Kirche und Empfängnisregelung: Mehr Verbot als Angebot
Zum fünfzigsten Jahrestag häufen sich die Stellungnahmen zur Enzyklika "Humanae vitae". In dem zurückliegenden halben Jahrhundert war das Schreiben Pauls VI. wiederholt Gegenstand kirchlicher Diskussionen. Sind die Hauptargumente für das Verbot künstlicher Verhütungsmittel wirklich stichhaltig? Sind "Pille" und Co. unter bestimmten Bedingungen vielleicht doch zulässig? Zuletzt polarisierte der Schweizer Bischof Vitus Huonder mit der These, Verhütung gehöre zur "Kultur des Todes". Solche Aussagen sind den deutschen Bischöfen fremd. Da sie sich aber auch nicht für künstliche Verhütung aussprechen, braucht es verantwortungsvolle Alternativen. Doch die bieten längst nicht alle deutschen Bistümer an.
Dabei gibt es sie, die anderen Wege der sicheren Empfängnisregelung. Im Zentrum steht der Begriff der "Natürliche Familienplanung" (NFP). Er umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, bei denen anhand bestimmter Körperzeichen einer Frau die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage ihres Zyklus bestimmt werden. Mit finanzieller Unterstützung durch das Bundesfamilienministerium wurde von 1984 bis 1991 ein "Modellprojekt zur wissenschaftlichen Überprüfung und zur kontrollierten Vermittlung der natürlichen Methoden der Empfängnisregelung" durchgeführt. Projektträger waren damals die katholischen Lebensberatungsstellen, die 20 Prozent der Kosten trugen. Sechseinhalb Jahre später übergaben die Bischöfe diese Arbeit an die Malteser.
Der "Sensiplan"
Seit 2010 ist die damals weiterentwickelte Methode unter dem Markennamen "Sensiplan" bekannt. Dabei werden sowohl der Zervixschleim als auch die Körpertemperatur beobachtet, um fruchtbare von unfruchtbaren Tagen zu unterscheiden. Drüsen im Gebärmutterhals (Zervix) bilden im Laufe des Zyklus Zervixschleim von wechselnder Konsistenz und Menge. Der Zervixschleim kann bei jedem Toilettengang untersucht werden. Die Temperatur wird jeden Morgen vor dem Aufstehen gemessen. Vor dem Eisprung ist die Temperatur etwas niedriger, um den Eisprung herum steigt sie um wenige Zehntel Grad erkennbar an. Soll eine Schwangerschaft vermieden werden, wird Geschlechtsverkehr auf die unfruchtbaren Tage begrenzt.
Künstliche Hormone oder Barrieremittel wie Kondome sind nicht nötig. Bei richtiger Anwendung – hierfür müssen die Beobachtungen täglich festgehalten werden – liegt die Rate der ungewollten Schwangerschaften bei 0,6 pro 100 Frauen und gilt damit als "hochsicher". Der Sicherheitsstandard entspricht damit dem der Pille, die bis heute in Deutschland als Messlatte genommen wird. Voraussetzungen sind neben dem richtigen Lernen der Methode und einer guten Beratung auch die Motivation des Paares.
Umgekehrt kann NFP auch genutzt werden, um die Chancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen. Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch könne so manchmal geholfen werden, so dass dann reproduktionsmedizinische Behandlungen wie künstliche Befruchtung überflüssig seien, sagt Petra Frank-Herrmann, die als Funktionsoberärztin an der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg arbeitet. Hier ist die wissenschaftliche Betreuung der "Sensiplan"-Methode angesiedelt. "Für uns in der Klinik ist es auch eine diagnostische Methode", fährt sie fort. Ärzte erhalten durch diese Methode einen Langzeitverlauf und können Verlaufsbeobachtungen durchführen. Hormonelle Störungen können so frühzeitig erkannt werden. Grundsätzlich ist der Ärztin wichtig, dass sich Frauen durch NFP auf neue Weise mit ihrem Körper beschäftigen und ein positives Fruchtbarkeitsbewusstsein erwerben.
Posttraumatische Belastungsstörung
Warum nutzen katholische Gläubige dann trotz dieser Vorteile kaum "Sensiplan"? "Als wir mit der Arbeit in den 80er Jahren angefangen haben, gab es so etwas wie eine posttraumatische Belastungsstörung", erklärt die Leiterin der Malteser-Arbeitsgruppen NFP, Ursula Sottong. Das führt sie vor allem auf drei Gründe zurück: Erstens seien die Anfänge der Natürlichen Familienplanung nicht sehr sicher gewesen. Damals wurden etwa bei der "Kalendermethode" einfach die Zyklustage gezählt. Zweitens sei das Feld mit zerstrittenen Gruppierungen ideologisch vermint gewesen. Drittens hätte man die ohnehin angekratzte Autorität der Kirche in Fragen der Sexualität nicht mit einer neuen, vermeintlich unsicheren Methode weiter belasten wollen. Viele Hauptamtliche seien damals sehr distanziert gewesen und das wirke bis heute nach. "Manchmal ist es leichter, im nicht-katholischen Lager zu werben", sagt Sottong deshalb.
