Franziskus, der Barmherzige
Nichts hat die Weltkirche im vergangenen Jahr so stark bewegt, wie die berühmt-berüchtigte "Fußnote 351". Seit Papst Franziskus am 19. März – dem Josefstag – sein lang erwartetes Nachsynodales Apostolisches Schreiben "Amoris laetitia" veröffentlichte, wird über die Randnotiz energisch gestritten. Während manche sie für ihre barmherzige Offenheit loben, wird auf der Gegenseite eine fehlende Klarheit moniert. Auch im Jahr 2017 wird die Kirche daher bis in höchste Ebenen über die Frage diskutieren: Sind die etwas mehr als 500 Zeichen Text als Fortsetzung früherer Lehraussagen zu verstehen, oder hat der Papst nun doch eine lehramtliche Reform eingeleitet?
Ebenfalls mit kontroversen Themen befasste sich das Papstschreiben zum Ende des Heiligen Jahres. Besonders an zwei Punkten nahm Franziskus sich in "Misericordia et misera" schwieriger Fragen an: Zum einen erneuerte Franziskus seine Erlaubnis für die Gläubigen, bei den Priestern der Piusbruderschaft das Bußsakrament zu empfangen; obgleich der erwartete Paukenschlag ausblieb, ein großer Schritt auf dem Weg zur Einigung mit den Traditionalisten. Zum anderen will der Papst Barmherzigkeit auch gegenüber Frauen walten lassen, die ein Kind abgetrieben haben. Sie können künftig weltweit bei jedem Priester die Absolution erhalten. Vorher ging das nur bei speziell befugten Beichtvätern.
Neue Regeln für die Kirche gab es in diesem Jahr noch in weiteren Bereichen. Mit seinem Motu proprio "Come una madre amorevole" ("Wie eine liebevolle Mutter") schloss Papst Franziskus im Juni eine rechtliche Lücke bei der Missbrauchsaufarbeitung. Damit ist es nun deutlich einfacher, gegen Bischöfe vorzugehen, die Missbrauchsfälle vertuscht haben. Im Oktober gab die Glaubenskongregation zudem eine neue Instruktion zu Feuerbestattungen heraus. Diese trägt einerseits der Tatsache Rechnung, dass die Feuerbestattung auch unter Katholiken längst weit verbreitet ist. Zugleich will der Vatikan damit gegen Praktiken im Umgang mit der Asche Verstorbener vorgehen, "die dem Glauben der Kirche widersprechen". Auch zur in Deutschland immer populäreren Beisetzung im Friedwald macht die Instruktion Vorgaben.
Weiter auf dem Weg zur Einheit
Neben der Barmherzigkeit war das zweite große Thema im zurückliegenden Jahr die Ökumene. Franziskus blieb dabei seinem Vorsatz, an die Ränder gehen zu wollen, treu und setze sich insbesondere auf Reisen für die Christeneinheit ein. Mit seinem Besuch in Lund zum am Reformationstag setzte der Papst eine kirchenhistorische Marke. Neben dem Besuch an sich sorgte die gemeinsame Erklärung von Papst und Lutherischem Weltbund für großes Aufsehen. Die Unterzeichner sind sich einig: Ziel ist das gemeinsame Abendmahl.
Ein Dreivierteljahr zuvor kam es zum ersten ökumenischen Höhepunkt des Jahres. Auf dem Weg nach Mexiko legte Franziskus einen Zwischenstopp in Havanna ein, wo er den Moskauer Patriarchen Kyrill I. traf. Auch diese Zusammenkunft ging in die Geschichtsbücher ein: Zum ersten Mal überhaupt begegneten sich ein Papst und ein Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche. Angesichts der nicht immer reibungslosen Beziehungen zwischen Vatikan und Moskau werteten Beobachter allein schon diesen Umstand als Meilenstein auf dem Weg zur Einheit.
