"Früher war die Argumentation differenzierter"
Frage: Frau Sattler, der Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Luis Ladaria, hat am Mittwoch das Nein der katholischen Kirche zur Priesterweihe für Frauen bekräftigt. Was war Ihre erste Reaktion?
Dorothea Sattler: Ich war zunächst überrascht, denn ich wusste nicht, welchen konkreten Anlass es geben könnte. Gewiss haben sich in jüngerer Zeit mehrere Theologinnen und Theologen - darunter auch ich - sowie evangelische Kolleginnen erneut zu der Frage der Frauenordination geäußert. Aber es gibt diese theologischen Argumente schon länger und nachhaltig, daher sehe ich zunächst keinen unmittelbaren Anlass für den Beitrag in der Vatikanzeitung. Als positiv betrachte ich, wie offenkundig in Rom mit Aufmerksamkeit verfolgt wird, dass es eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über diese Frage gibt. Wichtig wäre es nun, in einen intensiven theologischen Dialog zu treten.
Frage: Sie haben vor einem halben Jahr mit anderen katholischen und evangelischen Theologinnen und Theologen bei einem Kongress in Osnabrück die Präsenz von Frauen in allen kirchlichen Ämtern mit theologischen Argumenten für möglich erachtet. War das vielleicht mit ein Grund für das Schreiben aus dem Vatikan?
Sattler: Das entzieht sich meiner Kenntnis. Wir haben keine kritische Rückmeldung zu den "Osnabrücker Thesen" vom Dezember 2017 aus dem Vatikan erhalten, die in diese Richtung geht, auch nicht von bischöflicher Seite. Im Gegenteil: Der Osnabrücker Bischof Bode hat den Prozess dieser ökumenischen Konferenz mitbegleitet. Wir haben das Ganze als eine offene theologische Argumentation dargestellt und nicht als Forderung. Im deutschsprachigen Raum haben unsere "Osnabrücker Thesen" auf akademischer Ebene und in der Ökumene viel Zustimmung erhalten. Da wir weltweit aber nicht die einzigen sind, die über das Thema erneut nachdenken und die Ergebnisse diskutieren, kann ich keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Schreiben und unserer Konferenz erkennen. Der Präfekt schreibt selbst ja, dass es solche positiven Voten für die Frauenordination in mehreren Ländern gibt.
Zur Person
Dorothea Sattler ist seit 2000 Professorin für Ökumenische Theologie und Dogmatik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie leitet dort außerdem das Ökumenische Institut an der Katholisch-Theologischen Fakultät. Sie ist Delegierte der Deutschen Bischofskonferenz in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und wissenschaftliche Leiterin auf römisch-katholischer Seite im Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen.Frage: Gibt es neue inhaltliche Argumente des Vatikan im Gastbeitrag des Präfekten?
Sattler: Ich erkenne keine neuen inhaltlichen Argumente und muss sogar sagen, dass in diesem Schreiben der Argumentationsstand eher konzentriert wird auf das Mann-Sein Jesu Christi. Im Mittelpunkt der Argumentation steht, dass die Jünger und in ihrer Nachfolge ausschließlich männliche Priester den Mann Jesus Christus repräsentieren. In früheren lehramtlichen Schreiben war die Argumentation durchaus differenzierter. Die Repräsentation Jesu Christi in Verbindung mit dem natürlichen männlichen Geschlecht Jesu war in "Inter Insignioren" (1976) und in "Ordinatio Sacerdotalis" (1994) nur ein Argument auf der Ebene der sakramentalen Symbolik. Die tragenden Argumente waren früher, dass Jesus nur männliche Jünger in den Zwölferkreis berufen habe, sowie die durchgängige Tradition der Kirche. Diese Argumente wiederholt der neue Text zwar, gewichtet jedoch die geschlechteranthropologischen Aspekte höher als früher. In den älteren Texten gab es zudem eine breitere Auseinandersetzung mit dem Apostelbegriff sowie mit der Tatsache der Jüngerschaft auch von Frauen. Im aktuellen Schreiben ist zudem atmosphärisch für mich eine gewisse Drohung spürbar, dass Menschen, die anders argumentieren, sich selbst außerhalb der in der Christusgemeinschaft begründeten Kirche begeben. Der Ton ist schärfer geworden.
