"Das Kreuz gehört zu unserem Kulturraum"
Frage: Herr Bischof, in den letzten Wochen wurden drei Gipfelkreuze im Tölzer Land zerstört. Was denken Sie, wenn Sie solche Nachrichten hören?
Bischof Gregor Maria Hanke: Ich empfinde das als Akt des Vandalismus und der Intoleranz. Gleichzeitig auch als etwas, das sich gegen eine gewachsene Kultur auf nicht akzeptable Art und Weise wendet. Das Kreuz gehört zu unserem Kulturraum.
Frage: Obwohl die Gesellschaft eigentlich immer säkularer wird, geht die Zerstörung von Gipfelkreuzen vielen ziemlich nahe. Warum ist das gerade bei Gipfelkreuzen der Fall?
Hanke: Da würde ich zunächst von der Bedeutung des Kreuzes ausgehen wollen. Das Kreuz ist so etwas wie ein Wurzelstock, auf dem unsere Kultur aufbaut, egal, ob ich nun Christ bin oder Nicht-Christ. Wenn ich hier in diesem Kulturraum Europa lebe, dann lebe ich ja in einem Umfeld, das ganz stark geprägt ist von der Botschaft des Kreuzes, also von der Botschaft der Liebe. Und wo Liebe gelebt wird, wo Liebe spürbar wird, da rücken Himmel und Erde zusammen. Von daher ist es durchaus sinnvoll auf den Berggipfeln, wo man eine wunderbare Aussicht hat, sowohl in den Horizont in den Himmel, als auch hinunter in die Täler, Kreuze zu errichten.
Frage: Hat man als Bergsteiger einen anderen Bezug zu Gipfelkreuzen?
Hanke: Ja, das Gipfelkreuz ist so ein dickes Plus nach einer mühevollen Tour. Schweißtreibend kommt man oft oben an, erschöpft, je nach Tour. Und wenn du das Gipfelkreuz siehst, dann weißt du, dass dein Ziel erreicht ist. Da sind dann die Mühen und die Beschwernisse der Kletterei oder der strammen Bergwanderung vergessen. Ich freue mich immer, wenn ich auf einen Berg gehe und auf dessen Gipfel dann ein Gipfelkreuz steht. Himmel und Erde berühren sich im Kreuz. Dort wird mir auch bewusst: Diese wilde Naturlandschaft gehört zu uns. Sie gehört in unseren Kulturraum, der kein menschenferner Ort ist. Und das Kreuz steht dafür.
Frage: Fühlen Sie sich auf dem Gipfel Gott besonders nahe?
Hanke: Ich denke da zurück an eine wunderschöne Tour auf die Mittlere Zinne in den Dolomiten. Eine Klassiker-Tour, die mehrere Stunden dauert. Dort oben zu stehen ist schon ein erhebendes Gefühl, das einen packt. Da, wo ein Mensch sich für eine Naturerfahrung öffnet, da ist er auch empfänglich für das Transzendente, für Gott. Die Schönheit und die Erfahrung dieser Schönheit, des Überwältigenden, das macht sensibel.
„Wenn ich im Kulturraum Europa lebe, dann lebe ich in einem Umfeld, das von der Botschaft des Kreuzes geprägt ist, also von der Botschaft der Liebe. Und wo Liebe spürbar wird, rücken Himmel und Erde zusammen.“
Frage: Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte der Extrem-Bergsteiger Reinhold Messner, dass es gerade deswegen keine Gipfelkreuze brauche. Berge an sich seien ja schon erhaben genug. Sollte man Gipfelkreuze also entfernen?
Hanke: Nein! Ich finde, dass es ein schöner Brauch ist, Gipfelkreuze zu errichten. Gipfelkreuze sind ein Hinweis, dass diese Schönheit und Erhabenheit, diese Mächtigkeit einen Ursprung hat, der in Gott dem Schöpfer liegt. Kreuze können auch daran erinnern, dass die Natur nicht uns gehört, sondern dass sie Gabe ist, Geschenk. Wer keinen Gottesbezug hat, der kann zumindest diese Botschaft mitnehmen: Die Natur gehört nicht mir. Ich bin verantwortlich und will mich verantwortlich für den Erhalt der Schöpfung in meinem Leben verhalten.
Frage: Reinhold Messner hat außerdem Gipfelkreuze als religiöse Machtdemonstration tituliert. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Hanke: Das Kreuz ist das Abbild grenzenloser Liebe und nicht einer Machtdemonstration. Wenn überhaupt, dann der Macht der Liebe. Es ist das Erinnerungszeichen an die Liebe Gottes. Ich, die Natur, diese Welt, alles ist von Gott geliebt. Das ist die Botschaft des Christentums, das dieses Europa auch maßgeblich geprägt hat. Auch ein Agnostiker kann dieses Anliegen verstehen, da er auch von dieser Kultur geprägt ist. Deshalb würde ich diesem Satz von Reinhold Messner nicht folgen wollen.