Doch langsam tut sich etwas: In der jüngeren Generation zeige sich auch unter katholischen Frauen zunehmendes Interesse, berichtet die Leiterin der NFP Arbeitsgruppen, obwohl oder vielleicht gerade weil "Humanae vitae" hier kaum noch bekannt sei. Entscheidend sei vielmehr ein kritischeres Gesundheits- und Körperbewusstsein. Bis heute würden jährlich 12.000 "Sensiplan"-Bücher verkauft. Darüber hinaus würden viele Frauen nicht mehr einsehen, warum sie sich alleine um die Empfängnisregelung kümmern sollten. Frei nach dem Motto: "Warum nur ich, ich werde ja nicht alleine schwanger". Im Gegensatz zur "Pille" sind bei "Sensiplan" sowohl die Frau als auch der Mann gefordert. Die Methode erfordert partnerschaftliche Kommunikation über Sexualität, die gemeinsame Fruchtbarkeit und die eigenen Bedürfnisse.
Es gebe eine ganze Reihe Bistümer, die seit vielen Jahren sogar über hauptamtliche Mitarbeiter für Natürliche Familienplanung verfügten, welche Abteilungen wie Familienpastoral zugeordnet sind, sagt Sottong. Elena Werner, die seit über dreißig Jahren in Teilzeit als "Sensiplan"-Beraterin tätig ist, schränkt jedoch sofort ein, dass es diese Möglichkeit nicht in allen Diözesen bundesweit wirklich gebe. Ausgebildeten und zertifizierten Beraterinnen der Methode ständen bereit, nötig seien nur ein positives Wort und eine finanzielle Unterstützung für das Beratungsnetzwerk vor Ort. Die Kosten für ein Bistum würden sich dabei lediglich im dreistelligen Bereich bewegen. Mit diesem Geld könnte die Kirche bei finanziell eingeschränkten Paaren einen Teil Kosten mittragen und die Fahrtkosten der Beraterinnen zu Weiterbildungen übernehmen. An manchen Bistumsstellen fehle es jedoch schlicht am Willen, sich mit moderner Familienplanung auseinanderzusetzen. "Stiefmütterlich", nennt die "Sensiplan"-Beraterin das.
Religiöse Aspekte spielen kaum eine Rolle
Frank-Herrmann liegt in Heidelberg eine sorgfältig geführte Datenbank mit Aufzeichnungen von etwa 2.000 Frauen vor, die "Sensiplan" nutzen. Die meisten Frauen, die mit der Methode eine Schwangerschaft vermeiden wollen, seien zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt und kämen aus allen Bereichen und Bildungsschichten, sagt die Ärztin. "Oberstes Kriterium ist nach wie vor die Sicherheit der Methode." Religiöse Aspekte spielten kaum eine Rolle. Die Leiterin der NFP-Arbeitsgruppen sagt, es gehe nicht um die Frage, ob jemand katholisch, evangelisch oder gar nicht getauft sei. Manche Paare würden traditionell bis zur Ehe warten, andere schon seit Jahren zusammenleben. "Wir haben auch Menschen jüdischen Glaubens, die zur Beratung kommen oder Berater sind". In der Flüchtlingsarbeit habe sie auch mit Musliminnen und Anhängerinnen indigener Religionen zu tun. "Wir haben das gesamte Spektrum, das Sie sich vorstellen können." Ein katholisches Angebot, das auch kirchenferne junge Frauen und Paare anspricht, und das dennoch nicht allen Diözesen förderungswürdig erscheint? Dabei sei "Sensiplan" im Dienst von Kirche unterwegs. "Wir berichten regelmäßig an die Bischöfe, sind in Kontakt mit der Zentralstelle Pastoral und lassen uns jedes Jahr unseren Auftrag neu bestätigen", erklärt Sottong.
Sottong wünscht sich, dass dieses Thema offener, offensiver und mutiger ins Gespräch gebracht wird – runter bis in die Gemeinden: "Das ist doch die Chance für uns in Deutschland, dieses Feld NFP gemeinsam mit den Gynäkologen noch viel breiter aufzurollen." "Sensiplan"-Beraterin Werner betont die Bedeutung der Bildungseinrichtungen. In Oberstufen und Berufskollegs könne moderne NFP in der Sexualerziehung als Methode der Empfängnisregelung und darüber hinaus als echte Lebensform vorgestellt werden. Allein in Deutschland gibt es über 800 Schulen in katholischer Trägerschaft. Für Frank-Herrmann ist das eine Frage der mündigen Selbstbestimmung: "Nicht, weil man sagt, die Mädels sollen das machen. Sondern damit man weiß: Sowas gibt's."