Mit einem anderen Patriarchen verbindet Franziskus ein deutlich engeres Verhältnis, das er auch in diesem Jahr pflegte: Im April besuchte der Papst gemeinsam mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., die griechische Insel Lesbos. Dort besuchten die beiden ein Flüchtlingslager und beteten gemeinsam. Franziskus ließ anschließend seinen Hilfeaufrufen Taten folgen und nahm drei aus Syrien geflüchtete Familien mit in den Vatikan.
Bei seinen beiden ebenfalls von der Ökumene geprägten Kaukasus-Reisen hätte der Empfang für Franziskus kaum unterschiedlicher ausfallen können. Während er in Armenien im Juni auf große Gasfreundschaft stieß, ging es im September in Georgien unterkühlt zu. Demonstranten beschimpften Franziskus bei seiner Ankunft als "Erzhäretiker", Patriarch Ilia II. verweigerte ihm ein ökumenisches Gebet und später auch die zuvor angekündigte Teilnahme am ohnehin schlecht besuchten katholischen Gottesdienst. Versöhnlicher ging es zum Abschluss der Kurzreise in Aserbaidschan zu, wo Franziskus erstmals in einer Moschee vor Muslimen, Christen und Juden sprach.
Der Papst in der Weltkirche
Bei zwei weiteren Auslandsreisen verschlug es den Papst in die "gut katholischen" Länder Mexiko und Polen. Was aber nicht bedeutet, dass der Papst damit weniger kompliziertes Terrain betreten hätte. So war die Mexikoreise ein Pastoralbesuch im wahrsten Sinne des Wortes: Franziskus war zu Gast in einem gebeutelten Land. Gewalt, Korruption und Drogen prägen die mexikanische Gesellschaft mindestens ebenso so sehr wie der Katholizismus als verbindende Kraft. Von besonderer symbolischer Bedeutung waren der Besuch des Papstes in einem der härtesten Gefängnisse der Welt sowie die Messfeier am Grenzzaun der USA.
Obwohl die Weltjugendtage gewöhnlich ein Heimspiel für die Päpste sind, war auch in Krakau die Stimmung zeitweise ernst. Franziskus besuchte unter anderem das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz. Außerdem wollte er bei aller jugendlichen Glaubensfreude die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, die Polen – Kirche wie Politik – zu mehr Barmherzigkeit gegenüber Geflüchteten zu ermahnen. Dem zweiten Weltjugendtag auf polnischem Boden tat dieser Einwurf keinen Abbruch: Die Abschlussmesse feierten nach Angaben des Vatikan rund 1,5 Millionen Gläubige mit.
Kleiner, aber nicht weniger eindrücklich waren die inneritalienischen Reisen des Papstes. Gleich zweimal kam er in die Heimatstadt seines Namenspatrons Franziskus. Zum ersten Assisi-Besuch reiste der Papst im August anlässlich der 800-Jahr-Feier des Portiuncula-Ablasses. Spontan bot er sich, zum Thema des Tages passend, als Beichtvater an und setzte sich für eine Stunde in den Beichtstuhl. Im September folgte das Weltfriedenstreffen der Religionen in Assisi, an dem der Papst ebenfalls teilnahm. Nach dem ersten Treffen im Jahr 1986 war es bereits das vierte interreligiöse Gebet für den Frieden in der Franziskusstadt.
Italien wurde in diesem Jahr von einer verheerenden Erdbebenserie in Atem gehalten. Nach dem ersten schweren Beben kamen in der Region um das mittelitalienische Amatrice fast 300 Menschen ums Leben. Anfang Oktober machte Franziskus einen Überraschungsbesuch in der Stadt, "als Priester", um den Menschen nahe zu sein. Nachdem ein weiteres Erdbeben Ende Oktober in der Benedikt-Stadt Norcia für schwere Zerstörungen sorgte, schickte der Papst Einsatzkräfte der vatikanischen Feuerwehr, um bei den Aufbauarbeiten zu helfen.
