"Ein höheres Wohlwollen"
Frage: Herr Professor Kohlgraf, eine vom Bundesverband Katholischer Ehe-, Familien- und Lebensberater, der TU Braunschweig und der Katholischen Hochschule Mainz in Auftrag gegebene Studie will kürzlich herausgefunden haben, dass christlichen Paaren das Verzeihen leichter falle. Stimmt das tatsächlich?
Kohlgraf: Eine solche Aussage wäre mir zu pauschal. Aber wer einen genauen Blick auf die Untersuchung wirft, die in Teilen übrigens noch ausgewertet wird, wird feststellen, dass Menschen mit entschieden christlichem Hintergrund oft ein höheres Wohlwollen gegenüber dem Partner haben. Dieses Wohlwollen wiederum ist eine gute Voraussetzung, um zu vergeben oder sich zu versöhnen.
Frage: Worin drückt sich das konkret aus?
Kohlgraf: Eine christliche Glaubenshaltung kann etwa Auswirkungen auf praktische Versöhnungsregeln haben. Einige Befragte haben gesagt, dass ihnen spirituelle Angebote, aber auch ein ehrliches Gebet geholfen haben, Abstand von einer emotionalen Verletzung zu gewinnen und dem Partner gegenüber wieder mehr Empathie zu empfinden.
Frage: Von dieser Empathie oder einem wohlwollenden Umgang miteinander ist in manchen katholischen Internetforen wenig zu spüren. Da greifen eher Häme und Hass um sich. Wie passt das mit den Erkenntnissen der Studie zusammen?
Kohlgraf: Erstens: Christen haben kein Monopol auf Vergebung und Nächstenliebe. Es gibt solche Kompetenzen auch bei Menschen, die nicht religiös gebunden sind. Religion verstehe ich in diesem Kontext als Angebot, das Menschen helfen kann, diese positiven Kompetenzen zu verstärken. Zweitens: Religion hat natürlich auch andere Gesichter. Wenn ich aus religiösem Leistungsdruck sage, dass ich vergebe, weil es irgendwo im Evangelium geschrieben steht, findet keine wirkliche Vergebung statt. Da kann es Formen von Religiosität geben, die eben genau das nicht fördern. Und das scheint mir ein Problem solcher Internetforen zu sein.
Frage: Wie kann Kirche, wie können katholische Ehe- und Lebensberater die positiven Kompetenzen fördern?
Kohlgraf: Eigentlich geht die "Beziehungsarbeit" schon im Kindesalter los. Kinder müssen früh die Erfahrung von Zuwendung und Zärtlichkeit machen, Freundschaften und Vertrauen kennenlernen, erleben, wie in Elternhaus und Schule Konflikte auf eine faire Art und Weise gelöst werden. Da können wir als Kirche eine Menge Hilfe anbieten.
Frage: Schon ein Blick auf die Schulhöfe der Republik zeigt, dass da ein dickes Brett gebohrt wird. Aber stößt der Beitrag der Kirchen auf Resonanz?
Kohlgraf: Nehmen Sie die Familien- und Eheberatung: Da gehen ja nicht Menschen hin, um Kontakt zur Kirche aufzubauen, sondern weil sie Hilfe suchen. Der Religionsunterricht genießt eine hohe Akzeptanz, und die in vielen Bistümern neu gegründeten Familienzentren haben auch wenig Not, mit Leuten in Kontakt zu kommen. Ich finde also, der Ruf der Kirche ist da gar nicht mal so schlecht. Es gibt genügend Berührungspunkte in allen Altersstufen, ohne dass wir permanent mit einem religiösen Sonderkonzept aufwarten müssen.
Frage: Kommen wir noch einmal auf katholische Paare zurück. Wenn in einer Krise alle Beratungsangebote scheitern, steht eine Trennung im Raum. Hier hat Papst Franziskus zuletzt mehrfach den Gedanken ins Spiel gebracht, Ehen zügiger zu annullieren, was den Ex-Partnern auch wieder die Teilnahme an den Sakramenten ermöglichen würde. Sieht so eine gelungene Aufarbeitung aus?
Kohlgraf: Selbst wenn das Kirchenrecht sagt, die Ehe ist annulliert, kann ich damit nicht einfach eine Beziehung wegwischen. Selbst als Priester ist das für mich schwer nachvollziehbar. Aber das ist nicht das einzige Problem, was ich mit diesem Ansatz habe.
Frage: Sondern?
Kohlgraf: Ich habe den Papst so verstanden, dass er sagt: Zahlreiche katholische Ehen sind ohnehin unter falschen Bedingungen geschlossen worden. Kaum einer teilt den Glauben an das Sakrament. Insofern sind die meisten Ehen ungültig. Wenn das so stimmt, dann wäre das ein Versagen der katholischen Ehepastoral auf ganzer Linie.
Frage: Was also tun?
Kohlgraf: Wir müssen deutlich machen, was wir mit christlicher Ehe in positivem Sinne meinen: Treue, Verlässlichkeit und Offenheit für Nachwuchs. Wenn ich schaue, warum die Leute heute heiraten, dann ist das doch gar nicht so weit weg von den Wünschen der meisten Menschen - egal, ob sie religiös gebunden sind oder nicht.
Das Interview führte Joachim Heinz (KNA)