Warum liturgische Gefäße Übergröße haben sollten

Hostienschale und Kelch in XXL

Veröffentlicht am 24.07.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Liturgie

Bonn ‐ Die liturgischen Gefäße, die Martin Stuflesser in Auftrag gegeben hat, haben Übergröße. Der Liturgiewissenschaftler erklärt katholisch.de, was es mit den ungewöhnlich großen Gefäßen auf sich hat.

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Frage: Herr Stuflesser, Sie haben liturgische Gefäße in XXL-Größe anfertigen lassen. Was ist die Idee dahinter?

Stuflesser: Das Grundsymbol der Eucharistie lautet: Wir essen alle von dem einen Brot, wir trinken alle aus dem einen Kelch, wir sind alle ein Leib. Genau das kommt aber heute oft nicht zum Tragen. Gerade bei größeren Messfeiern ist es doch so, dass wir eine Vielzahl von Gefäßen, Hostienschalen und Kelche, auf dem Altar stehen haben. Und die passen oft nicht mal mehr zusammen, etwa was Größe, Design oder Beschaffenheit betrifft. In meinen Augen ist das keine sinnvolle Praxis, weil die Grundsymbolik der Eucharistie dadurch verdunkelt wird. Deshalb haben wir am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft überlegt, wie man es besser machen kann.

Frage: Und wie genau?

Stuflesser: Unsere Grundidee war, dass während des Hochgebets nur ein Kelch und eine Hostienschale auf dem Altar stehen. Die Gefäße müssen dann natürlich eine gewisse Größe haben, damit sie Brot und Wein für die gesamte versammelte Gemeinde fassen können. Bei der Brotbrechung, beim Agnus Dei, werden die eucharistischen Gaben auf kleinere Kelche und Schalen aufgeteilt, damit die Gläubigen bei der Kommunionausteilung nicht stundenlang warten müssen. Wir verwenden außerdem die größten in Deutschland hergestellten Hostien, 22 Zentimeter im Durchmesser, damit möglichst viele Gläubige auch symbolisch von dem "einen Brot" essen können.

Frage: Beim Umverteilen könnte Messwein verschüttet werden oder beim Brechen der großen Hostien Stücke außerhalb der Schale landen. Sehen Sie darin ein Problem?

Stuflesser: Doch natürlich. Das war ein ganz wichtiger Punkt für uns: Die Gefäße müssen so konstruiert sein, dass keinerlei Gefahr einer Verunehrung der eucharistischen Gestalten besteht. Aber das lässt sich machen, es ist eine Frage des Designs.

Frage: Wie genau haben Sie das gemacht?

Stuflesser: (lacht) Wir haben uns von erfolgreichem Industriedesign inspirieren lassen, genauer von den Kaffeekannen, die die Lufthansa an Bord ihrer Maschinen benutzt. Die müssen während des Fluges auch Flüssigkeiten ausgeben, ohne dass etwas danebengeht. Wie machen die das? Wie muss etwa ein Rand beschaffen sein, damit es nicht tropft? Das haben wir uns angeschaut, es getestet und es funktioniert tatsächlich. Der Rand muss in einer bestimmten Art und Weise nach außen übergewölbt sein, dann fließt der Tropfen wieder zurück. Bei unserem Enddesign besteht keine Gefahr mehr, dass auch nur irgendetwas danebengeht. Das Brechen der Hostien ist reine Übungssache. Ein wenig Trockenübung mit unkonsekrierten Hostien, und da bröselt nichts mehr.

Porträt eines dunkelhaarigen Mannes.
Bild: ©Privat

Martin Stuflesser ist Professor für Liturgiewissenschaft und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Würzburg. Derzeit ist er zudem Präsident der Societas Liturgica, einer internationalen ökumenischen Gesellschaft für Liturgiewissenschaft.

Frage: Wenn diese großen liturgischen Gefäße für den Communio-Charakter der Eucharistie sinnvoll sind, warum gab es sie dann bislang nicht?

