Kinderliturgie-Referentin Ruth Weisel über Kinder im Gottesdienst

"Kinder sollten Regeln und Rituale lernen"

Veröffentlicht am 23.09.2017 um 13:00 Uhr – Lesedauer: 
Kinder

Bonn ‐ Ist es eine gute Idee, Kinder zum Ruhigsein im Gottesdienst zu ermahnen? Und wie kann jede Messe Kinder ansprechen? Ruth Weisel, Referentin für Kinderliturgie, hat darüber mit katholisch.de gesprochen.

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Frage: Frau Weisel, Papst Franziskus hat sich kürzlich dagegen ausgesprochen, Kinder in der Kirche zum Stillsein zu ermahnen. Was halten Sie davon?

Ruth Weisel: Strenges Ermahnen finde ich nicht gut, weil es dazu führen kann, dass Kinder etwas Negatives mit dem Glauben verbinden. Glaube soll ja erfreuen und sie bestärken. Das heißt aber nicht, dass man Kinder machen lassen kann, was sie wollen. Vielmehr sollte man sie auf Regeln hinweisen. Generell ist es gut, wenn Kinder dazu angeführt werden und Regeln und Rituale lernen. Sie wissen dann: Im Gottesdienst geschieht etwas Intensives, darauf muss ich mich konzentrieren. So können sie es als Raum der Ruhe erfahren und lernen, in sich hineinzuspüren und zu lauschen.

Frage: Gottesdienste sind für Kinder generell langweilig, oder?

Weisel: Nein, im Gegenteil. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, Kinder in den Gottesdienst einzubeziehen: Der Familiengottesdienst ist wahrscheinlich die bekannteste. Dann gibt es den "Kindergottesdienst", den die Kinder als gesondertes geistliches Programm parallel zum Sonntagsgottesdienst besuchen können. Die Kinder beschäftigen sich dann in einem separaten Raum mit einer Bibelstelle, angeleitet durch einen Betreuer, mit dem sie sich eigene Gedanken zum biblischen Thema machen und ganzheitlich sinnorientiert damit arbeiten, also malen, tanzen oder musizieren. Für jüngere Kinder und deren Eltern gibt es auch Krabbelgottesdienste, bei denen viel mit Sinneseindrücken wie Geräuschen oder haptischen Erfahrungsmöglichkeiten wie Tüchern gearbeitet wird. Denn auch, wenn sie noch nicht alles verstehen, bekommen die Kinder die Atmosphäre mit. So können Kinder entsprechend ihres Alters Glaubenserfahrungen machen und sich damit auseinandersetzen.

Linktipp: Schreiende Kinder im Gottesdienst

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Frage: Aber man kann ja nicht jeden Gottesdienst kindgerecht gestalten.

Weisel: Selbst das geht, denn es reicht schon, mit einzelnen Elementen die Kinder anzusprechen. Das können Mitmach-Aktionen sein, die alle Gottesdienstbesucher mitmachen können: Beispielsweise die Geschichte von Elia in der Wüste, dem Gott in Stürmen, Erdbeben und Feuer begegnet. Zuerst erzählt man die Geschichte lebendig und in einfachen Worten. Wenn Elia nach Gott ruft, kann man alle dazu auffordern, nach Gott zu rufen. Den Sturm können Kinder wie Erwachsene mit Trommeln und Stampfen nachmachen und für den Wind zum Schluss können sie sich selbst auf den Arm pusten, sodass sie die Geschichte richtig spüren können. Das kann man wirklich mit der ganzen Gemeinde machen, ich habe damit positive Erfahrungen gemacht. Und auch die Verklanglichung von Bibelstellen kann Jung und Alt ansprechen. So wird gleichzeitig intensives Hin- und Zuhören geübt. Ich habe in einem Gottesdienst für Kindergartenkinder mit einer Gruppe Musikern die Geschichte vom barmherzigen Samariter mit Klangelementen und Liedrufen ergänzt. Die Kinder haben tatsächlich die 15 Minuten konzentriert gelauscht.

Frage: Viele haben bei Familiengottesdiensten den Einwand, dass das für Erwachsene theologisch oder inhaltlich zu flach sei.

Weisel: Das kann es gar nicht sein, wenn es inhaltlich beziehungsweise vom Text her gut theologisiert ist. Denn diese Mitmach-Aktionen sind keine Ablösung der Theorie, sondern eine Vertiefung und Ergänzung dazu. Dass man durch kreative, sinnliche Elemente bestimmte Inhalte vertieft, schließt ja nicht aus, dass man vorher die Inhalte intensiv diskutiert. Für Kinder brauche ich natürlich eine einfachere, für sie verständliche Sprache, aber ich kann inhaltlich genauso in die Tiefe gehen wie bei Erwachsenen. Und was das Erlebnis durch die Sinne angeht, ist es das Intensivste überhaupt. Glaube ist ja auch eine sinnliche Erfahrung, die nicht nur im Gehirn passiert.

