Heilige Kuriositäten
Ein Handschuh Padre Pios mit Stigmata-Blut ging kürzlich auf "Tour" durch die USA, ein Rippenknochen des heiligen Nikolaus zieht derzeit in Moskau Hunderttausende Pilger an: Dass Reliquien bis heute eine große Faszination auf die Menschen ausüben, ist unbestritten. Während die Reformatoren den Kult strikt ablehnten, betonten das Konzil von Trient und später noch einmal das Zweite Vatikanum die Verehrungswürdigkeit der "heiligen Überreste". Was aber die Gläubigen in der Vergangenheit teilweise als "echte" Reliquien verehrten, erscheint aus heutiger Sicht zutiefst kurios. Katholisch.de stellt einige Beispiele vor, die das Prädikat "skurril" mehr als verdient haben.
Die verschwundene Vorhaut
Christus ist auferstanden und in den Himmel aufgefahren. Reliquien in Form von Körperteilen sind also unmöglich? Nicht so ganz. Immerhin kann der Körper bereits zu Lebzeiten "Teile" verlieren. Dass Jesus acht Tage nach seiner Geburt beschnitten wurde, besagt die Bibel (Lk 2,21), und die Kirche feierte die Beschneidung des Herrn früher sogar mit einem eigenen Fest am 1. Januar. Im Mittelalter tauchte dann tatsächlich auch die "heilige Vorhaut" als Reliquie auf – oder besser: die heiligen Vorhäute. Denn gleich mehrere Orte beanspruchten, im Besitz der echten Reliquie zu sein. Eine davon setzte sich durch: Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde die angebliche Vorhaut Christi im italienischen Calcata bei Prozessionen dem Volk zur Verehrung gezeigt. Im Jahr 1983 verschwand die Reliquie jedoch unter bis heute nicht geklärten Umständen.
Muttermilch in Flaschen
Auch bei Maria ergibt sich hinsichtlich von Körperreliquien das "Problem", dass die Gottesmutter leiblich in den Himmel aufgenommen wurde. Das stellte jedoch kein wirkliches Hindernis für den Reliquienkult dar: Im Mittelalter waren zahlreiche Flaschen mit der angeblichen Muttermilch Mariens im Umlauf. Mehrere Milch-Fläschchen befanden sich etwa in der umfangreichen Reliquiensammlung des sächsischen Kurfürsten und Luther-Beschützers Friedrich III., genannt "der Weise". Möglicherweise besaß er auch eine Flasche mit den "Tränen Christi", die ebenfalls erworben werden konnten. Doch Friedrich hatte noch etwas Spektakuläreres auf Lager…
Ein Hauch von Nichts
Im Johannes-Evangelium heißt es: "Nachdem er [Jesus] das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist" (Joh 20,22). Der Hauch Jesu, der hier als äußerst wirkmächtiges Mittel dargestellt wird, hat wohl auch Reliquiensammler fasziniert. Unter den über 19.000 Einzelreliquien im Besitz von Friedrich dem Weisen soll sich in der Tat der "Atem Christi" befunden haben – vermutlich eingekapselt in einem flaschenähnlichen Reliquiar (hoffentlich luftdicht).
Finsternis im Sack
Doch nicht nur von Gestalten des Neuen Testaments oder Heiligen wollte man im Mittelalter Reliquien besitzen. Auch aus alttestamentlichen Zeiten wünschten sich die Menschen Überreste zur Verehrung. Während die Bundeslade bis heute verschwunden ist, tauchte "glücklicherweise" Jahrtausende nach der Sintflut der Bart Noahs wieder auf. Einzelne Barthaare des Archenbauers machten als begehrte Reliquien die Runde. Noch weiter in die Geschichte zurück geht ein anderes Überbleibsel: Der Minoritenorden bewahrte zeitweise Lehm auf – angeblich die Reste des Staubs, aus dem Gott Adam geschaffen hat. Und schließlich konnte, wer wollte, auch einen Teil der Ägyptischen Finsternis (!) besitzen. Offenbar war es gelungen, die drei Tage währende Dunkelheit (Ex 10,22) in irgendeiner Form zu konservieren. Reliquiensammler bekamen somit die Chance, ein Stückchen Finsternis im Sack oder einer Flasche zu erwerben.
Federn des Geistes
Zurück zum Neuen Testament. Eine der bekanntesten Wundererzählungen ist wohl die der Brotvermehrung. Jesus machte am See Gennesaret mit nur wenigen Broten und Fischen eine Menge von – je nach Erzählvariante – vier- oder fünftausend Menschen satt. Trotzdem blieben laut biblischem Zeugnis mehrere Körbe mit Brotstücken übrig. Diese Information ließ Reliquiensammlern buchstäblich das Wasser im Mund zusammenlaufen. Kein Wunder also, dass neben den Brotkrumen auch die Gräten der Fische als Reliquien wieder auftauchten. Ganz kurios: Sogar Federn des Heiligen Geistes sollen im Umlauf gewesen sein. Nach der Logik von Reliquiensammlern nicht ungewöhnlich. Immerhin kam der Geist Gottes "wie eine Taube" auf Jesus herab (Mt 3,16).
Überbleibsel des Palmesels
Tierisch geht es weiter: In Verona bewahrt spätestens seit dem 16. Jahrhundert die Kirche Santa Maria in Organo einen hölzernen Esel auf. Dieses Reliquiar wurde früher jährlich bei der Palmsonntags-Prozession durch die Straßen der Stadt getragen. Was es enthalten soll, ist unschwer zu erraten: Tatsächlich sollen sich im Innern die Gebeine des Palmesels befinden, auf dem Jesus beim Einzug in Jerusalem ritt. Nicht mehr zu toppen? Das ehemalige Kloster Gräfrath bei Solingen setzt noch einen drauf: Hier wurde bis zur Säkularisation – und das ist kein Scherz – sogar der Kot des Palmesels verehrt.