Stuflesser: Wir haben das Rad nicht komplett neu erfunden. Vorbild für unsere Gefäße sind die große Hostienschale und der Kelch, die in der Abtei Maria Laach verwendet werden. Diese liturgischen Gefäße atmen den Geist der Liturgischen Bewegung, die die Gemeinschaft aller Getauften bei der Eucharistiefeier – noch vor Konzil und Liturgiereform – in den Mittelpunkt stellte.

Frage: Was war vorher? Wie haben sich liturgische Gefäße in der Kirchengeschichte entwickelt?

Stuflesser: Von der Frühzeit der Kirche wissen wir relativ wenig. Vermutlich wurde damals einfaches Gebrauchsgeschirr verwendet. Ab der Spätantike entwickeln sich dann aber nachweislich eine Kelch- und eine Schalenform. Mit der rückgehenden Kommunionfrömmigkeit im Mittelalter – aus Angst, sich an der Eucharistie zu versündigen oder sie zu verunehren – kommunizierte dann irgendwann nur noch der Priester regelmäßig. In der Konsequenz werden die liturgischen Gefäße immer kleiner. Der Kelch war irgendwann nur noch so groß, dass er Messwein für eine Person fassen konnte. Aus der Schale wurde durch mehrfache Reduktion eine Patene, also ein kleiner, flacher Teller, auf den nur noch die sogenannte Priesterhostie passte.

Frage: "Priesterhostie" und "Laienhostien": Eine solche Unterscheidung unterstreicht wohl ebenfalls kaum den Gemeinschaftscharakter.

Stuflesser: Absolut, das ist nicht im Sinne des Erfinders und kommt einer Zweiklassengesellschaft gleich. Denn es geht ja nicht darum, dass ein Priester für sich eine Hostie konsekriert, sondern darum, dass eine Gemeinde gemeinsam Eucharistie feiert. Die Gemeinde soll auch nicht die Kommunion aus dem Tabernakel erhalten, sondern wirklich Hostien, die in der jeweiligen Eucharistiefeier konsekriert werden. Leider ist es heute vielerorts noch üblich, dass die Gläubigen Hostien aus dem Ziborium, also dem "Speisekelch" aus dem Tabernakel, empfangen. Eigentlich ist das gegen die liturgischen Vorschriften.

Frage: Könnte man nicht heute während der Messe auch ein Ziborium statt großer Hostienschale verwenden? So etwas hat jede Gemeinde und da passen ausreichend Hostien hinein.

Stuflesser: Das schon, aber die Symbolik ist schräg. Was ist denn überhaupt ein "Speisekelch"? Man verwendet beim Abendbrot ja auch kein "Essglas", von wegen: Da essen wir erst mal unsere Suppe draus und füllen hinterher noch Wein rein. Das ist eine absurde Situation. Aber es hängt damit zusammen, dass die Leute irgendwann nur noch das eucharistische Brot empfangen haben und nicht mehr den Wein. Die Reformatoren forderten dann den Laienkelch in jedem Gottesdienst. Dagegen sagte die katholische Kirche zu Recht: Nein, in der Brotgestalt ist der ganze Christus, den der Gläubige empfängt. Man empfängt nicht weniger ohne den Wein. Das ist also keine dogmatische Frage, aber eine der Zeichenhaftigkeit. Deshalb machte man den Kelch größer und füllte ihn mit Hostien. Brot im Kelch sollte symbolisch deutlich machen, dass in der Hostie beide Gestalten empfangen werden.

Bild: ©Goldschmiede Münsterschwarzach

Der große Kelch und die große Hostienschale, die in der Goldschmiede der Benediktinerabtei Münsterschwarzach entstanden sind. Zusätzlich gibt es noch mehrere kleine Gefäße, die optisch dazu passen. Gefertigt wurden die liturgischen Gefäße aus hochwertigem Silber und Nussbaumholz aus Franken.