Frage: Wo lesen Sie das heraus?
Sattler: Gleich zu Beginn wird ein Zitat aus dem Johannes-Evangelium benutzt, das daran erinnert, dass die Reben nur in Verbindung mit dem Weinstock Frucht bringen können (vgl. Joh 15,4). Und am Schluss steht das Johannes-Zitat "Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben" (Joh 15,20). Offenkundig soll damit zum Ausdruck kommen, dass Christen, die dem Willen Jesu Christi nicht gehorchen, die Christusgemeinschaft aufkündigen. Dem kann ich zustimmen. Zu fragen ist nur, wer nach welchen Kriterien behaupten kann, sicher zu sein im Blick auf den Willen Jesu Christi in unserer Frage. Ich persönlich empfinde zudem die Inanspruchnahme der Worte Jesu nach der johanneischen Tradition in seiner Abschiedssituation von den Jüngern vor seinem Tod in unserem thematischen Zusammenhang aus theologischen Gründen als ausgesprochen unpassend. Es geht hier aus exegetischer Sicht nicht um die Frage der Zustimmung zu einer bestimmten amtlichen Verfassung der Kirche, sondern um die Bereitschaft zur Christusnachfolge im persönlichen Zeugnis – notfalls bis zur Lebenshingabe im eigenen Tod.
Noch im Jahr 1976 würdigte die Glaubenskongregation in der Erklärung "Inter insigniores" das positive Anliegen der Männer und Frauen, die die Frauenordination in die Diskussion einbrachten, nämlich ihre Sorge um die Verkündigung des Evangeliums in der heutigen Zeit. Und nun wird die gesamte Frage auf die Feststellung reduziert, dass ganz klar sei, was Gottes Wille ist und Jesus Christus selbst gewollt hat. Wenn man das wissen könnte, ja, dann ist ein Widerspruch eine Gegenrede gegen den göttlichen Willen.
Frage: Also ist es nicht klar, was Gottes Wille in dieser Frage ist?
Sattler: Wer kann ganz genau wissen, was Gott sich vorgestellt hat mit Blick auf die Verfassung seiner Kirche und in welcher Weise Jesus Christus kurz vor einem Tod an der Bestimmung dieses Willens beteiligt war? Das ist eine sehr schwere Frage, bei der man sich gut überlegen muss, ob man darauf eine Antwort weiß. Und es muss gefragt werden, ob die gegenwärtige akademische theologische Reflexion – etwa die Exegese und die Fundamentaltheologie – an der Beantwortung dieser Fragen nicht angemessen beteiligt sein müsste. Die Theologie weist seit Jahrzehnten darauf hin, dass es bei der Zwölferzahl um die Restitution der zwölf Stämme Israels ging. Auch die Verbindung von Zwölferkreis, Abendmahl, Priesteramt und Sakrament der Eucharistie wird in theologischen Beiträgen vielfach bedacht und in der akademischen Literatur beschrieben. Ich wünsche mir eine intensive Auseinandersetzung mit der theologischen Argumentation genau dieser Frage: Was können wir wissen über den göttlichen Willen und wie können wir einschätzen, was Jesus selbst für seine Kirche wollte? War er kurz vor seinem Tod nicht mit ganz anderen Gedanken beschäftigt als mit der Frage, ob Frauen zum ordinierten Amt zugelassen werden dürfen?
Frage: Welche Anregungen oder Hilfestellungen kann die aktuelle Theologie dem Vatikan in dieser Frage geben?
