Kein Fels zum Anfassen
Die obere Grabkammer, der Fries mit der griechischen Inschrift und Teile des aufgesetzten Zwiebelturms erstrahlen bereits wieder in hellem Beige. Der jahrhundertealte ölige Ruß von Kerzen und Weihrauch, der die Ädikula über dem leeren Grab Christi in ein düsteres Grau-Schwarz taucht, wird schrittweise entfernt. Zum kommenden Osterfest soll sich die bedeutendste Stätte der Christenheit in der Jerusalemer Grabeskirche wieder komplett frei von Gerüsten, Stahlstützen und Absperrwänden präsentieren. Vorbei scheint unterdessen der Traum, die bei der Restaurierung gemachten Funde könnten künftig integriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Teile eines Felsengrabes entdeckt
Bei der Abnahme der Marmorwände waren die griechischen Bauleute Mitte August unter mehreren älteren Schichten auf den gewachsenen Fels gestoßen: auf bis in 1,70 Meter Höhe reichende Teile eines Felsengrabes, in das Jesus nach der Kreuzigung niedergelegt worden sein soll. Die Entdeckung wurde nur auf Umwegen publik, eine offizielle Mitteilung durch Kircheneigner und Restauratoren erfolgte nicht. Und wer in den Tagen nach der überraschenden Entdeckung einen Blick auf jenen Teil der Südseite werfen konnte, sah, dass sehr rasch wieder eine Mauer aus Ziegelsteinen davor hochgezogen worden war.
Grund für die Diskretion und die Eile ist ein unterschiedliches Traditionsverständnis der Christen in Ost und West. Die drei Haupteigentümer der Grabeskirche, die Griechisch-Orthodoxen, die Armenier und die Lateiner - vertreten durch die Franziskaner - hatten sich im vergangenen März nach vorausgegangenen Geheimabsprachen auf eine "konservative" Restaurierung verständigt. Die Griechen, die im Besitz der Ädikula über dem traditionellen Grab Christi sind, hatten nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass sich an deren Form und Gestalt nichts ändert. Die Kapelle sollte gereinigt, statisch gesichert und vorhandene Schäden repariert werden. Nur irreparable Teile sollten erneuert oder ausgetauscht werden dürfen.
Nach dem Verständnis der orthodoxen Griechen muss das Bauwerk an der Heiligen Stätte in derjenigen Form erhalten bleiben, wie es zu den heutigen Gläubigen gelangt ist. Dabei spielt keine Rolle, dass diese äußere Bausubstanz erst 200 Jahre alt ist: Sie war nach einem verheerenden Brand von 1808 im Stil des osmanischen Barock komplett neu errichtet worden. Das Interesse und die Verehrung gelten dieser vorhandenen Gestalt und ihrem Erhalt - und nicht der archäologischen Erforschung der Baugeschichte und der Ermittlung früherer Strukturen und Vorgängerbauten, wie sie im christlichen Westen mitspielen. Die Restaurierungsabsprache schließt ein, dass auch die etwa 170 griechischen Worte, die damals an den Innen- und Außenwänden der Ädikula aufgetragen wurden, genauso erhalten bleiben müssen.
Die Restaurierung und die Erforschung der vergangenen Monate haben bestätigt, dass im Laufe der Jahrhunderte in der Grabkapelle eine Schicht über die andere gelegt wurde, ähnlich einer Zwiebel. Neue Platten wurden über Bestehendes gebaut. Der jetzt wiederentdeckte Fels dürfte zu der Formation gehören, die Kaiser Konstantin für den Bau seiner ersten Basilika nach 324 aus dem Felsengrab des Josef von Arimathäa herauslöste, um darüber ein erstes Grabmonument zu errichten. Offenbar schaffte Kalif Hakim es mit seiner Zerstörungswut im Jahre 1009 nicht, diesen Felsen ganz zu zerstören - über den dann die Kreuzfahrer 150 Jahre später einen Neubau setzten.
"Status quo" erlaubt keine Veränderungen
Die Hoffnungen, künftig den originalen Felsen des Heiligen Grabes Christi sehen und berühren zu können, eventuell hinter Glas, haben sich zerschlagen - zumindest für den Moment. Anders als im römischen Petersdom, unter dem jährlich viele tausende Menschen die Ausgrabungen am Grab des Apostelfürsten besuchen, ist Derartiges am Heiligen Grab von Jerusalem derzeit nicht möglich. Der strenge Rahmen des "Status quo", der seit 1852 das Nebeneinander der rivalisierenden christlichen Konfessionen, ihrer Besitzrechte und Nutzungszeiten regelt, erlaubt keine Veränderung; denn sie könnte ja eine Seite gegenüber einer anderen bevorteilen. Daher war es bereits ein Wunder, dass sich die Kircheneigner überhaupt auf eine Restaurierung verständigen konnten. Allerdings ließen ihnen die mangelnde Sicherheit der Ädikula und die drohende Sperrung durch die israelischen Behörden kaum eine Alternative. Und vielleicht einigen sie sich ja in späteren Jahren darauf, einige der Marmorplatten am Heiligen Grab durch eine Glasschicht zu ersetzen.