"Er sucht überall die Einheit"
Frage: Herr Kardinal, welchen Stellenwert hat für Papst Franziskus die Ökumene?
Koch: Sie ist für ihn sehr wichtig. Er sucht überall die Einheit, wie er in seinem großen Interview mit der Jesuitenschrift "Civilta cattolica" deutlich gesagt hat. Auch in "Evangelii gaudium" ist ein ganzer Abschnitt dem ökumenischen Dialog gewidmet. Nach seiner Ansicht kann nur der Heilige Geist Einheit und Verschiedenheit versöhnen. Daher hat die spirituelle Ökumene für ihn einen starken Stellenwert.
Frage: Ist der theologische Dialog damit für ihn nachgeordnet?
Koch: Ganz und gar nicht. Die Ökumene der Liebe und der Freundschaft ist die Basis, um einen theologischen Dialog über die Wahrheit führen zu können. Von daher ist für den Papst die Geschwisterlichkeit mit den anderen Kirchen sehr zentral. Deutlich zeigt sich das auch an den vielen Gästen aus der Ökumene. Der koptische Papst war zu Besuch, die Patriarchen von Alexandrien und Antiochien, aber auch der anglikanische Erzbischof von Canterbury.
Frage: Was ist für Sie und Ihre Arbeit heute anders als im früheren Pontifikat?
Koch: Von der grundsätzlichen Ausrichtung her sehe ich keine wesentlichen Unterschiede. Auch Benedikt XVI. hat sehr großen Wert auf ökumenische Begegnungen gelegt. Was sich abzeichnet, ist, dass man jetzt etwas häufiger mit dem Papst persönlich zusammentrifft und Fragen bespricht.
Frage: Was ist dem Papst näher, der Kontakt mit den Ostkirchen oder mit den Kirchen der Reformation?
Koch: Der Papst ist offen für alle Begegnungen, die in der Ökumene wichtig sind. Ich sehe da keine Prioritäten. Sicher hat er eine unmittelbare Kenntnis der Ostkirchen, weil er in Buenos Aires für die orientalisch-katholischen Kirchen in Argentinien zuständig war. Aber er ist genauso offen für die aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften. Das hat sowohl die Begegnung mit dem Lutherischen Weltbund als auch soeben die mit der ökumenischen Delegation aus Finnland klar gezeigt.
Frage: Das Moskauer Patriarchat hat soeben ein Dokument zum Papstprimat veröffentlicht. Was bedeutet es für den Dialog?
Koch: Das Dokument nimmt direkten Bezug auf den Dialog, den wir derzeit in der großen internationalen Kommission mit 14 verschiedenen orthodoxen Kirchen führen. Der Text zeigt sehr deutlich, dass das Moskauer Patriarchat mit der Richtung dieses Dialogs nicht einverstanden ist und hier eine andere Linie verfolgt. Damit entsteht eine doppelte Schwierigkeit: Wir müssen sehen, wie die Arbeit dieser Kommission weitergehen kann. Zudem kann, wenn in einem laufenden Arbeitsprozess ein Dokument von so hoher kirchlicher Autorität erscheint, der Dialog nicht so frei fortgesetzt werden, wie er bisher geführt wurde.
„Der Papst ist offen für alle Begegnungen, die in der Ökumene wichtig sind.“
Frage: Wie geht es weiter?
Koch: Wir wollen im September die nächste Vollversammlung der Dialogkommission abhalten - in Serbien. Sie muss gut vorbereitet werden. Wir müssen sehen, welche weiteren Schritte wir tun können.
Frage: Wäre ein Treffen von Franziskus und Kyrill heute leichter als in früheren Pontifikaten?
Koch: Es war besonders schwierig im Pontifikat von Johannes Paul II., was seine Ursachen in dessen Nationalität und den damals schwierigen russisch-polnischen Beziehungen hatte. Heute wäre es eher möglich. Aber Metropolit Hilarion vom Moskauer Außenamt betont immer wieder: Viel wichtiger als das Datum selbst ist die Vorbereitung. Dem stimme ich zu. Zudem werden von russisch-orthodoxer Seite immer wieder Probleme benannt, die zuvor gelöst werden müssten: etwa die Spannungen zwischen der Orthodoxie und der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine. Aber da müssen wir uns überraschen lassen.
Frage: Im Mai besucht der Papst das Heilige Land. Handelt sich um eine ökumenische oder eher um eine politische Reise?
Koch: Im Mittelpunkt steht eine große Begegnung von Papst Franziskus mit Patriarch Bartholomaios in Jerusalem - in Erinnerung an das erste Ost-West-Treffen von Patriarch Athenagoras und Papst Paul VI. vor 50 Jahren. Das ist der eigentliche Anlass der Reise. Bartholomaios hatte bereits Benedikt XVI. eingeladen, diese 50 Jahre gemeinsam zu kommemorieren. Papst Franziskus hat diese Einladung übernommen und dem Treffen zugestimmt. Aber wenn sich der Papst ins Heilige Land begibt, schwingen auch viele andere Anliegen und Akzente mit. Die Erwartungen sind vielfältig und enorm. Ob alle erfüllt werden können, ist eine andere Frage.
Frage: Was erwarten Sie von der Reise?
Koch: Ich hoffe, dass die Begegnung von Papst Franziskus und Patriarch Bartholomaios der Ökumene einen neuen Schwung gibt. Wenn ich die Texte von 1964 lese, bin ich beeindruckt, mit welcher Leidenschaft man damals die Gemeinsamkeiten herausstrich. Patriarch Athenagoras sagte: Wir teilen denselben Glauben, wir sind eigentlich dieselbe Kirche, wir müssen den Weg zum gemeinsamen Altar finden. Wenn diese Leidenschaft wieder mehr wach werden könnte, wäre ich sehr froh. Dann ist die Reise von großer Bedeutung für die Situation im Heiligen Land insgesamt. Ich hoffe, dass von ihr Perspektiven des Friedens ausgehen.
Frage: Welchen Stellenwert hat für Papst Franziskus der Kontakt und der Dialog mit dem Judentum?
Koch: Der Kontakt ist für ihn sehr wichtig. Bereits in Argentinien hatte er intensive Beziehungen mit Juden. Letzte Woche waren viele Juden aus Argentinien zu Besuch hier im Vatikan. Die Begegnungen waren von beeindruckender Herzlichkeit und Brüderlichkeit. Rabbiner Skorka hat anschließend öffentlich erklärt, dem Papst liege sehr daran, jetzt auch den theologischen Dialog mit dem Judentum zu vertiefen. Darüber bin ich sehr froh. Das ist wirklich eine Herausforderung, die wir wahrnehmen müssen. Ich bin sicher, dass der Papstbesuch in Jerusalem auch diesem Dialog neue Impulse geben wird.
Das Interview führte Johannes Schidelko (KNA)