Sattler: Mit Blick auf den Abendmahlssaal gibt es noch viel zu bedenken. Jesus hat im Abendmahlssaal ungetauften Männern jüdischer Herkunft Brot und Wein gereicht und diese Gabe in eine Beziehung zu seinem bevorstehenden Tod gesetzt. Wenn die Eucharistie allein dies abbildete, sollten Frauen dann überhaupt teilnehmen am eucharistischen Mahl? Warum müssen es heute getaufte Menschen sein? Die Sakramente feiern das Osterereignis. Sie sind keine Wiederholung vorösterlicher Verhaltensweisen Jesu. Wenn man die heutige Eucharistie als eine reine Wiederholung der in den Evangelien ja unterschiedlich geschilderten Abendmahlsszene begreift, dann kommt man theologisch sehr rasch in große Schwierigkeiten. Die heutige Theologie könnte einen Beitrag zum Verständnis dazu leisten, wie man dieses Mahlgeschehen überhaupt begreifen kann. Sie kann noch einmal versuchen zu beschreiben, wie die bevorstehende Lebenspreisgabe Jesu Christi in Verbindung zu bringen ist mit der Eucharistie. Die Theologie leistet neue Anstrengungen zu einer redlichen Eucharistietheologie unter österlicher Perspektive.
Es ist im theologischen Studium allgemein und in der Exegese auch völlig unüblich, bei allen Bibelstellen Historizität vorauszusetzen und eine unmittelbar erkennbare Intention des irdischen Jesus anzunehmen. Der aktuelle Beitrag des Präfekten thematisiert diese komplexe Lage überhaupt nicht, sondern bringt den Gedanken ein, dass durch den Wortlaut der Bibel ganz klar bestimmt ist, was geschehen ist und wie Jesus es gemeint hat. Da wünsche ich mir eine intensive theologische Debatte im Austausch der Meinungen unter Einbezug der bibeltheologischen Methoden, die das Zweite Vatikanische Konzil mit Wertschätzung bedacht hat.
Frage: Sie sprachen auch den Apostelbegriff an. Seit zwei Jahren ist das kirchliche Fest der Maria Magdalena mit dem traditionellen Begriff der "Apostelin der Apostel" überschrieben…
Sattler: Ja, darauf hätte man nun hinweisen können. Aber stattdessen wird hier nur die lukanische Tradition erwähnt. Lukas ist der einzige, der den Apostelkreis mit dem Zwölferkreis gleichgesetzt, in den anderen Evangelien ist das nicht so, vor allem in den Paulusbriefen ist der Begriff "Apostel" weiter und orientiert sich an der Zeugenschaft der Auferstehung. Mit dieser Weite des Apostelbegriffs hatten sich frühere Texte des Vatikans immerhin auseinandergesetzt.
„Aus meiner theologischen Sicht orientiert sich die göttliche Verfassung der Kirche jedoch nicht an dem Geschlecht ihrer Amtsträger.“
Frage: Ladaria schreibt zunächst, dass Papst Johannes Paul II. "kein neues Dogma verkündet" habe, betont dann aber, dass die Nachfolger Benedikt XVI. und Franziskus diese definitive und unfehlbare Lehre wiederholt hätten. Worum geht es in diesem zweiten Teil des Briefs?
