"Im Priesteramt verwurzelt"
Frage: Herr Derwahl, obwohl er als scharfer Kirchenkritiker gilt, ist Hans Küng immer dabei geblieben. Wieso kann er von der katholischen Kirche nicht lassen?
Derwahl: Hans Küng ist ein außerordentlich konsequenter Mensch: Ein Austritt aus der Kirche hätte ihm die Glaubwürdigkeit genommen und auf die möchte er nicht verzichten. Er würde auch nicht die innerkirchliche Opposition durch so einen Schritt schwächen wollen. Bei aller Seriosität ist er ein guter Manager in eigener Sache, der mit seinen Äußerungen auf ein starkes Medieninteresse stößt.
Frage: Welche Rolle spielt dabei sein Priesteramt?
Derwahl: Ich denke, dass es ihm das Wichtigste ist. Er ist im Priesteramt verwurzelt und es verwurzelt ihn mit der Kirche aller Zeiten. Das Amt ist eine Quelle seines Glaubens und Lebens.
Frage: Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich Küng mit dem "Projekt Weltethos" für ein allgemein akzeptiertes Regelwerk, das aus den Gemeinsamkeiten der Weltreligionen stammt. Was zunächst von außen wie ein Ausweg aus dem Lehrverbot von 1979 aussah, scheint sich zu einem wahren Herzensprojekt entwickelt zu haben…
„Das schönste Geschenk zu seinem 85. Geburtstag ist, dass jetzt ein neuer Papst kommt, der auch ihm zu Herzen geht“
Derwahl: Es war gleich zu Beginn ein Herzensprojekt, wobei es selbstverständlich sehr geholfen hat, die Wunden nach dem Lehrverbot schnell zu heilen. Er hat allerdings auch von einer hohen Geldsumme eines Mäzen profitiert: Küng war auf einmal ein freier Mann, der nach Belieben bei der Arbeit seine Themen wählen, reisen und Personal beschäftigen konnte. Durch dieses Projekt hatte er einen glaubwürdigen Standpunkt, den man zu respektieren hatte. Er baute zu Kofi Annan eine enge Beziehung auf, besuchte den Dalai Lama und empfahl sich so in die Rolle eines großen Weltversöhners.
Frage: 1989, gegen Ende des Ost-West-Konflikts und noch vor den großen Terroranschlägen, legte er der UNESCO sein Papier "Kein Weltfriede ohne Religionsfriede" vor. Ebenso hat er in der katholischen Kirche stets die Themen aufgenommen, die gerade dran waren. Kann man als Lebensbilanz sagen: Küng ist ein Mann, der einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist?
Derwahl: Küng hat einen besonderen Zugang zum Visionären. Da ist er seiner Zeit und seiner Kirche in mancher Weise voraus. Die Kirche hat ja einen universellen Auftrag und Küng ist stets genau da, wo gerade etwas fehlte, in die Bresche gesprungen. Im Blick auf das Universelle überschnitt sich viel mit dem reisenden Papst Johannes Paul II. (1978-2005); nur innerkirchlich waren sie heftige Gegner.
Frage: Was denkt Hans Küng dann über den neuen Papst Franziskus?
Derwahl: Bei der Bekanntgabe des Papstnamens waren die Bilder aus Rom noch nicht ausgeblendet, da erschien er schon in einem lockeren Freizeitanzug im Fernsehen. Er hat mit seriösen und nachdenklichen Worten jede Geste und jedes Wort von Franziskus sehr, sehr positiv kommentiert. Das war ein völlig anderer Hans Küng als der notorische Kirchen- und Papstkritiker. Plötzlich waren Küng und der Vatikan wie auf einer Wellenlänge. Es hatte etwas Bedeutsames und vielleicht ist es das schönste Geschenk zu seinem 85. Geburtstag, dass jetzt ein neuer Papst kommt, der auch ihm zu Herzen geht. Die Kirche öffnet sich und so wird es wieder sehr interessant werden, katholisch zu sein.