Frage: Unsere "normalen" Gottesdienste sind aber eher auf stillsitzen und zuhören ausgerichtet. Wie kann man Kinder daran gewöhnen?

Weisel: Warum müssen sich Kinder an unseren Gottesdienst gewöhnen? Die meisten Erwachsenen sind es gewohnt, still zu sitzen. Aber warum können wir nicht mal etwas verändern? Ich kenne viele positive Beispiele von alternativen Gottesdiensten, in denen die Besucher zum Beispiel durch Mitmach-Aktionen miteinbezogen werden. Das führt dazu, dass sie zum Nachdenken angeregt werden und nicht einfach nur die Stunde absitzen, um das provokativ zu formulieren. Das hat noch weitere positive Wirkungen: Beispielsweise kenne ich Gemeinden, in denen der Friedensgruß so ausgeweitet wird, dass jeder in der ganzen Kirche herumgeht, um jedem den Frieden zu wünschen. So sehen sich die Menschen, man nimmt sich als Gemeinde wahr!

Ruth Weisel in einer Porträtaufnahme
Bild: ©Kinderliturgie Bistum Würzburg

Ruth Weisel ist Referentin für Neues Geistliches Lied und Kinderliturgie im Bistum Würzburg.

Frage: Trotzdem sind diese Messen längst nicht der Standard. Wo gibt es die größten Schwierigkeiten, wenn Kinder an einem gewöhnlichen Gottesdienst teilnehmen?

Weisel: Die gibt es meistens, denn vor allem kleine Kinder können in den seltensten Fällen eine ganze Stunde ruhig sitzen. Da bleibt viel an den Eltern hängen. In manchen Kirchen gibt es eine Spieleecke, in der sie dann ihre Kinder beschäftigen können. Trotzdem ist es in Ordnung, Kinder in den normalen Gottesdienst mitzunehmen, um ihnen die Chance zu geben, die Umgebung und Atmosphäre kennenzulernen.

Frage: Und was ist mit weinenden Kleinkindern?

Weisel: Wenn ein Kind quengelt, weil ihm langweilig ist, dann kann man es meist schnell wieder beruhigen, indem man sich kurz mit ihm beschäftigt. Man kann zum Beispiel liebevoll auf ein Detail in der Kirche aufmerksam machen oder es mit einer Frage miteinbeziehen. Kinder lieben es, selber Antworten zu finden. Aber wenn ein Baby schreit, und die Eltern wissen, dass es sobald nicht wieder aufhören wird, weil es zum Beispiel Zahnschmerzen hat, dann sollten sie vor die Tür gehen. Das Kind hat in diesem Moment eben andere Bedürfnisse. An der frischen Luft können sich Eltern und Kind wieder beruhigen. Dafür sollten sie nicht befürchten müssen, von den anderen komisch angeguckt zu werden, wenn sie wieder in die Kirche kommen. Wir waren ja alle mal Kind und haben geschrien. Das ist erst einmal nichts, was die Feierlichkeit eines Gottesdienstes stören könnte, schließlich ist Kirche menschlich. Wichtig ist allerdings, dass die akustische Verständlichkeit des Gottesdienstes für die anderen Besucher gewahrt bleibt. Sobald Weinen und Herumrennen den Gottesdienst deutlich stören, muss ich mit dem Kind den Kirchenraum – zumindest für eine kurze Zeitspanne – verlassen.

Frage: Kann der Priester da etwas zum Verständnis beitragen?

Weisel: Ja, da hängt viel vom Priester oder dem Gottesdienstleiter ab. Er könnte zum Beispiel zu Beginn des Gottesdienstes die Kinder begrüßen. So ist gleich klar, dass sie erwünscht sind. Außerdem könnte er darauf hinweisen, dass jeder in seiner menschlichen Verschiedenheit in die Kirche gekommen ist und so angenommen wird. Und auch bei Störungen kann er für eine gute Atmosphäre sorgen, etwa, indem er den Einwurf eines Kindes aufgreift, zum Beispiel mit einer witzigen Bemerkung. Das nimmt die Spannung und Genervtheit. Letztendlich muss man in jeder einzelnen Situation neu entscheiden, wie intensiv auf die Kinder eingegangen werden kann, wie viel Freiheit man ihnen zugestehen kann, sodass jeder Gottesdienstteilnehmer seine Chance auf Glaubenserfahrung bekommt. Das ist ein Balanceakt. Und natürlich sind Worte nicht alles: Es kommt auch darauf an, dass die Atmosphäre in der Gemeinde so ist, dass sich Eltern und Kinder willkommen fühlen.

Von Johanna Heckeley

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