Gespanntes Warten
Die "imposante Zahl" von Archiven im Vatikan habe die Situation komplexer gemacht. Einen Zeitpunkt für die Freigabe der Akten nannte er nicht. Bislang hatte der Vatikan sie bis 2015 in Aussicht gestellt. Jüdische Verbände und Historiker fordern schon seit längerem die Freigabe dieser Akten für die Forschung. Sie erhoffen sich davon weitere Aufschlüsse über das umstrittene Verhalten von Pius XII. angesichts des Holocaust.
Der Vatikan hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass die Archivare erst die rund 16 Millionen Papiere aus dieser Zeit sortieren und katalogisieren müssten. Erst dann seien die Bestände für die Wissenschaft überhaupt benutzbar. Außerdem sei das Vatikanische Geheimarchiv mit rund 50 Mitarbeitern personell vergleichsweise schlecht ausgestattet. Hinzu komme, dass sich die Unterlagen der päpstlichen Botschaften osteuropäischer Länder durch Kriegseinwirkungen oder die Zeit des Kalten Kriegs in extremer Unordnung befänden.
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Ablehnung, Annäherung, erneute Ablehnung und Konfrontation – das Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus in den Jahren zwischen 1930 und 1945 war uneinheitlich und zahlreichen Schwankungen unterworfen. Die Diktatur des Hitler-Regimes bedeutete auch für die Kirche eine Zeit schwerer Konflikte.In der Regel wurden die Aktenbestände im Vatikanischen Geheimarchiv 70 Jahre nach Pontifikatsende freigeben. Seit September 2006 können Forscher jedoch auch schon die Bestände des Pontifikats von Pius XI. einsehen, das im Februar 1939 endete. Eine Ausnahme gibt es allerdings für die Zeit danach auch jetzt schon: den Bestand des Vatikanischen Informationsbüros für Kriegsgefangene, der auch Dokumente aus der Zeit von 1939 bis 1947 enthält. Die übrigen Dokumente aus der Zeit von Pius XII. hat bislang nur eine päpstliche Historikerkommission einsehen dürfen, die eine Auswahl von mehreren Tausend Aktenstücken in 11 Bänden zwischen 1965 und 1981 veröffentlichte. Neben dem Vatikanischen Geheimarchiv gibt es etwa noch das Archiv des vatikanischen Staatssekretariats und das der Glaubenskongregation.
Weiter sagte Parolin, mit der Freigabe der Akten wolle der Vatikan seinen Beitrag dazu leisten, die komplette historische Wahrheit ans Licht zu bringen. Nötig sei insbesondere einen vertiefende Beschäftigung mit jenen Akteuren und Einrichtungen, die der "Barbarei des Holocaust" Widerstand leisteten und teils ihr Leben dafür opferten Juden zu retten. (KNA)