"Die Situation muss sich dringend ändern"
Frage: Der Vatikan hat im April mitgeteilt, dass der Kardinalsrat zur Kurienreform über weitere Maßnahmen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch beraten hat. Wo gibt es noch Defizite?
Zollner: Derzeit gibt es keine kirchenrechtliche Handhabe gegen Ortsbischöfe, die ihrer Verantwortlichkeit nicht nachkommen und sexuellen Missbrauch in ihrem Bistum vertuschen. Dahinter steht das generelle Problem, dass es bei Verstößen von Bischöfen gegen die kirchenrechtlichen Normen zum sexuellen Missbrauch bislang keine Prozessordnung und keine Sanktionsliste gibt. Solche Fälle landen vielmehr sehr bald und ohne ordnungsmäßige rechtliche Zwischeninstanzen beim Papst.
Die betreffenden Unterlagen werden zwar von den zuständigen vatikanischen Behörden, der Glaubenskongregation, der Kongregation für die Bischöfe und von der Kongregation für die Evangelisierung der Völker für den Papst vorbereitet; ein ordentliches Verfahren können sie gegen den Bischof jedoch nicht führen. Diese Situation ist aus Sicht der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen unbefriedigend und dringend zu ändern.
Frage: Was müsste aus Sicht der Kinderschutzkommission getan werden?
Zollner: Wir haben durch unseren Präsidenten, Kardinal O'Malley von Boston, dem Kardinalsrat vorgeschlagen, Vertuschung von sexuellem Missbrauch durch Bischöfe als eigenen kirchenrechtlichen Straftatbestand einzuführen. Der Kardinalsrat hat schon darüber beraten. Nun liegt der Entwurf den entsprechenden Instanzen des Heiligen Stuhls zur Stellungnahme vor.
Frage: Warum hat man das nicht schon früher eingeführt?
Zollner: Dass an dieser Stelle noch ein Defizit besteht, ist erst mit der Zeit anerkannt geworden. 2001 und 2010, als die geltenden Normen für den Umgang mit sexuellem Missbrauch eingeführt beziehungsweise verschärft wurden, hat man dieses Problem noch nicht angehen können oder wollen.
Frage: Die kirchenrechtliche Ahndung ist eine Seite. Wie ist es um die Sensibilisierung der Bischöfe für dieses Thema bestellt?
Zollner: Im September wird neben den entsprechenden kirchenrechtlichen Normen erstmals auch der Umgang mit Opfern und Tätern von sexuellem Missbrauch Bestandteil in dem jährlichen Kurs für neuernannte Bischöfe sein. Davon versprechen wir uns viel. Zudem bieten wir hier an der Gregoriana von Februar 2016 an einen einsemestrigen Diplomkurs für Präventionsbeauftragte von Diözesen, Ordensgemeinschaften oder katholischen Institutionen an. 15 bis 18 Ausbildungsplätze sollen je zum Sommersemester vergeben werden. Mindestens ein Drittel der Plätze ist hierbei für Teilnehmer aus Ländern Afrikas und Asiens reserviert, wo es bisher kaum oder gar keine Maßnahmen zur Missbrauchsprävention im kirchlichen Bereich gibt.
Vatikan nimmt Kurienkardinal Pell in Schutz
Peter Saunders von der vatikanischen Kinderschutzkommission bezeichnete Kurienkardinal George Pell wegen seiner Rolle im Missbrauchsskandal Australiens als "unhaltbar" im Vatikan. Nun widerspricht ihm Vatikansprecher Federico Lombardi.Frage: Was bedeuten die jetzt erlassenen Statuten für die Arbeit der Kinderschutzkommission?
Zollner: Die Statuten geben der Kommission Rechtssicherheit: Wir sind nun eine Institution des Heiligen Stuhles, wenn auch autonom, das heißt keiner vatikanischen Behörde unterstellt. Papst Franziskus hatte ja schon am 2. Februar 2015 in einem Brief an die Präsidenten der Bischofskonferenzen und die Generaloberen der Orden die Bedeutung der Kommission beschrieben und die Amtsträger zur Zusammenarbeit mit der Kommission aufgefordert.
Außerdem beschreiben die Statuten die Aufgaben und Ziele der Kommission sowie die Grenzen ihrer Kompetenz. Wir sollen den Papst in allem beraten, was Gerechtigkeit für Betroffene von Missbrauch durch Kleriker, Prävention von Missbrauch und die Schaffung von sicheren Räumen für Kinder und Jugendliche angeht. Unser Hauptaugenmerk richtet sich darauf, wie kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf allen Ebenen zum Thema "Prävention von Missbrauch" geschult werden können, und wie die Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker umgesetzt werden, oder - wo dies noch nicht geschehen ist - dass solche Leitlinien von Bischofskonferenzen, Orden oder Kongregationen und kirchlichen Institutionen verfasst und rechtswirksam werden.