Frage: Sie setzen dennoch mit Ihren liturgischen Gefäßen die Kelchkommunion für alle voraus?

Stuflesser: Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass in jeder Messe die Eucharistie unter beiderlei Gestalten gefeiert wird. Ich war ein Jahr lang in Amerika bei den Jesuiten am Boston College. Meine Erfahrung aus den USA ist, dass es dort in jeder Werktags- wie Sonntagsmesse selbstverständlich die Kelchkommunion gab. Das gehört dort einfach dazu. Bei uns ist diese Praxis leider noch wenig verbreitet. Aber noch einmal: Es geht hier um das Zeichen. Wir haben Anteil am Blut Christi, das für uns, zu unserm Heil, vergossen wurde. Warum sollte es dann dem Priester vorbehalten sein, aus dem Herrenkelch zu trinken? Das hat nichts damit zu tun, dass es natürlich in der Liturgie verschiedene Dienste und Aufgaben gibt: den Vorsteher, die liturgischen Dienste, die Gemeinde.

Frage: Für welches Design haben Sie sich bei Ihren liturgischen Gefäßen entschieden?

Stuflesser: Wir wollten eine moderne Zeichensprache, nichts Antiquiertes oder Pseudohistorisches. Die Gefäße sollten schlicht sein, auf das Wesentliche verweisen und trotzdem den liturgischen Vorschriften entsprechen, also zum Beispiel innen vergoldet sein. Ich denke, wir – beziehungsweise die verantwortliche Goldschmiede der Abtei Münsterschwarzach – haben das gut umgesetzt.

Frage: Stichwort Schlichtheit: Denkt man an mittelalterliche oder barocke Gefäße, dann hat man reichlich Gold und Edelsteine vor Augen. Ist eine solche Gestaltung grundsätzlich falsch?

Stuflesser: Man muss sich vor Augen halten, wozu dieses Design diente: Mit Gold und Edelsteinen sollte ja zum Ausdruck gebracht werden, dass das, was wir in den Gefäßen aufbewahren, das Kostbarste ist, was wir haben – nämlich der Leib und das Blut Christi. Jeder Mensch, ob gebildet oder ungebildet, ob arm oder reich, hat beim Anblick verstanden: Das ist etwas ganz Besonderes, das bedeutet uns ganz viel. Also hat ein vordergründig pompöses Design durchaus seine Berechtigung. Aber unterschiedliche Zeiten nutzen unterschiedliche Materialien und Formen. Im Zuge der Liturgischen Bewegung und des Konzils wollte man weg von überschwänglichem Gepränge. Die "Schnörkel" weg, dafür Reduktion auf das Wesentliche: klare, einfache Formen und dennoch ein hochwertiges Material. Da docken wir mit unseren Gefäßen an.

Frage: Wo kommen Ihre Gefäße zum Einsatz, und hoffen Sie auf "Nachahmer"?

Stuflesser: Der konkrete Anlass ist das 50-jährige Jubiläum der Societas Liturgica, das im August auf einem Kongress im belgischen Leuven gefeiert wird. Bei diesem internationalen Treffen von Liturgiewissenschaftlern werden die Gefäße eingeweiht. Im Anschluss sollen sie bei uns in Würzburg in Hochschulgottesdiensten zum Einsatz kommen. Wir werden die Gefäße aber gerne auch verleihen, an Bistümer beziehungsweise Gemeinden. Denkbar ist auch ein Einsatz auf dem Katholikentag. Natürlich hoffen wir dabei dann auch auf einen Nachbildungseffekt und eine größere Verbreitung solcher Gefäße. Das ist aber kein Muss. Unser Anliegen ist es, die Menschen ins Nachdenken zu bringen: Was ist das zentrale Symbol der Eucharistie? Doch die Gemeinschaft aller Getauften. Und die soll auch in den liturgischen Gefäßen deutlich zum Ausdruck kommen.

Von Tobias Glenz