Sattler: In der dogmatischen Hermeneutik ist die häufige Wiederholung eines Gedankens kein Kriterium für seine Verbindlichkeit, allenfalls ein Appell, sehr gründlich über diese Lehrmeinung nachzudenken. Das geschieht ja auch. Niemand in der Theologie spricht leichtfertig zu dieser Thematik. Das Argument von Erzbischof Ladaria ist, dass das Papstschreiben "Ordinatio Sacerdotalis" unfehlbaren Charakter habe, weil Johannes Paul II. die Vorsitzenden von Bischofskonferenzen befragt hat, in deren Ländern die Frage nach der Weihe von Frauen kontrovers besprochen wird. Es gibt nach dem 2. Vatikanischen Konzil ein unfehlbares Lehramt, wenn alle Bischöfe im Weltkreis einmütig eine Position teilen. Aber diese Form von Lehräußerungen ist nur schwer auf eine einzelne theologische Sachfrage zu beziehen: Was ist, wenn auch nur ein Bischof Zweifel an dieser Lehre hat oder gar anderer Meinung ist? Reicht eine Befragung von Vorsitzenden nationaler Bischofskonferenzen bereits aus? Die Theologie denkt, diese Figur des "ordentlichen und allgemeinen unfehlbaren Lehramts der in aller Welt verstreuten Bischöfe" kann sich ausschließlich auf ganz grundlegende Fragen des christlichen Glaubens beziehen.
Offenkundig gibt der Präfekt der Glaubenskongregation der Frage der Teilnahme von Frauen an sakramentalen Dienstämtern einen solch großen Stellenwert, weil die göttliche Verfassung der Kirche davon betroffen sei. Auch ich meine: Ja, sie hat diese hohe Bedeutung. Aus meiner theologischen Sicht orientiert sich die göttliche Verfassung der Kirche jedoch nicht an dem Geschlecht ihrer Amtsträger, sondern an der Frage, wem Gott seine Geistesgaben schenkt, um das Evangelium in jeder Zeit zu verkündigen. Repräsentation Jesu Christi geschieht, wenn Männer und Frauen ihre Berufung erkennen und in leitenden Diensten in seinem Geist wirken: versöhnungsbereit, friedfertig, geduldig und gemeinschaftsstiftend.
Frage: Das Thema weibliche Diakone taucht in dem Dokument nicht auf. Warum?
Sattler: Viele warten gespannt auf das Votum der Kommission, die Papst Franziskus zu der Frage des Frauendiakonats eingesetzt hat. Man kann spekulieren, ob der Beitrag des Präfekten der Glaubenskongregation vorausgeschickt wurde, um vorab zu erklären, dass ein sakramentales Dienstamt der Diakonin ausgeschlossen ist, dass es allenfalls nichtsakramentale Beauftragungen, Sendungen oder Segnungen von Frauen für den diakonischen Dienst geben könnte. Ich kann nicht einschätzen, ob es einen Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen gibt.
Frage: Welche Konsequenzen hat das Schreiben von Ladaria für Sie und die Mitunterzeichnerinnen aus Osnabrück?
Sattler: Wir stehen kurz vor der Veröffentlichung des Bandes zu unserer Konferenz und werden darin das Schreiben von Ladaria dokumentieren und einen gemeinsamen ökumenischen Kommentar dazu verfassen. Jeder und jede soll wissen, wie die gegenwärtige lehramtliche Position ist. Eine unserer Zieloptionen in dem Sammelband mit Beiträgen aus der wissenschaftlichen Theologie ist es, der Frage nachzugehen, nach welchen Kriterien wir ermessen können, was Gottes Wille ist, und wie wir gemeinsam herausfinden können, was Jesus Christus intendiert hat bei der Feier des Abendmahls im Kreis seiner Jünger. In diesen Kontext sind die gesamtbiblischen Aussagen über das ordinierte Amt einzubeziehen.
Zudem sind auch die Erfahrungen in anderen christlichen Traditionen, in denen Frauen ordiniert werden, ein Ort geistlicher theologischer Erkenntnis. Ich wiederhole die erste der "Osnabrücker Thesen": "Das erklärte Ziel der ökumenischen Bewegung, die sichtbare Einheit der Kirchen, ist nicht zu erreichen ohne eine Verständigung über die Präsenz von Frauen in allen kirchlichen Ämtern." Wir müssen weiter darüber sprechen dürfen – theologisch argumentativ. In seinen Abschiedsreden hat Jesus Christus die Glaubwürdigkeit seiner Sendung mit der Einheit seiner Jüngerschaft begründet (Joh 17,21).