"Ich tue, was ich tun muss"
Umstrukturierungen hat es unter Johannes Paul II. zwar gegeben. Grundsätzlich aber ist "der Vatikan" in den vergangenen 35 Jahren leise und beständig gewachsen. Dass Franziskus den gegenteiligen Weg einschlagen dürfte, sorgt für Murren in seinen Reihen. Den Papst bekümmert das wenig, wie er in seinem jüngsten Interview mit der argentinischen Zeitung "La Nación" bekannte. Abweichende Meinungen unter seinen Mitarbeitern seien "normal", und dass sie laut geäußert werden, halte er für "sehr gesund".
Im medialen Scheinwerferlicht stehen auf der Baustelle Vatikan naturgemäß die Spitzen der Kurie. Hier hat Franziskus bereits tüchtig Hand angelegt. Wer seine Personalentscheidungen untersucht, sieht kein auf den ersten Blick eingängiges Muster, zumindest keines, das sich in den altbewährten Rahmen zwischen konservativ und reformorientiert spannen ließe. Doch gilt es genauer hinzusehen.
Mehr konservative Würdenträger abberufen
Es stimmt, dass Franziskus mehrere als konservativ geltende Würdenträger von Spitzenposten abberief. Als einer der ersten musste Kardinal Mauro Piacenza den Chefsessel der Kleruskongregation räumen. An der Liturgie-Kongregation gruppierte Franziskus außerordentlich beherzt um. Präfekt Antonio Cañizares Llovera, ein Kardinal, der die liturgische Sensibilität von Benedikt XVI. teilt, ging zurück nach Spanien - wie er betonte auf eigenen Wunsch. Die beiden Untersekretäre der Kongregation verloren wenig später am selben Tag ihr Amt.
Erst jüngst entfernte der Papst Kardinal Raymond Leo Burke von der Kurie. Der mit 66 Jahren noch junge US-Amerikaner wechselte nach der Synode von der Spitze der Apostolischen Signatur, des Höchstgerichtes der katholischen Kirche, in das ehrenvolle, doch einflusslose Reservat des Malteser Ritterordens. Burke liebt die alte lateinische Messe und ist ein offener Kritiker des Kirchenkurses unter Franziskus, den er als liberal brandmarkt. Die Lesart, Burkes Wechsel sei eine Strafversetzung gewesen, wies der Papst gegenüber der argentinischen Zeitung zurück.
Auch "Traditionelle" erhalten das Vertrauen des Papstes
In der Tat schenkt Franziskus auch traditionsorientierten Kardinälen wie George Pell sein Vertrauen. Der Australier ist als hervorragender Verwalter nicht nur im Kardinalsrat K9 vertreten, der dem Papst bei der Vorbereitung der Kurienreform hilft; er leitet auch das von Franziskus eingerichtete Wirtschaftssekretariat und ist damit etwas wie der Finanzminister und oberste Rechnungsprüfer des Vatikans. Theologisch dürfte Pell weniger auf der Linie des argentinischen Papstes liegen. Gleiches gilt für den Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, den Papst Benedikt acht Monate vor seinem Amtsverzicht nach Rom geholt hatte, wurde von Franziskus als oberster Glaubenshüter bestätigt, obwohl Stil- und Auffassungsunterschiede zwischen dem kantigen Dogmatiker und dem Papst offensichtlich sind.
Franziskus weiß genau, was er tut, was er plant und mit welchen Mitteln er es erreichen will, beobachten langgediente Kuriale. Er bindet konträre Figuren in Entscheidungsprozesse ein, weil er der geistigen Dynamik solcher Prozesse vertraut; an der Bischofssynode vom Oktober ließ sich dieses Vorgehen beispielhaft ablesen. Franziskus arbeitet eher mit Eingemeindung als mit Ausgrenzung.