Zur Person: Freddy Derwahl
Der Belgier Freddy Derwahl (Jahrgang 1946) ist Buchautor, Journalist und Mitglied im PEN-Club. Auf Deutsch berichtete er für die "Aachener Volkszeitung" und für das "Belgische Rundfunk- und Fernsehzentrum". 2006 erschien sein Doppelporträt "Der mit dem Fahrrad und der mit dem Alfa kam: Benedikt XVI. und Hans Küng"; 2008 als Taschenbuch mit dem Untertitel "Geschichte einer Freundschaft". Mit Küng steht er nach eigenen Angaben in Briefkontakt.Frage: Und warum sieht er den neuen Papst so anders als den emeritierten Benedikt XVI.?
Derwahl: Er hatte einige Schwierigkeiten mit Joseph Ratzinger. Sie waren zunächst Kollegen an der Universität Tübingen und gehörten als Berater im Konzil dem progressiven Flügel und haben viel bewirkt. Aber später trennte sich das, weil Ratzinger die Reformer zu forsch vorgingen und er als Kardinal und in der Glaubenskongregation harte Positionen vertrat. Sicherlich spielte bei Küng auch eine kleine Eifersucht eine Rolle, denn er konnte sich selbst gut als Kardinal vorstellen. Eine große Überraschung war dann das Treffen des Papstes und des Theologen im Herbst 2005 in Castel Gandolfo. Nach dem langen Gespräch und dem gemeinsamen Essen sagte Küng, dass sich in der Kirche noch sehr vieles ändern werde. Später hingegen kritisierte er Ratzinger wieder, weil er die Reformen nicht konsequent genug verfolgt sah.
Frage: In seinem Buch "Was ich glaube" beklagt sich Küng über die moderne Zügellosigkeit, die Beliebigkeit und den Pluralismus. Zum Teil kritisiert er auch den Erziehungsstil der 1968er. Das erinnert stark an einige Ansprachen von Papst Benedikt XVI.
Derwahl: Ja, da gibt es eine gewisse Ähnlichkeit. Im Grunde haben beide in jungen Jahren dieselbe Zeit verbracht: Sie sind als junge Priester gemeinsam gegen diesen morbiden Zeitgeist gefahren und haben zu spüren bekommen, dass die Positionen der Kirche schwierig zu vermitteln wurden. Die Seminare von Ratzinger und Küng sind ja in diesen Jahren von linken Aktivisten sabotiert worden.
Frage: Welche theologischen Pflöcke hat er eingeschlagen, die auch in 20 oder 40 Jahren noch wichtig sein werden?
Derwahl: Er hat die traditionellen Forderungen bezüglich Zölibat und Diakoninnenweihe, auf die er nicht verzichten wird. Aber die wirklichen Pflöcke, die er eingeschlagen hat, liegen in der ökumenischen Theologie. In seiner Doktorarbeit über die Rechtfertigungslehre hat er sich einen Namen gemacht, seine Vorstellungen zur Ökumene haben die Teilnehmer beim Zweiten Vatikanischen Konzil tief beeindruckt. Der Einfluss von Hans Küng auf die Ökumene ist nach wie vor spürbar.
Frage: Was wird von Hans Küng in Erinnerung bleiben?
Derwahl: Zunächst muss man sagen, dass er noch gar nicht fertig ist. Er sieht mit 85 blendend aus, hat gewiss mit dem Weltethos und seinen Mitarbeitern noch manche Projekte vor. Ich denke, dass er sich in seinen verbleibenden Jahren wieder auch in der Kirche einbringen wird, im Schatten dieses neuen Papstes und der zu erwartenden Reformen und atmosphärischen Änderungen. Als einen beschaulichen Ruheständler kann ich ihn mir nicht vorstellen.
Das Interview führte Agathe Lukassek