Kardinal Gerhard Ludwig Müller wird an Silvester 70 Jahre alt

Runder Geburtstag am Ende eines unrunden Jahres

Veröffentlicht am 31.12.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Vatikan

Bonn/Vatikanstadt ‐ In den vergangenen Monaten lief es schlecht für ihn: Nach seinem Aus als Chef der Glaubenskongregation folgten widersprüchliche Aussagen in den Medien. Heute wird Kardinal Gerhard Ludwig Müller 70 Jahre alt.

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Seinen 70. Geburtstag hat sich Gerhard Ludwig Müller wohl anders vorgestellt. Dass er heute sein Sektglas nur noch als Kurienkardinal im vorzeitigen Ruhestand erheben kann, war in der Lebensplanung des deutschen Kardinals nicht vorgesehen.

Wenn Müller an diesem Sonntag auf die vergangenen zwölf Monate zurückschaut, dann blickt er auf die wahrscheinlich größte Schmach in seiner bisherigen kirchlichen Laufbahn: Papst Franziskus verlängerte seine Amtszeit als Präfekt der Glaubenskongregation im Juni nach fünf Jahren nicht mehr; ein in der jüngeren Kirchengeschichte beispielloser Vorgang. Das war für den Theologen von Weltruf, den Arbeitersohn aus Mainz-Finthen, der bereits mit 38 Jahren auf einen Dogmatik-Lehrstuhl in München kam, mit 52 Jahren als Bischof nach Regensburg ging und 2012 von Benedikt XVI. als oberster Glaubenshüter nach Rom geholt wurde, eine bislang unbekannte Erfahrung.

Wie sehr Müller diese Demütigung zu schaffen machte, zeigten seine teils widersprüchlichen Aussagen über die Motive des Papstes. Franziskus wolle nun generell die Leiter vatikanischer Behörden nur noch fünf Jahre im Amt belassen, erklärte er zunächst; Überprüfen ließ sich das nicht, weil der Vatikan selbst keine Motive für die Entscheidung des Papstes mitteilte. Durch Franziskus' Personalpolitik lässt sich die Erklärung Müllers bislang allerdings nicht bestätigen. Zuletzt sah sich der deutsche Kardinal dann als Opfer einer Verleumdungskampagne. Anonyme Zuträger hätten ihn bei Franziskus verleumdet, "die besser einen Seelenklempner aufgesucht hätten", sagte er einer italienischen Tageszeitung und machte aus seiner Kränkung keinen Hehl.

Für viele war die Sache klar: Der Modernisierer Franziskus trennt sich vom konservativen Hardliner Müller. So oder ähnlich lautete häufig der Tenor in der Berichterstattung. Doch ganz so einfach liegen die Dinge möglicherweise nicht. Manches spricht dafür, dass hier auch ein deutscher Theologie-Professor an der römischen Realität und an den unkonventionellen Methoden eines Papstes aus Südamerika gescheitert ist.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, und Papst Franziskus bei den Beratungen der Bischofssynode zu Ehe- und Familienthemen im Oktober 2014 im Vatikan.
Bild: ©KNA

Kardinal Gerhard Ludwig Müller und Papst Franziskus bei den Beratungen der Bischofssynode zu Ehe- und Familienthemen im Oktober 2014 im Vatikan.

In diese Richtung deutet Müllers Aussage vor einigen Wochen, dass auch im Vatikan Theologie "auf akademischen Niveau" nötig sei; die "Volkstheologie einiger Monsignori" reiche ebenso wenig aus, wie eine "zu journalistische" Theologie von anderen, sagte er offenbar gegen das Umfeld des Papstes gerichtet. Müllers Entlassung könnte man so als Abgang eines Theologie-Professors deuten, der keine Abstriche an seinen akademischen Standards zugestehen wollte, dem diplomatische Geschmeidigkeit und taktisches Geschick fehlten, die man an der römischen Kurie braucht. Und nicht zuletzt: dem offenbar das Gespür für den Umgang mit Medien fehlte, über das man – ob man will oder nicht – in seiner Position unbedingt verfügen muss.

Zuletzt fragten sich auch Müller Wohlgesonnene, was nur in deutschen Kardinal gefahren sei. In den vergangenen anderthalb Jahren gab der Präfekt der Glaubenskongregation ein Interview nach dem anderen und drohte sich hierbei bisweilen um Kopf und Kragen zu reden. Zwar versuchte er, den Papst gegen seine konservativen Kritiker zu verteidigen, insbesondere in der Debatte über den Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene. Doch die Verteidigung fiel oft so mehrdeutig oder halbherzig aus, dass er in den Medien ohne allzu große Mühe zum konservativen Gegenspieler des Papstes stilisiert werden konnte. Im nächsten Interview beschwerte sich Müller dann wieder über eine solche Interpretation seiner Worte und sah sich als Opfer sensationslüsterner Medien. Dieser Kreislauf setzte monatelang fort – bis zu Müllers Entlassung.