Ein Jahr für starke Frauen
Das päpstliche Jahr 2016 war auch das Jahr der Frauen in der Kirche. Schon im Januar setzte Franziskus ein erstes Zeichen und erlaubte offiziell die Fußwaschung an Frauen. Nach dem Erlass der Glaubenskongregation darf der traditionelle Ritus in der Liturgie des Gründonnerstag künftig nicht mehr wie bisher nur an Männern vollzogen werden.Ein medialer Paukenschlag folgte im Mai: Vor einer Versammlung von Ordensoberinnen im Vatikan erklärte Franziskus, er werde die Rolle der Diakoninnen in der Alten Kirche wissenschaftlich untersuchen lassen. Nachdem die historische Ausrichtung der Studien zunächst nicht eindeutig war, hatte die andauernde Debatte über die Weihe von Frauen neues Futter erhalten. Die vom Papst eingerichtete Kommission nahm schließlich Ende November ihre Arbeit auf.
Mit einer liturgischen Neuerung wartete die Gottesdienstkongregation im Juni auf. Maria Magdalena, nach biblischer Überlieferung die erste Zeugin der Auferstehung, ist im Kirchenjahr nun den Aposteln gleichgestellt. Ihr bislang "gebotener Gedenktag" wurde zu einem "Fest" aufgewertet. Zum weiblichen Gesicht der Kirche zählt auch Mutter Teresa von Kalkutta. Die Heiligsprechung der Ordensgründerin im September war einer der Höhepunkte im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit.
Die Kurie wird weiter umgebaut
Im Jahr 2016 schritt auch die von Franziskus angestoßene Kurienreform weiter voran. Gleich drei neue Kurienbehörden rief der Papst ins Leben. An der Spitze des neuen Dikasteriums für Laien, Familie und Leben ist erstmals ein Laie an verantwortlicher Leitungsposition eingesetzt. Die Behörde übernimmt die Arbeit bereits bestehender Räte und anderer Einrichtungen. Ein weiteres Vatikanamt soll sich mit sozialen Fragen und Menschenrecht befassen. Auch der Papst selbst wird im "Amt für ganzheitliche Entwicklung des Menschen" mitwirken: Zunächst wird er die Leitung der Abteilung für Flüchtlinge und Migranten selbst übernehmen.
In einem weiteren Schritt wurde die Medienarbeit des Vatikan im Herbst neu aufgestellt. Das neue Mediensekretariat soll nach und nach die Tätigkeiten unterschiedlicher Redaktionen unter einem Dach vereinen. Im Sommer gab es zudem eine weitere Änderung in der vatikanischen Öffentlichkeitsarbeit: Pressesprecher Federico Lombardi hat sich in den Ruhestand verabschiedet und seinen Posten an den US-Amerikaner Greg Burke weitergereicht.
Ein erklärtes Ziel der Kurienreform ist die Dezentralisierung der Kirche. Diese wurde auch beim Konsistorium zum Ende des Heiligen Jahres sichtbar. Franziskus kreierte 17 neue Kardinäle von allen Enden und Rändern der Welt. Unter den Männern von allen Erdteilen finden sich auch der Apostolische Nuntius in Syrien sowie der Erzbischof von Bangui in Zentralafrika, wo der Papst einst das Heilige Jahr eröffnet hatte.
Schließlich dürfen beim Rückblick auf das Papstjahr auch die über 260 Einblicke nicht vergessen werden, die Franziskus mittlerweile auf Instagram mit der Welt geteilt hat. Nach seinem Amtsantritt hatte er von seinem Vorgänger Benedikt XVI. bereits den päpstlichen Twitter-Account übernommen, der mittlerweile – alle neun Sprachausgaben zusammengefasst – beachtliche 32 Millionen Follower aufweist. Am 19. März erschien dann der erste Post des Pontifex auf der Bilderplattform. Er zeigt einen in sich gekehrten Franziskus mit der einfachen Bildunterschrift: "Betet für mich".