Kanadische Revolution
Noch geht Quebec nicht so weit wie das Mutterland zu Zeiten Robespierres und Marats. Doch einen deutlichen Schritt in Richtung Säkularisierung ist die Provinzregierung im Begriff zu tun. Die tonangebende Parti Quebecois und die Minderheitsregierung von Premierministerin Pauline Maurois sorgen mit einem Plan für Aufsehen, nach dem religiöse Symbole aus dem staatlichen Leben verschwinden sollen.
Hijabs, Kippas, Turbane oder Kruzifixe
Die separatistischen Politiker machten in der Vergangenheit immer wieder Schlagzeilen mit Plänen einer Loslösung vom restlichen, anglophonen Kanada. Sie scheiterten jeweils an der Wahlurne. Nun ein neues Betätigungsfeld: Angestellte staatlicher Institutionen sollen künftig keine Hijabs, Kippas, Turbane oder sichtbare Kruzifixe mehr tragen dürfen. Das betrifft Mitarbeiter in wichtigen Lebensbereichen: in Schulen, Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, bei Behörden sowie bei Polizei und Feuerwehr.
Bernhard Drainville, Minister für demokratische Institutionen und aktiven Bürgersinn, bewertet die Gesetzesinitiative als "gute Balance zwischen dem Respekt für individuelle Rechte und dem Respekt für die gemeinsamen Werte der Quebecois".
„In Quebecs Plan geht es nicht um Symbole - er bedroht die Religion insgesamt.“
Tatsächlich kommt der Plan neutral daher; er richtet sich gegen jede Religion in gleichem Maße. Doch beim Blick auf die Demografie der Provinz mit ihren 5,6 Millionen Einwohnern zeigt sich, welcher Bevölkerungsanteil am stärksten betroffen ist: Der Katholizismus ist mit gut 80 Prozent die bei weitem verbreitetste Religion. Der Anteil von Juden und Muslimen rangiert geschätzt bei jeweils 1,5 Prozent.
"Furcht vor den Anderen"?
Der Plan der Regierung Maurois hat für heftige Diskussionen und zahlreiche Proteste gesorgt. Einer der prominentesten kanadischen Politiker, der liberale Parteichef Justin Trudeau, Katholik und Sohn des legendären Premierministers Pierre Trudeau (1919-2000), erklärte, es werde Quebec nicht gerecht, wenn sich die Offenheit und Herzlichkeit seiner Menschen im öffentlichen Leben nicht widerspiegele. Eine "Furcht vor den Anderen" sei nicht die Tradition Quebecs und Kanadas.
Der Hinweis auf "die Anderen" verdeutlicht indes, dass auch islamische und jüdische Kopfbedeckungen gemeint sind. Sprecher beider Religionsgruppen sehen in dem möglichen Gesetz einen Eingriff in die Religionsfreiheit.
Kritiker befürchten nicht nur einen massiven Imageverlust für die sehr auf Tourismus angewiesene Provinz, sondern auch den Wegzug qualifizierter Mitarbeiter, vor allem aus dem medizinischen Bereich, in dem Sikh-Chirurgen mit Turban und Krankenschwestern im Hijab nichts Ungewöhnliches sind. Eine der größten kanadischen Tageszeitungen, die in Ottawa erscheinende "Globe and Mail", bringt es drastisch auf den Punkt: "In Quebecs Plan geht es nicht um Symbole - er bedroht die Religion insgesamt".
Allein wird die Parti Quebecois den umstrittenen Plan nicht durch das Parlament bringen können. Wie sich die übrigen Abgeordneten verhalten werden, ist kaum abzuschätzen. Allerdings: Viele blicken gern auf die Tradition des einstigen Mutterlandes und seinen Antiklerikalismus.
Von Ronald Gerste (KNA)