Das Unwesen der Vetternwirtschaft hat unter Jorge Mario Bergoglio kein Heimatrecht im Vatikan. Fast nie setzt er langjährige Freunde und Gefolgsleute an zentrale Stellen. Eine Ausnahme ist der Spanier Fernando Vérgez Alzaga. Der kluge und menschennahe Ordensmann, den der Papst regelmäßig am Handy anruft, wirkt als Generalsekretär des Governatorates, der "Staatsverwaltung" des Vatikanstaates. Argentinische Landsleute im Vatikan, zu denen Bergoglio immer losen Kontakt gehalten hatte, stiegen bisher nicht auf.
Franziskus sucht nach Qualifikation aus
Generell sucht Franziskus seine Männer nach Qualifikation aus, traut ihnen aber durchaus mehr zu, als im Curriculum steht. So erklärt sich etwa die Berufung des Diplomaten Lorenzo Baldisseri zum Generalsekretär der Bischofssynode, ein Amt, für das der Italiener auf dem Papier wenig Eignung zu haben scheint. Überdies bringt Franziskus im Gegensatz zu seinem gutmütigen Vorgänger ein gerütteltes Maß an Menschenkenntnis mit, Frucht eines 45jährigen Dienstes in der Seelsorge, im Orden und als Bischof. Seine Weise, wichtige Mitarbeiter zu berufen und andere zu entfernen, ist eine Mischung aus Strategie und "Nase".
Transparent sind seine Personalentscheidungen freilich ebenso wenig wie die seiner Vorgänger. Das ließe sich als Prägung durch den Orden interpretieren, dem der Papst angehört. Die Jesuiten pflegen im Gegensatz zu anderen Orden keine demokratische, sondern eine hierarchisch organisierte Kommunikation. Geht es um Neubesetzungen, sind Mitbrüder dazu angehalten, vertrauliche Berichte über Kandidaten zu schreiben und nach oben zu leiten. Wer die Entscheidung trifft, muss sie nicht begründen. Jesuiten lernen: die Beschlüsse der Oberen fallen im Stillen, und es werde schon ihre Richtigkeit damit haben.
Bei aller Erziehung zum Vertrauen, die einer solchen Ordenskultur entspringt, hat Franziskus nicht versäumt, dem Vatikan eine personelle Notbremse einzubauen. "Unter besonderen Umständen" kann der Papst – wie er kürzlich verfügte – einen Kardinal oder Bischof an der Kurie zum Einreichen der Rücktrittsbitte auffordern. Im selben Zug setzte Franziskus die Pensionsgrenze für Kurienchefs herab. Alle vatikanischen Behördenleiter im Kardinalsrang müssen mit 75 Jahren um ihre Entpflichtung bitten, so wie es Ortsbischöfe tun. Ganz umstandslos geht es neuerdings in der zweiten und dritten Hierarchie-Ebene im Vatikan zur Sache. Die Kurienämter von Bischöfen erlöschen automatisch mit deren 75. Geburtstag. Franziskus selbst wäre nach diesen Regeln nicht mehr im Amt. Am 17. Dezember wird er 78 Jahre alt.
Papst beruft sich auf Prinzip der Subsidiarität
Die Ziele, die Franziskus mit dem Umbau der Kurie verfolgt, hat er klar benannt. "Rom" soll nach dem bewährten Prinzip der Subsidiarität nur noch das regeln, was tatsächlich in "Rom" geregelt werden muss. Die Zentralverwaltung muss der Weltkirche helfen anstatt sie zu gängeln. Solche Unerhörtheiten hatten die Kardinäle, auch Bergoglio, vor dem letzten Konklave als massive Wünsche an den neuen Papst formuliert. Ein durchgängiger Geist des Dienens wächst im Vatikan freilich langsamer, als ein Chefsessel neu besetzt ist.
Franziskus gibt sich keinen Illusionen hin. Die Kurienreform ist "ein langsamer Prozess" in vielen kleinen Schritten, der sicher nicht im nächsten Jahr abgeschlossen ist, sagte er "La Nación". Er sei ohne große Erwartungen über die Art des Reinemachens an der Kurie ins Amt gegangen. Gott habe ihn aber glücklicherweise mit einem hinreichenden Ausmaß an Ahnungslosigkeit gesegnet: "Ich tue, was ich tun muss." Ob das Murren am Ende verstummt, bleibt abzuwarten.