Warum Müller immer wieder Interviewanfragen stattgab, bleibt rätselhaft. Merkte er selbst nicht, in welche Lage er sich durch solche Äußerungen manövrierte? Hatte er niemanden, der ihn darauf hinwies? Genoss er insgeheim das Medieninteresse? Oder wollte Müller letztlich doch deutlich machen, dass er nicht hundertprozentig hinter Franziskus steht? Wirklich überzeugen kann keine dieser Erklärungen. Fest steht jedenfalls: Müller konnte sich nie dazu durchringen, in der Öffentlichkeit klar zu sagen, woran es eigentlich für ihn keinen Zweifel geben konnte: Ja, Franziskus will mit seinem Schreiben "Amoris laetitia" ermöglichen, dass wiederverheiratete Geschiedene im begründeten Einzelfall die Kommunion empfangen können. 

Kardinal Müller blickt in die Zukunft

"Jedes Neue Jahr eröffnet uns Möglichkeiten und enthält Herausforderungen, die wir vielleicht noch nicht kennen", sagte Kardinal Gerhard Ludwig Müller anlässlich seines 70. Geburtstags der Deutschen Presse-Agentur. "Die Zeit ist nicht das, was hinter uns in der Vergangenheit versinkt, sondern noch mehr die Zukunft, die vor uns liegt." Eine Rückkehr nach Deutschland sieht er nicht. "Nach Deutschland komme ich gelegentlich zur Feier von Festgottesdiensten, Predigten und Vorträgen, aber nicht zur Übernahme einer bestimmten Aufgabe", so Müller. Es stünden nun "einige Publikationen an und größere Vortragsreisen auch in anderen Kontinente". (luk/dpa)

Doch Müller war eben nicht einfach immer konservativer als der Papst. Gegenüber den traditionalistischen Piusbrüdern war der deutsche Theologie-Professor erheblich kritischer und konsequenter als Franziskus. Während der Papst den Piusbrüdern ohne Gegenleistungen weiter entgegenkam, als seine beiden Vorgänger, pochte Müller auf eine vollständige Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Auch in der Debatte über die Anerkennung der umstrittenen Marienerscheinungen im bosnischen Medjugorje zeigte sich Müller anscheinend skeptischer als der Papst. In beiden Fällen vertrat er die – jedenfalls aus Sicht der meisten deutschen Katholiken – progressivere Position, weil er anders als der Papst offenbar nicht bereit war, theologische Abstriche zu machen.

Doch das wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Das Bild des konservativen Hardliners Müller blieb unbeschädigt. Letztlich lässt sich vielleicht auch Müllers Verhalten in der Debatte über "Amoris laetitia" mit den Vorbehalten des deutschen Theologieprofessors schlüssiger erklären, als mit seiner pauschalen Etikettierung als konservativer Hardliner.

Zumindest manche Äußerungen Müllers deuten darauf hin, dass er sich möglicherweise vor allem mit der unkonventionellen Art und Weise, wie Franziskus wiederverheirateten Geschiedenen den Kommunionempfang ermöglichte, schwertat, in einer Fußnote, deren Auslegung er dann in einem Schreiben an argentinische Bischöfe festlegt, und nicht so sehr mit der Änderung des kirchlichen Lehramts in dieser Frage selbst.

Der Wallfahrtsort Medjugorje in Bosnien-Herzegowina.
Bild: ©picture alliance / AP Photo

In der Debatte über die Anerkennung der umstrittenen Marienerscheinungen im bosnischen Medjugorje zeigte sich Müller skeptischer als der Papst.

Müller sah sich bis zuletzt gerne als Opfer der Medien, manchmal war er es allerdings auch, wenn auch nicht ganz ohne eigenes Zutun. Als im März das Missbrauchsopfer Marie Collins aus der päpstlichen Kinderschutzkommission austrat, und diesen Schritt mit mangelnder Kooperationsbereitschaft der Glaubenskongregation begründete, war für viele Medien Müller der Sündenbock. Dass er gute Gründe dafür anführte, warum er den Vorschlag Collins' abgelehnt hatte, die Glaubenskongregation sollte jedem Missbrauchsopfer einen persönlichen Brief schreiben, wurde kaum gewürdigt. Der Professor Müller vertraute aus Sicht von Beobachtern zu sehr auf die Überzeugungskraft von Argumenten und zeigte sich zu wenig mitfühlend. Jeder Medienberater hätte ihm gesagt, dass man in einer derart emotionalen Atmosphäre mit rein sachlichen Argumenten keinen Blumentopf gewinnen kann.

Doch das ist Vergangenheit. Müller will nun in die Zukunft blicken, wie er jüngst verriet. Und die sieht er für sich weiterhin in Rom und nicht in Deutschland. Er will künftig zwischen dem Papst und seinen Kritikern vermitteln, kündigte er an. Vielleicht ist der deutsche Kardinal ohne die Last seines Amtes dafür nun der ideale Mann. Müller, der Freund des peruanischen Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez, hatte bereits früher in einem anderen großen Konflikt oft erfolgreich vermittelt: in der Auseinandersetzung zwischen Rom und lateinamerikanischen Befreiungstheologen. Eins möchte Müller jedenfalls auch jetzt, als Kurienkardinal im vorzeitigen Ruhestand, auf keinen Fall: "in der deutschen Presse zu einem Kontrahenten des Papstes stilisiert werden".

Von Thomas Jansen