema EU hat sich die anfängliche Skepsis von Teilen des Episkopats gewandelt - denn noch 2003 musste Papst Johannes Paul II. vor dem Referendum Werbung machen, der EU beizutreten. Man habe ein permanentes Mitglied in der EU-Bischofskommission COMECE in Brüssel und nehme somit teil an den Arbeiten der Europäischen Union, erklärt nun Mrówczyński. Die Bischofskonferenz ändere auch den Standpunkt nicht, wenn es einen Wechsel auf der politischen Bühne gebe. Vielleicht wird die Kirche schon bald in eine vermittelnde Rolle kommen: Am Mittwoch hat die EU-Kommission eine umfassende Prüfung der umstrittenen Reformen in Polen eingeleitet.